Wenn er nur wieder grantig schaun würd´

Obwohl es erst kurz nach sechs ist, liegt über der kleinen Straße, nahe der Isar bereits die Nacht. Novemberdunkel und Herbstkalt wirkt sie wenig einladend, obwohl sie hübsch ist. Alte Häuser reihen sich aneinander und die Straßenlaternen versuchen tapfer die Dunkelheit zu vertreiben. Ab und an geht einer über den Gehsteig. Menschen die nach Hause kommen, Paare die ihren Hund ausführen und manche die einfach nur von einem Ende des Viertel zum anderen müssen. Sie unterscheiden sich von mir und haben ein Ziel. Ich habe keines. Ich bin nur hier, weil Jules über Semmelknödel geschrieben hat und ich ganz plötzlich selbst einen solchen im Magen hatte. Einen harten, kalten und schwer verdaubaren. Woher der kam, wusste ich nicht, bis ich auf dem Heimweg in die kleine Straße an der Isar eingebogen bin. Jetzt weiß ich es, denn ich und der blöde Knödel der zwischen Magen und Herz hängt, stehen vor dem Geburtshaus von dem, der einst so wunderbar über diese Beilage geschrieben hat. Hier in der Zeppelinstraße 41 wurde Münchens großer Volkssänger am 4. Juni 1882 geboren. Und auch wenn es dem Valentin wahrscheinlich herzlich wurscht gewesen wäre, dass hundertvierzig Jahre später eine am Abend vor der Gedenktafel steht und sich erinnert, bleib ich genau da stehen. Viel mehr hätte es ihn vielleicht gefreut, dass er, der alte Grantler, mir und meinen Geschichten recht viel Glück gebracht hat. Obwohl…wahrscheinlich wäre ihm auch das egal gewesen. Recht freundlich soll er ja nicht gewesen sein. Das widerrum ist mir reichlich wurscht. Von seinem grantigen und missmutigem G´schau hab ich mich noch nie nicht einschüchtern lassen.

Gut, das stimmt nicht. Als ich das erste Mal im Erdgeschoss seines Geburtshauses saß, war er omnipräsent. Überlebensgroß an den Holzvertäfelten Wänden zu sehen und nicht einmal lachend. Weil man ihn sonst womöglich nicht erkannt hätte. Zitate, die Jahrzehnte überdauerten gerahmt und fein in Szene gesetzt und mitten drin eine, die in lächelnde Gesichter sah und nicht so recht wusste ob sie den Zuhörern besser gleich am Anfang sagen sollte, dass sie eigentlich nur zufällig hier und gerne ganz woanders wäre. Aber man haut nicht ab, wenn einen der Karl Valentin über den Rand der Brille tadelnd anschaut. Dann bleibt man sitzen und fühlt sich winzig klein, angesichts dieses Stücks Münchner Geschichte und traut sich erst aufzuschauen, wenn – Gott sei dank – einer lacht und sitzt erst ein bisschen gerader, wenn man aus dem Augenwinkel sieht, dass bisher keiner gegangen ist. Für eine, die mit Karl Valentin aufgewachsen ist und bis heute glaubt, dass in jedem Viertel, in jedem Haus und in jedem Raum etwas von denen hängt, die früher einmal dort gewesen sind, ist es nicht leicht gewesen dort zu lesen.

Aber schön. Schön war es, denke ich an diesem Abend und gehe zu dem großen Fenster, das heute dunkel und wenig einladend ist. Wenn dort drinnen Licht brennt, dann heißt einen dieses Fenster willkommen und lädt ein, über die kleine Stufe einzutreten. Was gibt es denn heute Abend, wurden wir manchmal von vorbei gehenden Anwohnern gefragt. Nach meinem ersten Jahr, sagte ich dann manchmal, dass es heute Abend mich gäbe. Und wenn man fragt ob das was g´scheites wäre, dann hab ich gelacht und gesagt, dass sie heut kaum was besseres finden werden. Sicher war und bin ich mir bei solchen Aussagen bis heute nicht, aber wer sich hinsetzt und vorliest, der muss die Scheu über Bord werfen. Ich kann es nicht, aber ich pack sie in meine Tasche und stell sie für ein oder zwei Stunden zur Seite, damit sie mich nicht stört. Der kalte Wind ist ungemütlich, aber ich setz mich trotzdem kurz auf die Stufe über die ich so oft gelaufen bin. So vielen anderen habe ich hier beim Lesen zugehört. Alle waren toll und manchen fühle ich mich noch immer sehr verbunden. Ein Glas Wein davor, Lachen und Ratschen danach und immer das missmutige Gesicht Valentins, das über allem schwebt. Semmelnködeln…er klingt mir im Ohr, aber mehr noch die Geräuschkulisse dieser Abende. Und auch wenn die Türe heute zu ist, weiß ich noch ganz genau wie gut es darin nach alten Holzdielen und neuer Holzvertäfelung roch. Manchmal auch nach nassen Schirmen, Schneefeuchten Wintermänteln, Teelichtern und den Umarmungen und Händegeschüttel, wenn es wieder einmal voll wurde. Und das wurde es oft. So eng bestuhlt, dass man es sich nach zwei Coronajahren kaum noch vorstellen kann und doch weiß ich noch genau wie die Stühle standen. Nicht schwer, du Depperl, würde der Valentin wohl sagen, weil Stühle natürlich alle nach vorn gerichtet sind. Da hat er recht. Und doch…ich weiß wo die Lücke wegen des Brandschutzes war und er nicht – den gab es zu seiner Zeit nämlich noch nicht. Den Brandschutz.

In der kleinen Straße wird es kalt und im dunkeln Fenster gibt es nichts zu sehen. Leider. Früher – vor Corona hing an der Tür ein Zettel mit den Lesungen die das Theater Südsehen veranstaltet. Keine Anmeldung nötig, kommen Sie einfach vorbei. Oder melden Sie sich an, das ist auch in Ordnung, dann reservieren wir Ihnen einen schönen Platz. Geben Sie mir den Mantel ich häng ihn auf und sagen Sie mir, was Sie trinken wollen. Geht auf´s Haus, Sie können nachgern was ins Schweinderl werfen als Spende für die Kunsts. Und nehmen Sie sich was zum Essen vorm Tisch, gell! Und überhaupt, schön, dass Sie da sind. Jetzt ist schon lange niemand mehr da.

Die Stammgäste des Vereins, welcher das Geburtshaus Valentins betrieb, waren größenteils alt und als Corona kam, war es klar, dass ein so kleiner, bei Lesungen überfüllter Raum, nicht zu verantworten war. Mit ein paar von ihnen schreibe ich mir Briefe, aber das ist nur ein müder Trost. Ich vermisse sie, diese Abende und diese ganz besonderen Lesungen. Dort wo für mich alles angefangen hat, ist es seit einiger Zeit ruhig und wir wissen nicht, ob es weiter gehen wird. Manche Dinge laufen, bis sie unterbrochen werden und dann, wenn es weitergeht, weiter gehen kann, merkt man, dass die sie von der Zeit überholt wurden. Ganz still und leise sind sie verschwunden, wurden ersetzt und sind nach Jahren nur noch Erinnerung. Ich hoffe sehr, dass es mit den Abenden dort in der Au nicht so sein wird.

Ich werd nachfragen. Ob´s nicht wieder geht. Gehen könnte. Ob wir nicht einfach weiter machen. Um die Bestuhlung kümmere ich mich gern, räume später die Spülmaschine ein und kehrte den Boden. Sehr gerne sogar. Drücken Sie mir die Daumen, dass ich bald einmal wieder unter dem kritischen Blick Karl Valentins und neben seinen dürren Beinen sitzend lesen kann. Ich verspreche auch mein Handy auszumachen, nicht auf die saublöde Idee zu kommen mir eine Wasabi Nuss in den Mund zu schieben, nicht zu fluchen (nicht viel zu fluchen) und nicht im unpassenden Moment zu lachen. Obwohl…doch letzteres werde ich machen und das Publikum bitte auch. Im Valentinhaus können wir es ja ausdiskutieren, da ist Raum für alles.

14 Gedanken zu “Wenn er nur wieder grantig schaun würd´

  1. Eine schöne, stimmige Reminiszenz, liebe Mitzi. Wenn man allgemein hört, dass so viele kleine Theater und Kultureinrichtingen die Coronazeit nicht überlebt haben, dann führst du den Verlust in deinem Text konkret vor Augen. Hoffen wir, dass dies kein Abgesang ist, sondern der Auftakt zu einer Wiederbelebung.

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  2. oh, ja bitte mach das unbedingt… du und deine texte im valentin haus, das ist aus der ferne für mich schon fast eine institution und zu lesen, dass die fenster dunkel bleiben, versetzt sogar mir einen leichten knödel im magen 😦

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