Nett. Wirklich nett.

Herbstgraufeuchtwindigtrüb ist es heute, ruft einer vom Küchenfenster zu mir ins Wohnzimmer. Hier auch, antworte ich nach einem Blick durch das Wohnzimmerfenster und verdrehe die Augen, als mir mitgeteilt wird, dass dies zu erwarten war. Ein Päckchen Taschentücher fliegt durch den Raum und weil ich keine Lust habe, es zu fangen, fällt es neben dem Sofa auf den Boden. Der Werfer bewaffnet sich mit einem weiteren Päckchen und ich frage ihn, ob er es mir nicht lieber bringen möchte. Er schüttelt den Kopf, wirft es – sanft immerhin – in meinen Schoß und greift nach seiner Jacke. Er geht ins Herbstgraufeuchtwindigtrübe Wetter zu sich nach Hause, sagt er und als ich wissen möchte warum, antworte er mit einem Schulterzucken. Was soll ich hier noch, fragt er und ich finde, dass er mich ja noch etwas länger mit seinem Charme erfreuen könnte. Er überlegt und schüttelt den Kopf. Besser nicht übertreiben, meint er und ich erkläre ihm, dass ich neben seinem Charme, sein unerschütterliches Selbstvertrauen besonders gern habe. Verständlich sagt er, drückt mir einen Kuss auf die Stirn, wünscht gute Besserung und verschwindet.

Herbsterkältungsmüde blättere ich durch eine Zeitung, langweile mich, döse weg, wache auf und lese in einer Zeitschrift einen Auszug aus Tucholskys Gedicht „Liebespaar am Fenster“.

„…..Von Kopf bis Fuß umfließt uns ein Strom;
noch sind wir ein Abendteuer.
Eines Tages trennen wir uns,
eine andere kommt…ein neuer…
Oder wir bleiben für immer zusammen;
dann erlöschen die großen Flammen,
Gewohnheit wird, was Liebe war.
Und nur in seltenen Sekunden
blitzt Erinnerung auf an ein schönes Jahr,
und an Stunden –
an glückliche Stunden.“

Herbsterkältungsmüde lese ich es ein zweites Mal, weil es mir gefällt. Auch wenn es mich oder uns nicht beschreibt. Ich bezweifle, dass wir noch ein Abenteuer sind. Diesen mehr als unangenehmen Zustand haben wir von einigen Jahren aufgegeben. Er. Er kapitulierte und fügte sich meiner Weigerung ein Abenteuer zu sein. Dass eines Tages eine andere kommt, habe ich verboten. Kann er vergessen, habe ich ihm gesagt. Auf diesen Mist habe ich keine Lust mehr. Er müsse damit leben, dass er mit mir lebt. Dauerhaft. Er hat „na, dann“ gesagt. Vielleicht weil es leichter war, aber eigentlich glaube ich das nicht. Er sagt selten etwas, nur weil es leichter ist. Seit ihm, geht mir Ehrlichkeit ab und an richtig auf die Nerven. Oder wir bleiben zusammen, also. Na das gefällt mir aber auch nicht. Erloschene Flammen…meinetwegen brennt das Buschfeuer nicht mehr, aber so ein bisschen lodern sollte es schon noch die nächsten zwanzig Jahre. Und Gewohnheit mag ich auch nicht. Tucholskys Zeilen sind nichts für Herbsterkältungsmüde Köpfe. Ich schicke sie dem, der vor meinem Husten geflüchtet ist und bekomme schnell eine Antwort. Weder noch, schreibt er. Dass wir uns trennen, hätte ich bereits vor einiger Zeit mündlich, aber überaus konsequent, festgelegt und ob er sich tatsächlich für immer daran halten werde, könne ich dennoch nie sicher wissen. Vielleicht verlässt er mich ja im Rentenalter, schreibt er. Von Gewohnheit also keine Spur, es würde spannend bleiben. Sach mal…schreibe ich und weiter….dass er ruhig mal netter sein könne, wenn ich krank bin. Noch netter, fragt er und ich beende diesen Altesehepaardialog.

Im Flur auf dem Weg ins Bad entdecke ich eine Pappkiste mit Obst und Gemüse. Das Obst geschnitten in Mundgerechte Stücke in einer Tupperdose, das Gemüse als Ofengemüse fertig gebraten in einer weiteren Dose und Minestrone – selbstgemacht, wie ein Zettel informiert – in einem Glas. Eine halbe Tafel Schokolade mit einem Post-it mit „Sorry…ich hab schon probiert“ darauf, Taschentücher und Hustensaft. Ebenfalls noch Aspirin, Paracetamol, Lutschpastillen und ein Fieberthermometer. Letzeres seinem Berufsstand geschuldet, der Rest dem Wissen um meine Vorlieben. Ich rufe ihn an, um zu sagen, dass das nun wirklich sehr, sehr nett ist und will wissen, warum er mir vorhin nicht gesagt hat, dass er all das dabei hatte. Die Frage versteht er nicht und will seinerseits wissen, ob ich ernsthaft geglaubt habe, er sei nur gekommen um mich kurz mit Taschentuchpackungen zu bewerfen? Dass ich das durchaus für möglich gehalten habe, verschweige ich und bin wieder kurz vor dem Einschlafen. Das letzte das ich höre ist, dass es bei uns sicher spannend bleibt. Keine Sorge und erhol dich. Das mal sicher…spannend bleibt es. Seine Minestrone ist viel besser als meine und ich hab es nach all der Zeit nicht gewusst. Mistkerl. Netter Mistkerl. Mein Kerl.

26 Gedanken zu “Nett. Wirklich nett.

  1. Als erstes wünsche ich dir, dass deine Nase nicht mehr schneller laufen soll als du – und dann ist die Erkältung weg.
    Aber dann hast du mir einen WUNDERBAREN Tippfehler beschert – und du weißt hoffentlich, dass ich die liebe.
    Du: „Er kapulierte und fügte sich meiner Weigerung ein Abenteuer zu sein.“ – Dass du nicht „kOpulieren“ meintest, bei deiner starken Erkältung war mir schon klar – deine Einsparung von zwei Buchstaben ist sehr rationell und lustig.
    Liebe Grüße zu dir

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    1. Danke, Clare. Schniefe schon weniger 😉
      Kapulierte….ai, ai, ai. Ich hab es gleich geändert. Zum Glück hab ich nicht kopulierte geschrieben. Das wäre mir dann doch noch peinlicher gewesen ;).
      Kapitulierte…so jetzt passst es.
      Ganz liebe Grüße
      Tanja

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  2. Tucholsky ist immer eine gute Lektüre !
    Ich liebe die Mischung aus mildem
    Zynismus und Spässle machen
    bei ihm. In seinen politischen
    Glossen konnte er aber sehr
    böse werden, zu recht… 😉

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      1. Wie gesagt, seine Glossen zur politischen Lage waren immer messerscharf, sind heute noch ein guter Indikator für die Stimmung damals. Seine Gedichte sind oft recht schwermütig. Auch die Romane sind durchaus lesenswert… 🙂

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