Mit vier war´s leichter

Es riecht nach Italien. Nein das stimmt nicht, es riecht nach München Giesing im Hochsommer. Ich nippe an meinem Kaffee und schließe die Augen. Ein wunderschöner Geruch, den der, der neben mir sitzt, nicht zu schätzen weiß. Auch die hochsommerlichen Geräusche, empfindet er als morgendlichen Lärm. Ich kann ihn verstehen. Natürlich sind die Geräusche und Gerüche auf zum Beispiel einer sonnigen Waldlichtung um einiges schöner. Und doch möchte ich an diesem Morgen auf gar keinen Fall tauschen. Der Geruch gerade eben ist für mich der Inbegriff des Sommers. Schwer warme Luft schon früh am Morgen. In ihr vermischt sich der Duft von Blumen und Kräutern auf Balkonen mit dem frischen Grün der Bäume und trotzt dem Geruch von Abgasen und den leicht süßlichen Ausdünstungen der vor dem Haus stehenden Mülltonnen. Still ist es auf einem Balkon in der Münchner Innenstadt natürlich nicht. Ganz im Gegenteil. Bei meinem ersten Kaffee brandet der Verkehr auf, die Vespas sind wieder auf der Straße unterwegs und erstaunlich laut und ist das Schlurfen der ersten Flip Flop. Gerade das kann, wenn man es nicht mag, nervtötend sein. Ich liebe es. Wenn es so riecht und klingt, dann ist der Sommer da und ich weiß nicht wohin mit der Vorfreude auf die nächsten Wochen. Herrlich ist es meine Heimatstadt so zu erleben und gleichzeitig beginnt es in meinem Magen zu ziehen, weil ich spüre dass ich ganz dringend ans Meer muss. Dorthin, wo ist jetzt gerade genauso riecht wie hier bei mir in der Stadt. Der Salzgeruch des Meeres und die etwas anderen Düfte der Botanik sind mir so vertraut, dass ich sie auch hier in München rieche. Einfach die Augen schließen und schon riecht es heute Morgen nach meinen beiden Lieblingssorten. München und Italien. Nur das Brioche fehlt.

Hochsommertage kurz vor den großen Ferien, murmle ich in meinen Kaffee und versuche das morgendliche Gefühl meinem Gegenüber zu erklären. Diesmal wird genickt und keine Erklärung ist nötig. Details spielen bei dieser Stimmung keine Rolle – eine ganze Generation erlebte diese Tage als Kind mehr oder wenige identisch. Vorausgesetzt, das Kind fuhr damals mit den Eltern ans Meer. Irgendein Meer. Dann waren es Tage in denen die Eltern gedanklich bereits den Urlaub planten, Koffer aus dem Keller geholt wurden und Väter das Auto für die Reise vorbereiteten. Damals herrschte meist eine klare Rollenverteilung – Papa kümmert sich ums Auto, die Verstauung des Gepäcks und vielleicht noch um Vignetten oder ausländisches Kleingeld für die Autobahn. Mama um den Rest. Ein Rest, von dem die heute erwachsenen Kinder von damals nun wissen, dass er so gut wie alles beinhaltetet. In zwei Wochen fahre ich noch einmal mit meinen Eltern mit dem Auto ans Meer. Eigentlich wären nur meine Mutter und ich gefahren. Mama, ich und Papas Auto. Obwohl es natürlich auch das Auto meiner Mutter ist und meine Eltern das beide wissen. Und weil sie es wissen, war es völlig ok, dass meine Mutter das Familienauto für zwei Wochen für sich beschlagnamt, während mein Vater es sich im heimlischen München auf dem Balkon gemütlich macht. Es war so lange ok, bis meinem Vater dämmerte, dass sein Tochter das Familienauto nicht nur über den Brenner, sondern auch in italienische Parklücken navigieren würde. Auch ok wäre, dass er nun mitfährt, um letzteres zu übernehmen. Freunden erzählen wir, dass Papa nun Lust auf Fisch, Meer und Süden bekommen hat. Aber wenn wir ehrlich sind, dann ist uns klar, dass Papa es einfach nicht schafft, die Kontrolle über eine Autofahrt ans Meer abzugeben. Wir befinden uns jetzt wieder in den frühen 80iger Jahren und das ist ein Problem. Ich bin jetzt nämlich nicht mehr vier, sondern über vierzig.

Eine kleine Tasche reicht, sagen mir meine Erziehungsberechtigten und ergänzen mit mildem (eher überheblichem) Lächeln, dass sie alles wichtige dabei haben – auch für mich, das Kind. Ich verkneife mir die Frage ob es sich dabei um aufblasbare Gummitiere oder Brettspiele handelt und hoffe still, dass Sonnencreme, Moskitonetz und Reiseapotheke gemeint sind. Mein nicht mehr vierjähriges Ich nickt und schüttelt erst außer Sichtweite den Kopf. Nix kleine Tasche – mein mittlegroßer Koffer ist das Minimum, da ich seit über zwanzig Jahren sehr gut weiß, was ich für zwei Wochen brauche und dieses Wissen neben dem Koffer zwei weitere Taschen beinhaltet. Da wird das Stauraumgenie (auch Papa genannt) ein wenig schichten müssen. Macht er gerne. Man muss ihn dabei nur alleine lassen, sonst wäre man erstaunt wie schnell dieser sonst so ruhige Mann die Nerven verliert. Wir werden früh losfahren, lässt man mich wissen. Perfekt, da ticken Papa und ich gleich und ich muss nicht wie mit Freunden diskutieren ob 04:00 Uhr morgens verrückt ist. Ist es nicht. Es ist die einzige Möglichkeit den Stau bei Affi mit einer Wahrscheinlichkeit von 25 % (immerhin) zu vermeiden. Ich darf dann im Auto schlafen, teilt man mir mit und spätestens jetzt werden Papa und ich ein ernstes Gespräch führen müsssen. Ob ihm klar ist, frage ich, dass ich nicht 800 Kilometer auf der Rückbank verbringen werde? Freundliches Nicken. Sicher, meine Mutter geht auch mal nach hinten, dann darf ich vorne sitzen. Dann darf ich vorne sitzen….das war das Highlight als ich zwölf war und darum geht es nicht. Vorne links, sage ich und Papa schüttelt den Kopf, als hätte ich etwas lustiges gesagt. Vorne rechts, sagte er und kneift mir in die Wange. Das ist irritierend, dann das hat er das letzte mal vor über dreißig Jahren gemacht. Vorne links, sage ich und dass ab dem Brenner. Papa schmunzelt, als hätte das Kind etwas lustiges gesagt. Das nicht mehr vorhandene Kind schmunzelt auch und erklärt, dass es Deutschland und Österreich abtritt, Italien aber für sich beansprucht. Wir diskutieren und Mama unternimmt eine Radtour um sich mit dem Gedanken anzufreunden, dass – wie auch immer diese Diskussion endet – vermutlich sie auf der Rückbank landen wird. Mit der Kühlbox auf dem Schoß, aber das wird sie erst mitbekommen, wenn sie im Auto sitzt. Das Wissen würde ihr sonst die Vorfreude nehmen. Unser Deal steht jetzt – in Sterzing wird gewechselt und ich fahre. Theoretisch. Praktisch, werden wir wahrscheinlich von München bis zum Brenner darüber streiten und wenns blöd läuft, räumt Mama das Feld von hinten auf.

Heute morgen riecht es nach dem letzten Schultag vor den Ferien. Nach einer sehr anstrengenden Fahrt mit den Eltern im Auto und nach dem Gefühl auf der Rückbank eingequetscht zu sein. Mein vierjähriges Ich freut sich, mein heutiges Ich schreibt dem mutigsten aller Freunde, dass er doch bitte übernächsten Samstag schon mal den Wein kalt stellen soll. Zwischen 13:00 und 17:00 Uhr – je nach Stau bei Affi – werde ich den bei der Ankuft brauchen.

22 Gedanken zu “Mit vier war´s leichter

  1. Hier riecht und fühlt es sich ebenfalls wie Ferien an. Jeder Tag erinnert an einen Sonntag, wenn die Rasenmäher durch die Gärten rattern und abends der Grillduft von zirpenden Grillen begleitet wird.
    Die Vorfreude auf übernächsten Samstag kann man verstehen. Aber schön, wenn es auch zu Hause wie Urlaub ist 🙂

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  2. Liebe Mitzi, ich bin zuversichtlich, dass dein Vater und du euch einigt und deine Mutter die Situation diplomatisch löst. Dafür sind Mütter schließlich da. Und wenn das aufblasbare Gummitier vergessen wird, kaufst du dir eben am Strand ein neues. Und auch ein Eis, wann immer du willst. 😉 Erwachsen sein hat schon seine Vorteile. 😄 Habt eine wundervolle Zeit in Italien!

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    1. Danke :). Spätestens wenn wir angekommen sind ist es ganz sicher schön. Da ticken wir drei Erwachsenen nämlich sehr ähnlich. Da ist es dann auch kein Problem wenn einer mal alleine losziehen möchte oder lieber doch noch eine Stunde länger schläft. Ich freu mich jedenfalls. Liebe Grüße

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  3. Mitzi, gib nicht auf – und wenn er dich eine halbe Stunde ans Lenkrad lässt – aber Hauptsache, du bist (mal) gefahren.
    Lange Zeit konnte bzw. durfte nur ich in meiner Familie Auto fahren – jetzt können alle.
    Viel Spaß bei der Hinfahrt!

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  4. Ich wünsch‘ dir im Vorraus schon mal eine schöne Reise und eine tolle Zeit.

    Selbst wenn es nicht so idylisch laufen sollte wie es könnte – es sind ja oft genau diese Dinge die einem später auch zum lächeln bringen.

    Atme bitte am Ziel ein paar Mal für mich mit ein. Und umarme das Gefühl wenn du dann aufs Meer blickst.

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  5. Wunderbarer Plan! Und was Gerüche und Erinnerungen (besonders freudige) betrifft, bin ich ganz bei Dir. Letztes Jahr war ich auf Korfu in einer Anlage, die komplett mit Lavendel und Rosmarin bepflanzt war. Da wird mir schon bei den frischen Kräutern im REWE ganz sehnsüchtig im Bauch…

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  6. Ich weiß, dass Kinder immer Kinder bleiben. Ihr Alter spielt nur eine nachgeordnete Rolle. Das ging mir bei den eigenen Eltern so und nervte vor allem in den jugendlichen Zeiten. Und sonst dann und wann. Hat aber auch seine schönen Momente! Und das geht mir mit meinen Kindern so. Ist halt so, sogar wenn man dann und wann die Hilfe seiner Kinder benötigt, das ändert nichts an der Rollenverteilung.

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  7. Leier kann ich nicht mitreden, wenn es um Gerüche geht. Ich rieche ja (fast) nichts, aber trotzdem kann ich das Sommergefühl nachvollziehen. Du bist meine Heldin, wenn es um das Autofahren geht. Ich fahre mit meinem Sohn und seiner Freundin im Sommer nach Dänemark (ans Meer!!!) und wir wollen am liebsten alle drei nicht fahren. Auf jeden Fall wird es mein Auto werden und weil wir ja ankommen wollen, tun wir, was nötig ist. 😉
    Ich wünsche Dir eine schöne Zeit mit deinen Eltern tapferen Eltern!🙋‍♀️ Regine

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    1. Hallo Regine, ich glaube das Sommergefühl geht auch über die anderen Sinne. Sonne auf der Haut oder ähnliches :).
      Für die Fahrt drück ich Euch die Daumen. Gleiches Thema nur umgekehrt. Aber wir werden alle ankommen und dann eine schöne Zeit haben. Liebe Grüße

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