MVG Charmeoffensive

Ich bin mir nicht sicher, ob man die Münchner Verkehrsbetriebe mittlerweile bei TripAdvisor bewerten kann oder ob die jährlichen Bonus Zahlung der Mitarbeiter von der Anzahl wohlwollender Kunden Meinungen abhängig gemacht worden ist. Ich vermute aber, dass beides der Fall ist. Anders ist die plötzliche Charme Offensive der sonst so Mundfaulen Mitarbeiter der MVG nicht zu erklären. Schon seit Anfang des Jahres wird intensiv daran gearbeitet, den Nutzern des Nahverkehrs weiß zu machen, dass man sich um sie kümmert und sie wertschätzt. So läuft zum Beispiel, seit Anfang Januar auf dem kleinen Monitor zwischen den Gängen ständig ein Film, der strahlende Mitarbeiter der MVG bei ihrer Arbeit zeigt. Einstiegslotsen grinsen in die Kamera, Servicepersonal weist ortsunkundigen Touristen den Weg und Zugführerinnen strahlen mit Zahnpastalächeln, als wäre Ihnen noch nie eine verirrte Seele vor den Zug gesprungen. Ich weiß ja nicht, wo sie die alle gefunden haben, aber echt sind die nicht. Ich zum Beispiel habe noch nie einen lächelnden Einstiegslotsen gesehen. Dass der nicht lächelt, ist auch nachvollziehbar. Warum auch, er hat den dämlichsten Job überhaupt und weiß es vermutlich auch. Einstiegslotsen sind theoretisch dafür da, darauf zu achten, dass in 40 Sekunden alle Pendler einer Station ein- und ausgestiegen sind. Das alleine wäre schon eine Mammutaufgabe. Das wissen die und versuchen es deshalb gar nicht erst. Sicher auch weil ihnen sicher klar ist, dass sie selbst – neben Rollatoren Senioren und hoffnungslos überforderten Touristen – zu jenen Personen gehört, die saublöd im Weg herum stehen und das Einsteigen nur erschweren statt es zu erleichtern. Die wissen, dass es sich bei ihrem Job um eine reine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme handelt. Warum also sollten sie lächeln? Die auf den Monitoren, die lächeln aber und deswegen vermute ich dass es Schauspieler sind. Wahrscheinlich besser bezahlt als die armen grantigen Einstiegslotsen.

Ein anderer Imagefilm, der seit neustem läuft, zeigt blitzblanke S-Bahnen. Gar nicht so falsch, denn man muss den Münchner S-Bahnen anrechnen, dass sie eigentlich recht sauber sind. Zumindest riechen sie besser als einige ihre Fahrgäste, wenn das Thermometer wie jetzt auf über 30 Grad klettert. Damit wir Münchner (und der Rest der Welt, der uns besucht) das auch zu schätzen wissen (und vielleicht selbst etwas mehr Deo auftragen) musste die bisher nachts arbeitende (glaube ich) unsichtbare Putzkolonne jetzt zur Tagschicht wechseln. Die schleppt sich jetzt regelmäßig durch die Bahn und bleibt so lange penetrant vor einem stehen, bis man die Papiertüte mit dem letzten Restbrezel in ihrem Beutel wirft. Eigentlich ist das nett. Aber halt nur, wenn man grad fertig gegessen hat. Sonst ist es einem arg unangenehm, wenn da zwei Mann/Frau vor einem stehen und starren bis man was in ihre Tüte wirft. Die meisten beißen schnell noch mal ab und werfen dann. Lieber etwas Hunger als so strenge Blicke. Lächeln müssen die wohl auch nicht. Das müssen nur die vom Service. Lächeln und fragen ob alles gut ist. Fragen Sie mal morgens um 6:30 Uhr einen Münchner ob alles gut ist. Wenn er sie unverständlich angrunzt können Sie das schon als vollständige Antwort werten. Was diese bedeutet müssen Sie aber selbst herausfinden.

Da ich selbst eine Münchnerin bin, und mit einem rauen Umgangston in der Öffentlichkeit sehr gut umgehen kann, irritiert mich diese plötzliche Freundlichkeit. Ich starre deswegen permanent auf dem Boden, wenn die Menschen mit den Leuchtwesten auf mich zukommen. Heute habe ich dabei ein Pferdchen entdeckt. Die Putzkolonne war leider anderer Meinung und hat es für einen weggeworfenes Kaugummi Papier gehalten. Sie hat es entsorgt und ich warte jetzt alleine weitere 30-80 Minuten auf meine S-Bahn und kann nicht mal mehr ein kleines Kaugummi Papier Seepferdchen auf dem Boden anlächeln. Alternativ könnte ich mir nur die fünfhunderdreißigste Wiederholung des Imagefilms ansehen. Das mache ich aber nicht, weil ich weiß, dass das meiste im Fernsehen gelogen ist. Wenn Sie also nach München kommen, glauben Sie diesen Film nicht die MVG hat vieles, Charme und Freundlichkeit definitiv nicht. Und bis die Verkehrsbetriebe das selbst begriffen haben, empfehle ich Ihnen besser kein Lächeln von Mitarbeitern zu erwidern, schnell alles auf zu essen und vor allem keine Fragen zustellen. Die Antworten wollen sie nicht hören. Glauben Sie mir.

37 Gedanken zu “MVG Charmeoffensive

  1. Liebe Mitzi, ich werde morgen, am Mittwoch, ganz bestimmt an Deinen Hinweis denken, weil ich dann bis Donnerstag in Deiner Stadt Zwischenstation auf meiner Fahrt in die südtiroler Berge mache. Liebe Grüße!

    Gefällt 1 Person

    1. Lieber Lo, bis eben habe ich keine schlechten Nachrichten bezüglich Chaos an den Münchner Bahnhöfen gehört. München wird sich von seiner besten Seite zeigen. Und Italien eh, Kein Streik soweit ich weiß 😉 Grüß mir Italien und dir ganz viel Spaß.

      Gefällt 1 Person

      1. Dankeschön, liebe Mitzi: alles Gute ist auch eingetroffen. Dazu strahlender Sonnenschein in München. Die Cafès sind voller fröhlicher Menschen, am Viktualienmarkt duftet es nach Leckereien. Liebe Grüße aus Schwabing!👋👋😊

        Gefällt 1 Person

  2. Mitzi, wenn die hier in Berlin auch plötzlich sch…freundlich werden würden, denke ich, ich bin im falschen Film. Das passt nicht zu den Berlinern!
    Hat die U-Bahn in Tokyo nicht auch solche „Einstiegslotsen“, die aber nichts anderes zu tun haben, als die Fahrgäste mit ausgebreiteten Armen in die Züge zu pressen.
    Nenene, Sachen gibt’s!

    Gefällt 2 Personen

  3. U- und S-Bahnen und ihre Betreiber sind und bleiben eben unterirdisch, selbst wenn sie streckenweise überirdisch fahren. Und wenn jemand aus der Unterwelt offensiv charmant ist, ist allerhöchste Vorsicht angesagt.
    Liebe Mitzi,
    gut, dass Sie mit Blog und Bleistift bewaffnet sind, so können Sie sich jederzeit verteidigen. 😉
    Gruß Heinrich

    Gefällt 2 Personen

    1. Anstelle des zurückbleiben ertönt jetzt ein kreischendes Piepsen. Wenig charmant. Allerdings ist auf die Münchner Fahrer Verlass, und sie benutzen immer noch immer gerne ihr Mikrofon um genau dieses Wort zu wollen.

      Gefällt 2 Personen

      1. Ich hab noch nie in meinem Leben soooo viele Zurückgebliebene gesehen 😂🤣😅 Viele Grüße aus dem sonnigen Südtirol! Ciao!👋👋😊

        Gefällt 1 Person

  4. Im Internet habe ich gelesen, München konkurriere mit Mumbai um die Weltausstellung 2079. Sollte dem so sein, kann man mit freundlichen Charmeoffensiven nicht früh genug beginnen … 😉

    Gefällt 1 Person

  5. Ich glaube kein einziger Verkehrsbetrieb dieser Welt ist höflich und zuvorkommend… Wobei der Hamburger Service sich kaum zeigt. Also eigentlich ist er mal abgesehen von ein paar wenigen Kontrolleuren, die mal alle Jubeljahre auftauschen und Schienenarbeitern quasi unsichtbar oder in der Tat nicht-existent. Schlimm ist das jedoch nicht, denn auch wir Nordlichter sind um 6:30 morgens definitiv keine froh Naturen.

    Gefällt 2 Personen

    1. Mir wäre es ganz recht, wenn der unsere auch etwas unsichtbarer wäre. Obwohl….das ist Jammern auf hohem Niveau. Es würde mir ja eines meiner Themen wegnehmen, wenn es so wäre. Sagen wir, um 06:30 können sie unsichtbar sein. Da sind die im Süden, wie die im Norden. 😉

      Like

  6. bei uns in wien ist ja essen in der ubahn mittlerweile verboten. einem wiener linien angestellten mit goldenem wiener herz möchte man auch echt nicht mit kipferl im mund begegnen. ich hatte aber bisher glück, an den heißen tagen konnte ich die ubahnen bisher umgehen und dank einer umfangreichen sanierung meiner hauslinie kann ich sie ab montag gar nicht mehr benutzen.

    Gefällt 1 Person

  7. Ich erinnere mich an den Großstadtverkehr. In jeder Fassung unterirdisch, deshalb wird er auch in Großstädten und solchen, die sich dafür halten, versenkt.
    Allerdings meine ich, mich nicht daran erinnern zu können, dass der Bus an der Haltestelle einfach nicht anhielt. Was mir hier auf dem Land schon passiert ist. Fährt ja eh keiner mit, der nicht muß!

    Was die Zielgruppe angeht: es gibt (gab?) ein noch viel unterirdischeres Propagandafilmchen, dass die für alle andere zu doofe Jugend zum Pflegeberuf animieren sollte. Zu all dem anderen Frust haben Kranken- und Altenpfleger hier deutlich sehen können, wie sie von Politikern und anderen Wohlmeinenden eingeschätzt werden: na ja, irgend ein Volldepp muß ja für mau malochen.
    Dass ihnen jetzt die Pfleger weglaufen, ist nur folgerichtig. Die Erzieher, auch mal kur aufmüpfig, haben ihren Ministreik damals nicht durchgehalten, aber etwas anderes hätte man ja auch nicht erwartet, … Es wird schon so weitergehen. Das bißchen Pflegenotstand erreicht ja schließlich nicht alle.

    Gefällt 1 Person

    1. Vorbei fahrende Busse gibt es München tatsächlich selten. Schließende Türen kurz bevor man sie erreicht durchaus. Das allerdings sind kaum ernst zu nehmende Probleme, wenn man an den schon lange herrschenden Pflegenotstand und die Bezahlung oder Wertschätzung dieser Berufsgruppen denkt. Schon lange und jetzt ganz besonders.

      Like

Hinterlasse einen Kommentar