Wer ich bin? Suchen Sie sich etwas aus.

Wer bist du? Soweit ich mich erinnern kann, hat mir diese Frage bisher außer dir noch niemand gestellt. Niemand, der damit mehr meinte, als die Angabe des Namens, des Alters und irgendeiner, unwichtigen Zugehörigkeit. Es ist fast immer eine harmlose Frage, die man ohne nachzudenken schnell beantworten kann. Mitzi, aus der 8c. Mitzi, die Freundin von Nicky oder Mitzi, ich kenn den Bräutigam. Zu irgendeiner Gruppe gehört man immer und wenn man besonders originell sein will, dann stellt man sich blöd und antwortet nur mit dem Namen. Garniert mir einem vielsagenden, leicht tiefgründigen, meist aber dämlichen Lächeln. Zum Glück gibt es die Gruppen, sonst müsste man sich am Ende noch Gedanken machen, wer man wirklich ist.

Dir antwortete ich mit meinem Namen und der Vermeidung jeglicher Mimik. Und weiter, hast du mich gefragt und ich habe mit den Schultern gezuckt. Wie hätte ich dir sagen können, wer ich sei, solange ich nicht wusste, was du gerne in mir gesehen hättest. Ich bin so, wie man von mir erwartet zu sein. Das ist kein Kalkül, dass ist das einzige Hilfsmittel dem ich mich bedienen kann, weil ich schlicht nicht weiß, wie ich wäre, wenn ich so wäre wie ich bin. Ich bin mir sicher, dass ich das nur sagte, weil ich glaubte, dass dich die Auskunft über meinen Namen und der Hinweis, dass ich um die Ecke arbeite gelangweilt hätte. Die Art wie du die Kirschen aus der Tüte gezupft hast, sah danach aus. Monate später, als wir die Kirschen schon gemeinsam kauften und aßen hast du mir Frage noch einmal gestellt und ich dachte ein wenig darüber nach. Nicht zu viel, weil ich die Antwort bereits wusste, aber doch immerhin genug um festzustellen, dass ich noch immer keine Ahnung hatte, wer ich eigentlich bin. Ich bin so wie dich denke, dass ich sein sollte. Oder so wie ich mich gerne hätte. Praktisch, sagtest du, das erspare einem das Nachdenken. Ich nahm die Kirschen an mich und schüttelte den Kopf. Praktisch, mag es ja sein, aber in erster Linie ist es unglaublich anstrengend.

Mit dir gemeinsam dachte ich zurück. Als Kind war man doch sicher noch recht unverfälscht, so wie man eben ist. Vermutlich war ich das auch, aber ich mochte mich nicht. Für meinen Geschmack war ich etwas zu durchschnittlich. Nicht mal eine Brille oder im Sommer einen Gipsarm konnte ich vorweisen. Ein gähnend langweiliges ich. Glaube ich. So wirklich erinnern kann ich mich nicht mehr. Ich habe mein ich geändert. Erst mal den Namen. Mit Mitzi, kommt man nicht weit. Ich dachte mir einen schöneren aus und meine Freunde übernahmen ihn. Dann musste man mindestens einen Jungen küssen, den alle anderen Mädchen toll fanden, der aber zugleich alle anderen Mädchen blöd fand. Wie ich das angestellt habe, weiß ich nicht mehr. „Magic“ ein drei Jahre älterer Handballer war für mich so unerreichbar, dass ich es nicht einmal versucht hätte. Instinktiv verhielt ich mich aber wohl so, dass er doch etwas an mir fand und freute mich, dass es wohl doch etwas an mir geben musste, das seinen Reiz hatte. Dann lief es ganz von alleine. Passt nicht, wird passend gemacht. Realschülerin geht gar nicht, sagte mein Freund scherzhaft. Ok, dann mach ich eben Abi. Quatsch, sagen die Eltern. Die Grundschullehrerin wusste schon, dass ich dafür zu unkonzentriert bin. Ok, dann eben erst ne Lehre, ausziehen und dann auf die Abendschule. Dann ne Halbtagsstelle und studieren, weil das jeder gemacht hat. Bei mir reicht ja ein blöder Kommentar und ich stell mein Leben auf dem Kopf um es passend zu gestalten. Ich glaube mein echtes Ich hätte sich als Kindergärtnerin oder Floristin auch ganz wohl gefühlt. Das jetzige findet es so aber auch ok. Es ist auch ok, dass man mir manches nachsagt, von dem ich vermute, dass es absoluter Blödsinn ist. Dass ich selbstbewusst bin zum Beispiel. Manchmal lacht mein echtes Ich sich darüber scheckig und auch ich muss grinsen, obwohl ich mir nicht sicher bin wer da lacht.

Ich bin die beste Freundin, die Tochter um die man sich keine Sorgen machen muss, das Lächeln an der Bürokaffeemaschine, das offene Ohr, die Geliebte, die Partnerin, Kollegin und der Babysitter. Das würde doch hoffentlich reichen, fragte ich dich und zog mir die Decke über den Kopf. Unter der tauchte auch der deine auf. Ob du denn wüsstest, wer ich bin, wollte ich wissen. Eine verdammt gute Schauspielerin, sagtest du. Und weil es dir nicht gefiel, war ich ab diesen Tag echt und unverfälscht. Bisher meine anstrengendste Rolle. Jetzt bin ich wieder sorgenfrei, glücklich und ein echter Sonnenschein. Das ist leichter.

24 Gedanken zu “Wer ich bin? Suchen Sie sich etwas aus.

  1. Gerne deine Geschichten lesend. Wie hingeworfene kleine Melodien. Die Tiefe liegt zwischen den Sätzen und dem weiter denken von deinen abc Tönen.
    Sehr fein.
    Ich denke ein Buch würde sie wundervoll behüten.
    L.

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  2. Liebe Mitzi!

    Einen Sonnenschein kann man in diesen tristen Novembertagen auch wirklich gut gebrauchen. Wie gut, dass Sie so herrlich für uns scheinen. 🙂

    Herzliche Grüße von der verregneten Alm
    Mallybeau

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  3. Das ist eine interessante Reflexion über die Ich-Identität, liebe Mitzi. Die Tatsache, dass man je nach sozialem Umfeld eine andere Rolle als Ich hat, hast du schön beispielhaft beschrieben. Zusätzlich gibt es jetzt noch dein digitales Ich Mitzi Irsaj.
    Komisch, dass wir über den verschiedenen Ich-Modellen nicht verrückt werden. Aber da ist noch immer das von dir genannte „echte Ich“ – so wie man vor sich selbst ist, aber dann ist da noch eins, das beobachtet und hier in diesem Text beschreibt, wie du dein Ich den Erwartungen anderer anpasst.
    Die Hirnforschung hat kein Ich-Zentrum gefunden, sondern hält das Ich für ein soziales Konstrukt. In mündlichen Kulturen, also solchen ohne Schrift, ist die Ich-Identität nicht besonders ausgeprägt. Die Menschen leben in einer Man-Welt, man tut dies, man denkt das, also sehr abhängig von der Gruppe. Die Vereinzelung des Ichs ist erst durch die Schrift in die Welt gekommen. Erst dann können die eigenen Gedanken aus dem situativen Augenblick herausgehoben werden und nüchtern betrachtet werden, was einen abstrakteren Umgang mit dem eigenen Ich und die Vereinzelung mit sich bringt.
    Toller Text, der das alles irgendwie enthält.
    Lieben Gruß

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    1. Ich danke dir, für diesen Kommentar, lieber Jules. Er ist ein schönes Beispiel für das, was man bei einem Blog zurück bekommt. Liebe und warme Worte auf der einen Seite, auf der anderen auch oft ganz neue Denkanstöße und die Möglichkeit über den eigenen Text zu reflektieren.
      So habe ich mir zum Beispiel nie Gedanken darüber gemacht, dass die Ich-Identität etwas vergleichsweise neues sein könnte. Es macht Sinn und rückt Gedanken über das eigene Ich auch wieder in ein anderes Licht.
      Liebe Grüße und ein schönes Wochenende.

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  4. die ganz große frage des eigenen lebens, oder? das ich reflektiert einfach auch immer das Du, das einen umgibt und irgendein Du umgibt einen immer, auch wenn man allein ist. Die Grenze zu ziehen, zwischen reflektieren und anpassen, das ist gar nicht so leicht.

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  5. Wenn man andere befragt wer man ist, dann kommen bestimmt sehr viele Facetten zum Vorschein, die man selbst nicht so erkennt. Ich glaube ich erkenne Menschen sehr gut, aber ich bin mir manchmal selbst ein Rätsel. Nun grüble ich darüber nach wer ich bin, das hat deine Intensität und reflektierte Nachdenklichkeit in diesem Beitrag bewirkt !

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    1. Ich denke, dass es leichter ist die Menschen zu kennen, die uns zu umgeben. Über sich selbst denkt man weniger nach. Jedenfalls geht es mir so. Ich hinterfrage einzelne Taten oder Gedanken, aber kaum die Gesamtheit.
      Ich kenne dich zu wenig um zu wissen, wer du bist. Aber eine schöne Konstante auf diesem Blog bist du mich für seit langem geworden. Lieben Dank für die vielen Kommentare, die mir oft einen Gedankenanstoß bringen oder mich einfach freuen.

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      1. So sollte es sein : ein authentischer Mensch handelt nach seinen Werten. Ein authentischer Mensch kennt seine Stärken und Schwächen ebenso wie seine Gefühle und Motive für bestimmte Verhaltensweisen. Wäre das schön ! Es ist mir immer wieder eine Freude deine Beiträge zu lesen und es freut mich wenn meine Kommentare willkommen sind.

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  6. Ein toller Text! Obwohl es eine alte Geschichte ist und ja auch nicht mehr so gesehen werden kann, wie Freud es sah, finde ich persönlich die Unterteilung in ,,ich“, als Kombi von ,,über-ich“ und ,,es“ manchmal hilfreich, weil es die inneren Konflikte klarmacht, wobei ich bestimmt kein 1:1 Anhänger Freuds bin!
    Die zweite Frage, die sich mir stellt, ist, ob ich jetzt ein anderer Mensch bin als früher? Wenn man davon ausgeht, dass den Menschen seine Erfahrungen und seine angeborenen Verhaltensweisen ausmachen, wäre ich ja in jeder Sekunde meines Daseins ein anderer Mensch…. Aber das ist natürlich Haarspalterei, da der Mensch ja der ist, der in einem Körper ,,wohnt“. Da mit diesem Menschen also untrennbar sein Körper verbunden ist, kann das, ,,was denkt“ (,,Seele“) also zumindest in dieser weltlichen Form, die ja auch unser Denken weitgehend beeinflußt, nicht weiter existieren….
    Okay, ich hör´ja schon auf! Alles Liebe, Nessy

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    1. Liebe Nessy, du hättest kein bisschen früher aufhören dürfen. Der kleine philosophische Exkurs passt hervorragend, ist die Frage ja fast schon klassisch wenn man sich mit Philosophie beschäftigt.
      Mit Freund bin ich nie warm geworden und leider nicht tief genug eingestiegen um die Unterteilungen richtig einzuordnen.
      Wir ändern uns. Nicht von Sekunde zu Sekunde, aber mit den Jahren dann doch. Dennoch glaube ich, dass unser Kern sich nicht verändert. Und ob unsere Seelen nicht weiter existieren…..ich höre auch auf. ;). Ein spannendes Feld mit Fragen die man sich ab und zu ruhig stellen sollte.
      Liebe Grüße

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