Danzt hob i für mei Lebn gern

Meine Großmutter tanzte für ihr Leben gern. Das tat sie bis ins hohe Alter. Selten freilich, weil die Beine nicht mehr so wollten, aber manchmal hat es sie noch gepackt. Um genau zu sein packte sie ihr Enkel. Ein Brackel von einem Kerl. Kräftig genug um die winzige Frau in seinen Armen über das Parkett zu heben und ein so guter Tänzer, dass meine Großmutter nicht widerstehen konnte. Dann staunten die Urenkel und wenn sie erschöpft zurück auf den Stuhl sank. Verlegen hob sie dann die Hände und meinte, dass sie nun wirklich zu alt dafür sei. Aber sie strahlte und in ihren Augen spiegelte sich eine Jugend, die ich nur von Erzählungen kannte. Ihren jugendlichen Übermut hat sie nie verloren meine Großmutter. Selbst kurz vor ihrem Tod im Krankenbett liegend, wies sie mich noch schmunzelnd auf einen hübschen Pfleger hin. Der hätte ja gar so schöne Schneckerl. Dunkle Schneckerl, die ihr so gut gefielen. Hatte sie doch immer eine Vorliebe für Männer mit dunklen Locken. Das war ihr so lieb wie ein guter Tänzer. Ihr Mann, der Schorsch, war plattert und konnte überhaupt nicht tanzen. Aber das war nicht wichtig. Sie hat ihn ja so gern gemocht, ihren Schorsch. Auch den Martl, die erste große Liebe, die starb bevor er sie heiraten konnte und ihr den ersten Sohn schenkte. Leicht war es nicht mit einem ledigen Kind und dem Hof den sie übernommen hatte. Der Krieg, das Gerede, die Eltern und die nie endende Plackerei. Aber manchmal, da tanzte sie. Davon erzählte sie gerne mit leuchtenden Augen. Auch vom Schorsch, der ihr Mann und der Vater von einem Buben und einem Mädchen wurde. Es muss ein feiner Mann gewesen sein. Plattert und kein Tänzer, aber eben ihr Schorsch. Im Krieg war er und als er aus war, der Krieg, da hatten sie nicht viel Zeit. Der Krebs hat ihn sich geholt und alleine zurück gelassen mit dem Hof und drei Kindern. Es hat sie hart gemacht und auch ein bisschen ungerecht. Aber als Enkelin spürte ich davon nichts. Freilich hat keine so schimpfen können wie sie. Auch grantig war sie, wenn es nicht nach ihrem Kopf ging. Nicht lang, dann waren die Wolken verflogen. Greißlich schmeckten die überreifen Kiwis, die sie extra für mich gekauft hat. Dass ich sie unreif lieber mochte hat mir nichts geholfen. Allzu gut schmeckte alles andere. Die Dampfnudeln, die Fingernudeln, das Knödlgröstl und die Schnittlauchbrote. Den Hefezopf mochte der Hund am liebsten. Das war ein schönes Gespann. Die kleine Frau und das Kalb von einem Hund, der sie mehr als einmal vor Freude zu Boden gerissen hat. Sie schimpfte über ihn und mochte ihn doch so gern. Als er alt war und Magenprobleme hatte waren sie Leidensgenossen, weil auch sie immer Magengeschwüre hatte. Dann bekam auch der Hund eine Rollkur und am letzten Tag, bevor er eingeschläfert wurde einen ganzen Hefezopf – eingetauchte in Malzkaffe. Ein Malzbier bekamen die Enkelinnen gebracht, weil das den Milchfluss nach der Geburt anregt. Und ich die Wange getätschelt, wenn´s wieder einmal mit dem vermeintlich richtigen nicht geklappt hat. Auch gute Ratschläge. „Jetzt bi staad. Des war a rechter Halodri. Der hätt da doch nia aloar kead.“ Verstanden hat sie mich aber doch. Weil doch der meine dunkle Schneckerl hatte und tanzen konnte.

Vor dem Haus auf der Bank ist sie gern gesessen. Manchmal kam der Nachbar, noch älter als sie und mit dem gleichen verschmitzten Charme gesegnet. Fragt lachend ein junges Mädel ob es überall so braun wie an den Armen sei und sie haut ihm auf die Schulter, lacht aber selbst wie ein junges Mädchen. Das ist sie immer geblieben. Jung. In ihren Augen hat man es gesehen. Auch als sie schon nicht mehr wollte. Als alle von früher tot waren und nur sie noch übrig war. Da fiel der Badschrank auf sie, als sie auf dem Klo saß und sie musste sich von uns anhören, dass ihre Zeit noch nicht gekommen war. Schließlich lässt sie sich, zäh wie sie ist, nicht so einfach erschlagen. Am liebsten hatte sie ihre Männer. Den Enkel, den Schwiegersohn und den Sohn. Sie mochte es, wenn sie mit ihr schäkerten. Da durfte es ruhig mal a bisserl ruppiger sein. Die letzten Monate lag sie im Bett und konnte nicht mehr aufstehen. Ihr Schwiegersohn kam rein, blieb in der Tür stehen und fragte sie lachend, ob sie sich denn nicht wenigstens die Haare hätte richten können. Da lachte sie Tränen und war wieder jung. Ganz zum Schluss fütterte ich sie mit Joghurt und meine Mutter schimpfte, dass ich ihr die Löffel zu schnell hintereinander an die Lippen setzten. Ich entgegnete, dass ich das bei den Kinder doch genauso mache und wir stritten uns ein wenig. Meine Großmutter lächelte und dachte vielleicht an all die Kindermünder die sie schon gefüttert hatte.

Wir fragten sie, mit wem sie denn im Himmel tanzen würde. Es gäbe ja drei Männer die da auf sie warteten. Im Alter hat sie noch mal geheiratet. Den, den ich Opa nannte und der immer Guartl in der Tasche hatte. Mit ihm ist sie noch viel vereist, als sie den Hof übergeben hatte und hat sich ein bisschen die Welt angesehen. Über die Frage dachte sie nur kurz nach. Dann blitzten ihre Augen auf und sie strahlte. Natürlich mit dem Schorsch. Tanzen vielleicht nicht. Das konnte er ja nicht. Aber glücklich würde sie mit ihm sein. Und so schön würde es sein.

Wollen Sie ihr ein bisschen zuhören? Dann lassen sie sich von der Anfangsmusik nicht schrecken und hören Sie, wie sie vom Tanzen erzählt. Ihre Augen strahlten dabei wie auf dem Bild. Ich weiß es, weil ich dabei war als man sie bat zu erzählen.

Danzt hob i für mei Leben gern

1944 Oma und Opa

38 Gedanken zu “Danzt hob i für mei Lebn gern

  1. Mei, is des schee. 🙂
    Das ist also offensichtlich der Schorsch auf dem Buidl. Ein Heiligenschein – schon zu Lebzeiten. Reschpeggt! 😉
    Na, sowas! Meine Oma war ein Jahr älter. Und im Trachtenverein war sie auch. Und sogar ein ‚ledigs Kind‘ hatte sie. Allerdings nur, weil sie ein richtiger Sturschädel war. Sie hat den Kindsvater nämlich geheiratet. Aber erst, als das Kind (meine Mama) schon da war. Denn von ‚heiraten müssen‘ wollte sie nix wissen…

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      1. Das dürfte daheim schon das eine oder andere ‚Tänzchen‘ gegeben haben. Mit einem polternden Vater, einer händeringenden Mutter. Und dann musste man wahrscheinlich noch froh sein wenn sich die hohe Geistlichkeit nicht einmengt, wenn da ein Kind ‚ohne den Segen der Kirche‘ geboren zu werden droht.

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      2. Ach, ich bin doch gerne nett in meiner Ausdrucksweise. Vor allem, wenn ich damit grenzenlos tiefstapeln kann. 🙂
        Es ist ja auch deshalb erstaunlich, weil die beiden ja eh heiraten wollten (und es auch getan haben). Nur eben nicht so husch-husch VOR der Geburt des Kindes.

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  2. Eine wundervolle Hommage an deine Großmutter hat du da geschrieben. Und wie schön ist das denn, das man ihre Stimme dazu hören kann und sich damit das Bild abrundet. Meine Mama war auch eine so tolle Tänzerin die sich,bis kurz vor ihrem Tod, jeden Freitag im Seniorentreff herumschwenken ließ. Und sie konnte sich auch immer die besten Tänzer aussuchen.

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      1. Liebe Mitzi, ich war und bin wirklich ganz gerührt. Erinnert mich auch sehr an meine eigene Oma, die leider auch nicht mehr ist, die aber den gleichen Satz im gleichen Dialekt oft gesagt hat.

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  3. Deine tolle Erzählung bringt deine Großmutter sehr herzlich rüber, fein!
    Ich tanzte auch für mein Leben gern.. manchmal heute noch allein für mich.
    Das ist eine Leidenschaft, die gibt man nicht wieder ab. 😉

    Liebe Grüße,
    Silbia

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  4. Sie hat auch noch eine so junge Stimme – deine Oma – in dem Video. Gar nicht wie eine über 90jährige. Und der Humor und die Lebenslust klingen durch.
    Natürlich auch in deiner Beschreibung, die ich sehr gerne gelesen habe.

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  5. Ein wunderbarer Nachruf, liebe Mitzi, und gleichzeitig ein echt bayerisches Lebensbild, abgerundet durch den O-Ton im Video. Bei solch kraftvollen Vorfahren muss man sich nicht wundern über das Besondere an dir, das sich in deinen Texten spiegelt.

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