Marianne

Gestern, als mich einer fragte, was zum Henker ich eigentlich könne, habe ich an Marianne gedacht. Wenn mich jemand ärgerlich und aufgebracht, fragt was ich eigentlich kann, wollte ich lange Zeit nicht antworten. Hätte ich es getan, dann hätte ich zugeben müssen, dass ich recht wenig kann und er oder sie mit dem unterschwelligen Vorwurf Recht hat. Sinnvolle Talente besitze ich nicht. Vor vielen Jahren habe ich das auch Marianne erklärt.

Ich traf sie im Biergarten in der Münchner Innenstadt. Sie arbeitete vom Frühjahr bis zum Herbst auf einer kleinen Alm und kümmerte sich dort um die Tiere. Schön klang es und ich blieb einfach sitzen, als meine Freunde gingen. Wenn einer richtig gut erzählen kann, dann macht das Zuhören Spaß und man will selbst gar nichts sagen, um nicht zu unterbrechen. Letzters tat ich irgendwann doch. Echt, mischte ich mich ins Gespräch, bei dir kann man auch ein paar Tage bleiben? Marianne nickte und sah mich freundlich an. Freilich, bestätigte sie, sofern ich mithelfen würde. Was ich denn könne, erkundigte sie sich und ich strahlte sie an: Nix, aber ich mache alles. Marianne lachte. Das wären nicht die schlechtesten Voraussetzungen. Als alle anderen gegangen waren, blieben wir sitzen und ratschten weiter. Ich sagte Marianne, dass meine Frage nicht ernst gemeint war und ich wirklich nichts kann. Verlegen lächelnd gab ich zu, dass ich von den allermeisten Dingen keine Ahnung habe und deshalb auf einer Alm völlig hilflos wäre.

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Ein Holzscheit hätte gereicht

Du hättest mir etwas vererben müssen.

Wenn jemand stirbt, dann vererbt er denen, die zurückbleiben etwas. Das macht man so. Das hättest auch du so machen sollen. Eine Vererbung ist kein großer Aufwand. Ein Blatt Papier und ein wenig Gedankenarbeit. Das sollte reichen. Zumal man davon ausgehen kann, dass die, die etwas erben, dem der vererbt bekannt sind und es ihm nicht schwer fallen sollte, zu wissen mit was man ihnen eine Freude macht. Ich dürfte dir sehr bekannt gewesen sein. So gut bekannt, dass dir klar gewesen sein muss, dass es wichtig gewesen wäre. Wenn ich mich recht erinnere, hatte ich dir das sogar mehrfach gesagt. Ziemlich egoistisch, sich dennoch darüber hinweg hinzusetzen. Doppelt egoistisch, wenn man sich aus eigenen Stücken aus dem Staub macht. Dann könnte man sich vorher um sein Erbe kümmern. In einer angemessenen Art! Es ist eindeutig nicht angemessen, seinen kompletten Besitz und seine komplette Existenz vor dem endgültigen Schritt zu entsorgen. Wahrscheinlich wäre nicht mal die Arbeit der Gedanken oder ein Blatt Papier nötig gewesen. Du hättest mir einfach ein Stück Holz in die Hand drücken können. Kein geschnitztes, kein bearbeitetes. Nein. Ein verdammtes Holzscheit hätte komplett gereicht. Sterbenden erfüllt man einen letzten Wunsch. Gut so. Es wäre aber doch nett, wenn Sie den Lebenden ebenfalls einen Wunsch erfüllen würden. Das wäre persönlich, und nicht so schrecklich stur, wie du es zum letzten Tag gewesen bist.

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Saublöde Idee

Eine Scheißidee sei es gewesen, brülle ich in mein Handy, als es das vierte Mal binnen einer halben Stunde klingelt. Eine richtige Scheißidee – Ausrufezeichen, schieße ich verbal hinterher, bevor ich das Telefon in meine Handtasche werfe und auf allen Vieren versuche eines der vier Räder meines Trollys aus der Ritze des Gullis zu befreien. Die Sprache wechselnd, aber mit identischem Tonfall, brülle ich Sekunden später in Richtung eines Autos, dass ich die Straßenmitte sehr gerne verlassen würde – aber nicht ohne meinen Koffer. Fünf Minuten später entschuldige ich mich bei dem Autofahrer für meinen Tonfall und rechne ihm hoch an, dass dieser ihn lachend ignoriert hat, ausgestiegen war und das Rad meines Koffers aus der mistigen Gulliritze gezogen hat. Eine weitere Entschuldigung erfolgt fernmündlich, bei jenem Anrufer, der das Pech hatte mich kurz vor einem Hitzschlag zu fragen, ob er sich gelohnt hat – mein 36 Stunden Italienbesuch. Ja, hat es. Nur die letzte Stunde war scheiße. Aber da war ich selbst Schuld. Weiterlesen

Bunte Fäden

Warum ohne Partner fragen sie mit strafendem Blick und erkundigen sich ob ich es mir nicht zu blöd wird, zwischen all den Paaren alleine am Tisch zu sitzen. Ich frage mich, wie es wohl einer geht, die wirklich niemanden hat und eine so blöde Frage gestellt bekommt. Was soll so eine sagen? Nicken, gehen und sich daheim aufhängen, weil es ihr zwischen all den Paaren zu blöd ist? Ich sage es laut, weil es auch mir schon jetzt zu blöd ist und ernte irritierte Blicke. So war es ja nicht gemeint. Ich sei ja nicht wirklich alleine, aber ich könne schon mal jemanden mitbringen. Jemanden den man kennt und an den man sich erinnert. Sicher bin ich kein Maßstab, aber an keinen der Partner die hier mitgebracht wurden, kann ich mich erinnern. Die erste Scheidungswelle ist durch und fast jeder Grundschulklassenkamerad hat ein gänzlich unbekanntes Gesicht an seiner Seite. Eines das repräsentativ und vorzeigbar ist, weil es nichts blöderes gibt, als alleine auf ein Klassentreffen zu gehen. Ich merke es auch und spiele mit dem Gedanken spontan meinen 22 jährigen Neffen für einen Unkostenbeitrag von 50 Euro für den Abend zu rekrutieren. Weitere Einladungen würden mir dann vermutlich erspart bleiben. Ich spare mir das Geld und ihm die Zeit und konzentriere mich ganz auf das hervorragende Essen, während die Erfolgsgeschichten der verschiedenen Leben über den Tisch geworfen werden. Weiterlesen

Schönes, schönes Leben

An manchen Tagen ist mir die Welt zu groß und zu unübersichtlich um sie zu verstehen. Es ist leichter, sich auf den Mikrokosmos zu konzentrieren, der das direkte Umfeld bildet. Er unterscheidet sich nicht viel vom großen. Auch in meinem Haus ist all das zu finden, komprimiert und übersichtlich, das die komplette Stadt repräsentiert und wahrscheinlich noch mehr. An manchen Tagen überfordert mich auch das.
Neben mir zerbricht eine Welt, während über mir ein neues Leben eingezogen ist. Unten stirbt einer und einer, der ihn vermisst, bleibt übrig, während im Hinterhaus so heftig gestritten wird, dass man den Laubengang meidet und sein Paket lieber auf der Post abholt. Rechts neben mir hoffen sie, während sie ganz oben längst damit aufgehört haben.
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Träume U-Bahn Gedanken

„Das ist mir das Leben schuldig, verstehst du?“, erklärt die Frau schräg neben mir, ihrer Arbeitskollegin. Seit es  kühler geworden ist und öfter regnet, begleitet mich ihre Stimme auf dem Weg zur Arbeit. Sie und ich steigen morgens an der gleichen Haltestelle ein und sitzen uns häufig gegenüber. Ich mag ihre klare und dunkle Stimme, verstehe aber auch nach zwei Wochen noch immer nicht, warum ihr das Leben etwas schulden sollte. Der Pakt, den sie bei ihrer Geburt mit dem ganzen großen Universum geschlossen zu haben glaubt, steht für mein Empfinden auf einem doch recht wackligem Fundament.  Sie ist jetzt fünfundvierzig, höre ich sie sagen, da stehe es ihr doch zu, sich einen anständigen Urlaub leisten zu können und nicht mehr an einem mittelklassigen spanischem Strand zwischen lauter Großfamilien liegen zu müssen. Sie sagt es nicht zu mir. Wir kennen uns nicht. Wir sitzen nur zufällig nebeneinander. Und weil wir uns fremd sind, kann ich sie nicht fragen, wie sie denn auf die irrwitzige Idee kommt, dass ihr das Leben etwas schulden sollte. Schließlich hat sie selbst weder zu ihrer eigenen Geburt noch zum Erreichen des fünfundvierzigsten Lebensjahres etwas nennenswertes beigetragen. Sie, die mir in der U-Bahn gegenüber sitzt, hat viele Träume. Einen Teil davon habe ich in den letzten Tagen mitbekommen. Eine Wohnung mit einem anständigen Balkon, das würde ihr nach all den Jahren mit einem Wohnzimmer Richtung Norden zustehen. Auch ein besser bezahlter Job. Der aber nur für die nächsten Jahre, denn mit Fünfzig hätte sie keine Lust mehr täglich in die Arbeit zu fahren. Dann würde sie sich gerne im Süden niederlassen und dort ab und an ein paar Yogastunden geben und ansonsten als Lebensberaterin tätig sein. Natürlich auch ein Mann, der ihren Ansprüchen gerecht wird und eigentlich wäre sie schon lange an der Reihe um endlich einmal den Lotto Jackpot zu gewinnen. Weiterlesen

Feiern wie 1999 – keine Lust

Lasst uns meinen Geburtstag feiern, wie damals 1999, schreibt er und ich habe keine Lust mehr. 1999 war ein anderes Jahrtausend. Mit Partys, die mir nicht im Gedächtnis geblieben sind, weil 1999 jeden Tage eine Party war. Er schreibt uns, wen er eingeladen hat und ich habe noch weniger Lust. Trotz der charmanten und humorvollen Kurzbeschreibungen, zieht es mich – die er im Text zur Erotik Bloggerin gemacht hat – nicht wirklich hin. 1999? Das war vor 17 Jahren. Es war gut. Heute ist auch gut. Aber lass uns feiern wie 1999 klingt bescheuert. Oder nicht, frage ich dich und du zuckst mit den Schultern. Die ganze Zeit schon musterst du mich und deine Mundwinkel umspielt das Lächeln, das ich manchmal nicht mag weil es mich neckt und verspottet, wenn ich trotzig auf meine Unlust und meine schlechte Laune bestehe. Weiterlesen

Nicht aussteigen 

Das leise streitende Paar in der Straßenbahn sollte noch nicht aussteigen. Nicht solange sie noch streiten und nicht solange nicht mindestens einer von ihnen wieder lächelt. Einer reicht, höre ich dich sagen und nicke. Natürlich reicht einer. Einem Lächelnden kann man schwerer böse sein und ein Lächeln lässt Streitmauern immer ein kleines Stück bröckeln. Es erinnert mich daran, dass ich dir böse bin. Du hast Geburtstag und ich mag dich heute nicht. Ich empfinde es als Zumutung an die Geburtstage von Menschen denken zu müssen, die nicht mehr hier sind, um ihn zu feiern. Wenn die Zahl der Geburtstage, die nicht mehr gemeinsam gefeiert werden können, die Zahl der Geburtstage, die man gemeinsam verbracht hat, übersteigen, dann wird das Datum scheußlich. Weiterlesen

Ein zweiter Blick

Er hätte jetzt ein Katze, teilte mir ein etwa siebzig jähriger Mann vor einigen Wochen mit. Ich kannte ihn nicht und stand nur zufällig morgens an der Bushaltestelle, auf deren Bank er saß. Neben sich ein Trolli zum transportieren von Einkäufen und in den Händen ein Smartphone, lächelte er mich freundlich an und deutete auf das Display auf dem wohl ein Foto der Katze zu sehen war. Weiterlesen

Im Juli harmlos

 

Sind Sie schon im August? Ich noch gar nicht. Heute ist der 1. August behaupten die Kalender denen ich begegne. Sie alle sind sich einig, dass der Juli 2016 unwiederbringlich der Vergangenheit angehört. Die Kalender haben keine Ahnung. Ich bin nämlich noch nicht im August gelandet. Ich hänge noch im Juli fest und brauche noch ein paar Stunden, bis ich im August lande. Das hat nichts mit unterschiedlichen Zeitzonen zu tun, sondern nur mit meiner Sturheit. Ich lasse mich ungerne in einen neuen Monat schubsen, wenn ich mit dem alten noch nicht abgeschlossen habe. Weiterlesen