Schwindliger Beton

Immer wenn es regnet denke ich an den Innenhof des Hauses, in dem ich aufgewachsen bin. Tief im Magen spüre ich dann das schlechte Gewissen des Vorschulmädchens, von dem ein kleiner Teil nie ganz erwachsen wurde. Der winzige Rest einer Vierjährigen hat noch heute ein schlechtes Gewissen. Sehr selten, wenn es nach dem Regen, sehr heiß wird, träume ich dann, dass ich wieder ein kleines Mädchen bin. Eines, das mit seinen Stofftieren spricht und bei Sonnenschein stundenlang auf den Stufen im Treppenhaus sitzt und auf die Türe zum Hof starrt. Ich war das einzige Kind im Haus und vermute heute, dass mich die Nachbarn vielleicht für etwas zurück geblieben hielten. Für Erwachsene ist ja schwer zu verstehen, dass es sich durchaus lohnt lange Zeit auf eine geschlossene Tür zu starren. Man müsste ihnen, den Erwachsenen, erst erklären, dass sie nicht einfach starren dürfen, sondern die Augen fast vollständig zusammen kneifen müssen und nur durch einen winzigen Schlitz blinzeln dürfen. Denn nur dann brach sich das Sonnenlicht im grobkörnigen Glas der Türe zum Hof und nur dann sah man alle Farben des Regenbogens zu gleich. Wenn man dann noch gleichmäßig monoton den Kopf von einer Schulter zur anderen drehte und ab und zu ganz schnell nickte, dann wurde einem herrlich schwindlig. Als Vierjährige merkt man nicht, wenn hinter einem getuschelt wird. Sonst hätte ich es vielleicht gelassen. Meine beste Freundin, damals und heute, war zum Glück ebenfalls ein wenig verhaltensauffällig. Sie nahm den Daumen nur aus dem Mund um so schallend zu lachen, dass sich alle nach ihr umdrehten. Das konnte sie schon als Zweijährige. Sie war es auch, die den Schlachtruf „Wursti Wursti“ erfand. Auf ihr Kommando hin, schnappten wir uns das Essen, das auf unseren Tellern lag, matschten es durch die Finger und erstickten fast an unserem Lachen. Wir praktizierten das einige Jahre und ich frage mich heute manchmal, was in unserer Erziehung wohl falsch gelaufen ist.

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