Über die Macht der Rhetorik in der Antike hätte sie gerne etwas geschrieben, sagt sie und wirft ein Beispiel zwischen die alten Grabsteine des alten Münchner Nordfriedhofes, durch den wir im Sonnenlicht des Nachmittags schlendern. Gerade noch waren wir woanders. In der U-Bahn und bei einem anderen Thema und schon sind wir es wieder. Der Moment über ihr Beispiel nachzudenken ist verstrichen und ich lächle nickend über den nächsten Gedanken, der zwischen den alten Bäumen aufblitzt und ihrem wachen Verstand entspringt. Ein Verstand der nicht stillsteht und Gedanken so schnell und sprunghaft in den Raum ihres Geistes wirft, das wohl nur ein Bruchteil den Weg über ihre Lippen findet. Sie plappert und plaudert und doch hört man, dass fast alles was sie sagt, schon einmal an-, be- oder durchdacht wurde. Ihr Verstand ist flinker als der meine und ich spüre, dass sie im Begriff ist mich zu überholen. Bei ihr trete ich gerne zurück. Bin still, damit ihren Gedanken mehr Raum bleibt. Gedanken, von denen mir die meisten noch vertraut sind, manche aber bereits vergessen waren und jetzt wieder durch ihren hübschen Mund geformt und ausgesprochen werden. Fasziniert werfe ich ihr ein Stichwort zu und lache als sie es stirnrunzelnd aufschnappt, kurz darauf kaut und es dann in ganz neuem Gewand ausspuckt. Es war zu einfach. Für geworfene Stichworte ist er zu schlau, der Verstand, und das Zuhören zu schön. Längst sind wir auf Augenhöhe und werden es jetzt die nächsten Jahre bleiben. Ihr Geist ist wacher und flinker, der meine ruhiger und erfahrener. Heute morgen wünschte ich mir im Lotto zu gewinnen. Viel lieber aber möchte ich, dass sie weiter anruft, wenn sie in der Stadt ist und mir von der Macht der Rhetorik in der Antike erzählt. Oder von Platon. Von gestern Abend und von letzter Woche. Von Seneca. Vom Hund und der Katze und von allem was ihr durch den Kopf schießt. Weniges ist faszinierender als eine Neunzehnjährige, die gestern noch ein kleines Mädchen war. Weiterlesen
Es wird
