Nicht nichts

Heute mache ich nichts. Darin bin ich gut. Ich bin die Meisterin im Nichtstun. Hier reicht mir keiner so leicht das Wasser. Es ist nämlich gar nicht so leicht, nichts zu tun und sich dabei nicht zu langweilen oder sich zu fragen ob niemand etwas mit einem machen möchte. Wer nichts tun kann oder nichts tun darf, kann das Nichtstun nicht genießen. Und wer nichts tun möchte, der muss das Nichts vehement verteidigen. Regen und ein Temperatursturz sind dabei unglaublich hilfreich.

Seit gestern Abend kommen die Nachrichten so geballt wie selten im restlichen Jahr. Kurz und knapp sind sie und haben alle den gleichen Inhalt. „Was machst du?“, fragen meine Freund und ich antworte jedem mit dem schönen Wort „Nichts.“ Heute, am Wiesnanstich nichts zu tun, ist ungewöhnlich. Die Frage der Münchner lautet übersetzt nämlich „Hey, in welchem Zelt bist du und wann und mit wem und überhaupt, wollen wir es dem Zufall überlassen uns zu treffen oder machen wir einen Treffpunkt aus damit wir wie jedes Jahr den ersten Tag des Oktoberfest-Wahnsinns gemeinsam genießen können, weil wir ja wissen, dass der erste Tag der beste ist?!“ Mag sein, dass der erste Tag der beste ist. Leider fällt er dieses Jahr auf einen jener Tage, an denen ich nichts mache. Das entscheide ich nicht selbst, das wird für mich entschieden. Im Moment des Erwachens weiß ich, dass heute ein Tag ist an dem ich nichts tun werde. An solchen Tagen bin ich randvoll mit Leben und gesättigt, fast schon überfressen, von Eindrücken. Nichts, aber auch gar nichts, fehlt mir und ich habe Zeit, dieses herrliche Gefühl auszukosten.

Gestern Abend war noch etwas Platz. Viel war es nicht mehr. Ich schleppe noch so viel Sonne, Strand und Meer mit mir herum, dass ich hinter dem Ohr sicher nach Salz rieche und die Unterarme sommerliche Hitze ausstrahlen. In die wenigen freien Lücken, die ich noch hatte, schob sich ein bisschen Bürostress und meine Freunde stopften noch etwas an schönen und banalen Erzählungen in die hintersten Ecken. Es war eine gute Mischung, die ich mit mir herum trug und das letzte bisschen wurde gestern Abend noch durch zwei Kinder ergänzt. Sie packten das Gefühl von nackten Mädchenfüßen oben drauf, schoben den Geruch frisch gewaschener Haare und das Abendteuer des ersten Schultages zwischen den Erwachsenen Alltag. Mit einem selbst gepflückten Apfel und einer gemalten Karten schleppte ich mich zurück und die Umarmung des klügsten meiner Freunde sorgte dafür, dass endgültig kein Platz mehr war. Jetzt liegt es hier rum. All das Schöne und all das Gewöhnliche der letzten Tage. Und ich sitze dazwischen und mache nichts.

An Tagen an denen ich nichts tue, bin ich unheimlich produktiv. Ich schreibe, während ich nichts tue und weil ich nichts tue, ist es egal was dabei heraus kommt. Ich streife durch meine Wohnung, pflücke dort ein welkes Blatt vom Gummibaum und stehe da vor meinen Büchern und warte, welches von mir gelesen werden möchte. Ich höre was der Radio mir vorsingt und sehe wie die Regentropfen am Fenster den Staub der Baustelle runter waschen, während ich nichts tue und dabei Erinnerung für Erinnerung langsam einsortiere. Manche werfe ich weg, andere verpacke ich um sie bei Gelegenheit zu verschenken. Ich widme mich der Wohnung, nicht weil ich muss, sondern weil es sich beim Schlendern gut nebenbei aufräumen lässt. Wenn ich nichts tue, dann gefallen mir die Regenbogen schillernden Seifenblasen des Putzmittels und weil sie so hübsch sind wird das Bad geputzt. Ans Telefon gehe ich nicht. Sonst kommt mir noch einer in die Quere und stört das Nichts. Wenn ich an meinem Handy vorbei laufe, dann schreibe ich dem Anrufer, dass ich gerade nichts mache und mich melde, wenn ich wieder Platz für Neues habe. Ich packe die Eindrücke der letzten Wochen ins Regal und beschäftige mich lange mit einer Kanne Tee. Weil ich nichts tue, habe ich ja Zeit. Zeit um den Wasserkocher zuzuhören, wie er arbeitet. Und Zeit um lange an dem griechischen Bergtee zu riechen, bevor ich ihn in das Teeei gebe. Auch Zeit genug mich über das hübsche Wort Teeei zu freuen.

Nichtstun macht sehr hungrig. Ein Hunger, den man nicht mit einem Butterbrot stillen kann. An Tagen an denen ich nichts tue, darf nichts schnell gehen. Mein Hunger verlangt nach einem Linsencurry mit unendlich vielen Zutaten und einer Schärfe, die dem beginnenden Herbst gerecht wird. Es wird lange auf dem Herd stehen und weil ich sonst nichts mache, schaue ich ihm beim köcheln zu.

Jetzt müssen Sie mich entschuldigen. Ich habe so viel zu tun, wenn ich nichts mache.

 

45 Gedanken zu “Nicht nichts

  1. Liebe Mitzi!
    Jetzt wollte ich soeben ganz ausführlich kommentieren, aber da Sie so viel zu tun haben, wenn Sie nichts machen, will ich Sie wirklich nicht weiter stören.
    Ich wünsche ein wunderschönes Wochenende … was machen Sie da eigentlich? 🙂
    Herzliche Grüße aus dem Nichts
    Mallybeau

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      1. Oh, Sie haben das Nichts bereits durchlöchert. Was sieht man da wohl durch die Löchlein? Nichts? Ich sende herzliche Sonntagsgrüße 🙂

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      2. Da fällt mir noch was ein, wo wir heute schon beim Thema Kunst waren. Löcher ins Nichts zu löchern ist ja auch eine Kunst für sich. Gratulation. Der Weltruhm lässt nicht lange auf sich warten. Planen Sie eine Dauerausstellung? Eintritt mit Lochkarte? Ich komme bestimmt, wenn ich nicht gerade in ein Loch gefallen bin … 🙂

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      3. Dem Druck wäre ich vermutlich nicht gewachsen. Zudem stehe ich beim Müsiggang mit all den Katzen in harter Konkurrenz.
        Privat lässt sich aber sicher etwas arrangieren. Ich werde bald mit der Planung beginnen und es sie wissen lassen. Einladung folgt per Brieftaube.
        Herzlichst
        Mitzi

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  2. Wunderbar ist es dem Einsortieren schöner Erlebnisse nachzulauschen, genieße es. Es ist kostbar einmal eine gewisse Zeit ganz bei sich zu sein, den Input der letzten Tage seinen Platz zuzuordnen und dann das Hier und Jetzt wirklich wahrzunehmen und ganz bei sich zu sein. Jeder sollte sich ab und an eine solche Auszeit gönnen.

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  3. Sehr sehr treffend und punktgenau geschrieben.
    Im Nichtstun nichts machen und dabei die Freude zu genießen von nichts muss.
    Herrlich.
    Und dabei entsteht oftmals das schönste.
    Im Luxus nichts zu müssen.
    Können im Nichtstun und dabei alle Möglichkeiten haben.
    Ein wahrhaft guter Edit.

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  4. Alles richtig kleine Schwester!

    Schon früher habe ich Dich um Deine Fähigkeit „Nichts zu tun“ beneidet! Viel zu leicht ließ und lasse ich mich in nicht selbstbestimmte Handlungsstränge leiten – um des öfteren festzustellen, eben nicht Nichts zu tun. Hab`s mir oft vorgenommen, selten geschafft. Deshalb Gratuliere ich Dir zu diesem Tag und wiederhole Deine Aussage: Hier reicht Dir keiner so leicht das Wasser! Behalte Dir diese Eigenschaft, aus meiner Sicht wertvoller als manche Deiner anderen zahlreichen Talente.

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    1. Ihr habt es mir leicht gemacht. Du musstest anpacken und ich als Kleine hab dir schon mit acht stundenlang nur zuschauen dürfen. Schon damals haben wir unsere Rollen zugeteilt bekommen. Du hast die Verantwortung übernommen und von mir hat man eh nichts sinnvolles erwartet.
      Als liebster und einziger Bruder kann ich dir aber versichern, dass unsere Familie ohne dich nicht funktioniert hätte. Und für mich gilt das noch heute. 😘😘

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      1. Bei unseren gemeinsamen Zeiten auf der Hütte hast Du mir gezeigt, dass es ausser ständiger Arbeit auch andere Lebensentwürfe gibt. Das habe ich damals zwar nicht verstanden, trotzdem war es für meine Weiterentwicklung unheimlich wichtig! Die fehlende Erwartungshaltung von uns Geschwistern( …von mir hat man eh nichts sinnvolles erwartet) hat Dir offensichtlich nicht geschadet – ich denke die Rolle mit Erwartungshaltung an Dich war stark besetzt…. Die Ziele die Du Dir selbst gesetzt hast, haben mir immer imponiert. Die Art und Weise wie Du sie erreicht hast, haben mich beeindruckt! Deinen Mut und Dein Durchhaltevermögen ( z. B. Italien ) habe ich immer bewundert – ich habe es Dir nur bisher nie gesagt. – Trotzdem bist Du eine Meisterin im Nichtstun – bewahre Dir diese Eigenschaft bitte! 😉

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  5. Nichts machen, eine gute Idee! Ich habe mir für dieses Wochenende mal auch absolut nicht vorgenommen. So kann ich dann jetzt auch mal hier sitzen und einfach ein bisschen im Internet stöbern 😀 :D…Danke für diesen Beitrag und ganz viele Grüße aus unserem passeiertal hotel …Maren

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  6. Ich bin dafür dem nichts tun eine eigene Berufssparte zu gewähren! Da heute Wahl ist werde ich einfach mal genau das als Anmerkung auf den Wahlschein schreiben! Oder auch einfach nichts tun…schwere Entscheidung….Einen angenehmen Sonntag aus dem Kreativasyl das sich soeben dem sonntäglichem Nichtstun hingegeben hat! ~Any~

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  7. In meinem nächsten Leben werde ich Faultier. Bei dem Regenwetter heute, habe ich meinen Bücherstapel angegriffen und gelesen, was das Zeug hilt. Ich bekam sogar Ideen für einen neuen Blogbeitrag. Manchmal ist Regenwetter herrlich. Die Temperaturen kühlen ab und es richt frisch nach Regen.

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    1. Du hast recht. Nach dem schönen Sommer und den warmen Temperaturen, kann man den Regen auch mal richtig genießen. Lesen ist im Herbst und Winter meine Lieblingsbeschäftigung. Grüße von einem zweiten Faultier. 😀

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  8. ❤ wundervoll. mir fällt es so furchtbar schwer, nichts zu tun, obwohl es so gut, so schön, so wichtig ist. beim titel musste ich an annenmaykantereit denken – zufall? 🙂

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