Immer wenn ich von der Hütte zurück kehre, hänge ich mindestens einen Tag lang fest. Wenn ich in der Früh den Berg hinab gestiegen, in den Zug nach München gestiegen bin und mittags auf meinem Balkon in München sitze, dann denke ich daran, wie still es jetzt auf der kleinen Lichtung im Wald ist. Ich weiß genau wo die Sonne steht und stelle mir den Holztisch und die Bänke vor, in deren Mitte jetzt kein hellblauer Sonnenschirm mehr steht. Ich ahne, dass die kleinen Siebenschläfer nur auf die Dämmerung warten, um noch lauter und ungestüme durch die Zwischenwände des kleinen Häuschens zu poltern, als in den letzten Tagen. Auf unserer Hütte bin ich Gast. Obwohl wir sie gebaut haben, ist sie es, die mich willkommen heißt und mir erlaubt eine Weile bei ihr zu sein. Wenn ich die Türe nach ein paar Tagen schließe, wird es dort oben still und das Leben der Hütte und ihren Bewohnern geht ohne mich weiter. Ich bin nur ein Gast und das ist gut so.
Noch vor ein paar Jahren war es etwas besonderes, wenn wir an einem Wochenende alleine auf der Lichtung waren. Seit Corona aber, ist die größere Hütte, die neben unserer kleinen steht komplett verweist. Da sie vermietet wird, müssen feuerpolizeiliche Auflagen erfüllt werden. Auflagen, an die vor der Pandemie niemand dachte und die jetzt nur schwer umzusetzen sind. Bis es soweit ist, kommt niemand sie besuchen. Ab und zu steige ich über die Außenleiter – ein erster Versuch die Auflagen zu erfüllen – auf dem Balkon und setze mich dort auf die Bank. Einfach nur, weil es sich richtig anfühlt, dass ab und zu dort jemand sitzt. Es gefällt mir, wenn die Leute aus dem Dorf, die beide Hütten kennen, sich ebenfalls dort oben niedlassen oder sich auf die Terrasse setzen und in der Sonne eine Pause machen. Ein Haus, in dem seit über zwei Jahren niemand mehr wohnt, ist ein bisschen traurig. Es wird gepflegt. Nicht zuletzt von meinem Vater, der grundsätzlich auch vor der großen Hütte, die Sträucher beschneidet, das Unkraut rupft und ihr vermutlich im vorbeigehen gegen die alten Holzbretter klopft und ihr einen schönen Tag wünscht. Trotzdem… Das Leben, das Lachen und die Geräusche fehlen dort oben. Sie haben sich so sehr in das Holz der Balken gefressen, dass sie es noch immer mit harzigem und wohligem Duft vermengt ausstrahlen. Ein schöner Erinnerungsschwerer Geruch. Weil aber nichts neues mehr dazu kommt, werden die Strahlen mit jedem Wechsel der Jahreszeit schwächer. Es fühlt sich falsch an.
Auch auf der kleinen Hütte hat sich viel verändert. Früher, als wir alle jünger waren, waren wir dort oft mit zehn oder sogar zwanzig Freunden. Heute sind es kleinere Gruppen. Wir haben Familie und die jüngern, die nachkommen, haben andere Orte an denen sie ihre Feste feieren. Ich glaube für unsere Hütte ist das nicht schlimm. Die Welt dreht sich weiter, murmelt die Hütte, und dass es in Ordnung ist, solange wir ab und zu hoch kommen, um uns um sie zu kümmern. In der Zwischenzeit hat sie den Hund der täglich bei ihr vorbeischaut und ist das zu Hause von unzähligen Spinnen, Feuersalamander, Siebenschläfer, Mäusen, Vögeln und ab und zu einem Reh auf der Lichtung. Es geht ihr gut, unserer Hütte, solange sich noch immer neue Erinnerungen und Erlebnisse in die alten Bretter eingraben. Diese bewahrt sie für uns auf. Für mich einige an einen, der schon lange nicht mehr bei mir ist. Es sind die wertvollsten und jene, die nur aufsteigen, wenn ich alleine dort oben bin. Ganz hinten im Schuppen liegen einige Stücke grob beschnitztes Holz. Ob jemals etwas daraus geworden wäre, weiß ich nicht. Aber einer hielt sie in Händen und deshalb liegen sie hier. Und unter dem Holzstapel vor der kleinen Hütte liegen Kirschkerne, die an einem anderen Ort aufzubewahren albern wäre. Hier oben ist nichts albern. Hier liegen sie gut und verströmen geruchlose Erinnerungen an all das was war.
Langsam wird es in München Abend, ich weiß, dass die Sonne jetzt nur noch in die kleinen Fenster oben unter dem Dach scheint. Die Geräusche der Insekten ändern sich genauso wie das Vogelgezwitscher. Langsam werden die Siebenschläfer etwas wacher. Und wenn ich heute Nacht ins Bett gehe und es dunkel ist, dann weiß ich, dass eine tiefschwarze Ruhe über der kleinen Hütte mitten im Wald hängt. Es ist keine unheimliche Nacht. Wäre ich dort oben, dann würde ich mich sicher und geborgen fühlen. Der Ofen wäre an und die Bank vor dem Haus wäre von einem kleines Quadrat aus Licht beschienen. Aber ich bin in München und dort oben ist es dunkel und still. So still und dunkel es mitten im Wald bei einer Vollmondnacht eben sein kann. Nicht sehr still und nicht sehr dunkel.

So ein schönes Bild, dass die Holzhütte getätschelt wird von deinem Vater und von dir wahrscheinlich auch. Und die Kirschenkerne aus denen kein Baum mehr wird, aber der Schmerz wird zu Melancholie …
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Ja… von mir auch 😉
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das habe ich mir eh gedacht 😉
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Da hast du einmal mehr ein erzählerisches Kleinod erschaffen, liebe Mitzi!
Ich sehe die beiden Hütten beinahe vor mir; die grosse etwas ratlos ob der Zwangsruhe, die kleine still und zufrieden, dass ab und an jemand in ihr Zuflucht und Erholung sucht. Und klar, die Tiere des Waldes und der gärtnernde Vater sind gute Gesellschaft, aber schade ist es ganz sicher, dass sich eine lange gepflegte Tradition so langsam etwas aufdröselt.
Darüber das liebevolle Gedenken dessen, der nicht mehr bei dir ist – mich rührt es an.
Ich hoffe, deine Münchner Wohnung hat dich auch wieder freudig aufgenommen und du verbringst auch dort ein schönes Wochenende.
Liebe Grüsse aus der herbstlich bunten Schweiz
Eva
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Liebe Eva, ich bin rundum zufrieden wieder in München und meine Wohnung ist ein feines Nest, in dem es sich gut aushälten lässt.
Du erkennst es gut, ein bisschen trauere ich den alten Zeiten hinterher. Andererseits, stehen bald runde Geburtstage an und ich kann mir keinen besseren Ort vorstellen, als den einen oder anderen da oben zu feiern. Die Siebenschläfer werden dann etwas wenig Schlaf bekommen 😉
Liebe Grüße aus dem auch bereits bunten München.
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Ach, liebe Mitzi, wer trauert nicht gelegentlich den guten alten Zeiten hinterher, oftmals vergessen habend, dass sie so gut auch wieder nicht waren, oder jedenfalls nicht alle und nicht immer.
Doch mit den hoffentlich runden Geburtstagsfeiern zu den runden Geburtstagen schaust du ja in die Zukunft, und das ist letzten Endes die Richtung, in die wir leben müssen. Zurück geht nicht, selbst wenn manche, einige, viele gerade heftig versuchen, die Uhren und Kalender auf eine sehr ungute alte Zeit zurückzudrehen.
Für die Siebenschläfer kann ich natürlich nicht sprechen, aber wer weiss, vielleicht freuen auch sie sich auf ein wenig Feierstimmung und den einen oder anderen Schluck Bier oder Wein, aus Versehen vergossen, und ein paar leckere Häppchen vom Festbuffet, aus Unachtsamkeit zu Boden gefallen…
Herbstliche Grüsse bei sommerlichen Temperaturen aus der Schweiz
Eva
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Liebe Eva, so sehr ich es auch. Ein rückwärts gerichteter Blick bringt nichts. Ein bisschen Sentimentalität dürfen wir uns gönnen und auch zurück erinnern schadet nichts, solang Blick uns Schritte nach vorne gerichtet sind. Mancher geht und denkt gerade rückwärts in unschöne Zeiten. Beängstigend und beunruhigend.
Für die Siebenschläfer fällt sicher etwas ab. Sie sind verrückt nach frischem Obst. Wir räumen das meiste aber weg. Von zu viel bekommen sie nämlich Durchfall…🙈
Liebe Grüße
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Dort wird es eh nichts mit Kirschen, Kirschbäumen und -ernte. Haselnüsse, ja. Den Kerschgeist wirst, wie weiland der Brandner Kaspar, schon selbst holen müssen. Aus dem Tal, aus der Stadt oder dem Rucksack des Mitwanderers, um beim Vorbild zu bleiben. Ja, der Brandner… der durfte auch mal eben oben reingucken. Und wollte dableiben. Aber dich zieht es, wie den Thoma’schen Dienstmann, doch wieder in die Stadt, wenn auch nicht gleich ins Hofbräuhaus?
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Hätte ich die Wahl, dann würd ich mich sofort dem Kaspar, dem Brandner anschließen. Auf dem Bankerl würd ich das Karteln um die Lebenszeit beobachten und wenn´s dann so weit wäre, dann würd ich mit nach oben gehn. Am Gustl Baierhammer vorbei und ins Paradies schauen. Wenn so wäre wie im alten Film, dann würd mir das gefallen.
Lebend aber, da mag ich den Alois und freu mich für alle, dass er nicht dauerhaft auf seiner Wolke sitzen muss. Das Hosiana liegt ihm ja so gar nicht 🙂
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… und (nicht nur) die bayrische Regierung wartet weiterhin vergebens auf die göttlichen Ratschläge.
Ich muß aber sagen, dass es im alten Film, jetzt wieder der Brandner, eine grausame Szene gibt. Nein, nicht die wie so oft dumm handelnden Menschen – der Dackel stürzt ab! Ich weiß nicht, wie alt ich war, als ich die erstmals sah, aber die Szene geht mir nach.
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Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Wahrscheinlich habe ich es verdrängt, weil mir so ein Dackel weit mehr als jeder andere Protagonist nahe gegangen wäre.
Zur bayerischen Regierung sag ich nix. Ich muss mich vom Wahlergebnis erst noch erholen.
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Man muß Thoma aber doch für seine Voraussicht in dieser Hinsicht loben, auch wenn er als hässlicher Antisemit auffällig wurde, was er nun wieder mit manchen modernen Akteuren teilt.
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Eine Wiederbegegnung mit der einsamen Hütte aus dem Mitzi-Kosmos ist immer erbaulich. Unerfreulich allerdings der Leerstand bei der Nachbarhütte. Doch das brachte feine Poesie hervor: „Das Leben, das Lachen und die Geräusche fehlen dort oben. Sie haben sich so sehr in das Holz der Balken gefressen, dass sie es noch immer mit harzigem und wohligem Duft vermengt ausstrahlen.“
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Lieber Jules, gerade eben teilte mir mein Vater mit, dass er seine Erkältung auf der Hütte auskurieren wird. Gegen die Vereinsamung kämpft er also an und am Wochenende werde ich vorbei schauen.
Wer weiß…vielleicht sehne ich mich in einem Jahr schon nach der jetzigen Ruhe, wenn dort wieder mehr Trubel herrscht.
Danke für deine lieben Worte
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