Waldschön

Kurz noch sehe ich die Bremslichter des Autos aufleuchten, dann ist es weg. Der Wald hat es verschluckt. Hier oben, im Dickicht der Bäume, verschwinden die Dinge schneller als unten im Dorf oder auf dem flachen Land. Autos werden nur selten verschluckt. Hier oben vor der kleinen Hütte endet die holprige, befahrbare Straße und nur wer zu mir möchte, fährt sie. Heute sicher niemand, weil die einzigen, die wissen, dass ich hier bin, gerade gefahren sind. Ganz alleine werde ich wahrscheinlich dennoch nicht bleiben. Zu Fuß geht es weiter und Spaziergänger werden früher oder später die kleine Lichtung überqueren. Manche werden fragen ob es dort hinten im Wald weiter geht und ich werde ihnen die beiden Möglichkeiten sagen: Rechts nach oben zum Berggasthof, der Ausgangpunkt vieler Wanderungen ist oder links nach unten ins Dorf. Beides schöne Wege. Der nach unten etwas steil und vorsicht, trittsicher sollte man vor der zweiten Brücke bitte sein – da geht es ordentlich und ohne Geländer steil nach unten. Nach oben, kein Problem – auch da geht es an einem Stück nach unten, aber man rollt nur und fällt nicht. Die meisten aber fragen nicht. Sie kennen sich aus, gehen mit ihren Hunden spatzieren oder haben ihre Kinder an der Hand. An meiner Hütte kommen die meisten nur vorbei, wenn sie wissen wohin sie wollen. In den Wald, nach oben oder nach unten, fast immer aber durch die Ruhe, die einen auf diesen Wegen begleitet. Sie lächeln, grüßen und werden nach einem kurzen Augenblick vom Wald verschluckt. Oder umarmt, ja das passt besser. Der Wald verschlingt sie ja nicht, er nimmt sie herzlich auf.

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Abstieg

Nach neun Nächten und zehn Tagen wird es Zeit sich zu verabschieden. Die Betten sind abgezogen und ich stopfe die Wäsche in den Beutel schmutziger Wäsche. Zuhause, wenn ich ihn öffne, wird alles leicht nach altem Holz, feuchtem Wald und Ofenfeuer riechen – ein Geruch, der oben in den Bergen auf unserer Hütten schön ist, in der Stadt aber modrig und abgestanden in der Nase kitzelt. Das macht nichts, denn wenn ich wieder komme und aus dem Schrank frische Laken nehmen werde, dann werde ich es nicht riechen, weil sich mein Geruchssinn binnen Minuten auf den Duft des Holzhäuschens einstellen wird. Ein letztes Mal lüfte ich die obere Kammer und glaube wie bei jedem Abschied, ein kleines Stück von mir zurück zu lassen. Diesmal eines, das bei der Ankunft unendlich müde, erschöpft und ausgebrannt war. Lustlos und schlecht gelaunt warf ich an Gründonnerstag die Rucksäcke auf die Betten und mich selbst hinterher. Eines das jetzt wieder frei atmen kann und sich darauf vorbereitet hat, den liebsten Menschen wohl auch im April und Mai nicht sehen zu können und sich dafür über den nicht mehr aufzuhaltenden Frühling freut. Weiterlesen

Februarort

Wäre ich jetzt an meinem Feburarort, dem echten, dann würde ich hören was ich auch jetzt höre. Drei Radiosender im Wechsel. Drei Sender, die ich zu Hause in München wenig hörte. Überhaupt hörte ich wenig Radio und wenn, dann nebenbei und nur selten bewusst. Seit letztem Jahr ist er mein ständiger Begleiter – der Radio, weil er in Bayern ein „er“ ist. Der Radio und der Butter, das müssen Sie so hinnehmen, alles andere klingt für mich so falsch, wie für Sie richtig. Der Radio läuft seit dem Lockdown vor bald einem Jahr. Anfangs auch nur um ein schönes Wochenende akustisch zu verlängern, denn oben auf unserer Hütte gehört er zur Geräuschkulisse und ist nicht wegzudenken. Draußen auf der Lichtung vor dem Haus hört man das Rauschen des Waldes, das Brummen und Summen der Insekten, das Knacken der Äste oder die lähmende, flirrende Stille eins Hochsommertages. Drinnen aber läuft der Radio. Das tat er schon immer. Wir alle, die wir oft oben sind, haben unsere Lieblingssender.  Ich zum Beispiel höre zum Aufstehen Bayern 1. Aktuelle Musik mit einem Hang zu den Achtzigern – angenehm vertraut, wenig überraschend und eine beruhigende Konstante bei Sommergewittern, beim Frösteln bis das Feuer im Ofen brennt oder beim Kochen, das dort oben viel länger dauert, weil nichts schnell gehen muss. Irgendwann dann Bayern 5, den Nachrichtensender, dem man nicht zu lange zuhören kann, weil sich die Neuigkeiten des Tages ständig wiederholen und recht schnell nicht mehr neu sondern abgehört sind. In Coronazeiten reicht eine Viertelstunde und man kennt die Neuinfektionen, weiß wie viele es in den Nachbarländern gab und seit einiger Zeit welches Land wie viele seiner Bewohner schon geimpft hat. Interessant, aber zu lange darf man sich nicht damit befassen, sonst schlägt es auf s Gemüt. Dazwischen Bayern 2 den Kultursender. Hier ein Hörspiel von Kafka, da eine Reportage über die Antarktis, dort ein aktueller Podcast und immer wieder Musik, aber meist nur ein einzelnes Stück.  Im Wald braucht man nicht viel und hat die Muse zuzuhören. Mit der Erinnerung an die drei Radiosender fuhr ich im Frühjahr zurück nach München. Der Lockdown begann und weil er sich unheimlich anfühlte, war es heimelig mit dem Radio, der hier wie dort klang. Morgens zum ersten Kaffee Bayern 1, kurz – nur ganz kurz – Bayern 5 und wenn es zu still wurde Bayern 2, das Geschichten erzählte. Grenzen schlossen sich und öffneten wieder, Normalität kam im Sommer zurück und verabschiedete sich im Winter – der Radio blieb und jetzt gehört er so zu mir, dass er mein Februarort geworden ist und ich mit geschlossenen Augen problemlos im Wald und zugleich auf meinem Sofa sein kann. Weiterlesen

Schüssel zum Glück

Die Sonne schafft es nicht mehr über die Baumspitzen und die kleine Lichtung mitten im Wald bleibt im Schatten. Nur kurz nach Sonnenaufgang zeigten sich die Buchen, die Ahornbäume, die Büsche und die Fichten im herbstlichen Glanz. Nur der obere Raum unserer kleinen Hütte wird von den Sonnenstrahlen dieses schönen Herbsttages noch gewärmt und in helles Licht getaucht. Die breiten Betten dort oben sind am bequemsten, wenn es taghell ist und die Strahlen der Sonne sanft die Nasenspitze kitzeln. Früher wusste ich nicht warum es genau dann, tagsüber, wenn man gar nicht müde ist, dort oben so herrlich ist. Heute weiß ich es. Es liegt daran, dass man mitten am Tag die Muse und die Zeit hat, sich einfach auf oder in ein Bett zu legen und den Gedanken freien Lauf zu lassen. Natürlich kann man ein Buch lesen, aber fast immer lenken einen die vielen Geräusche ab und man legt die Geschichte der fremden Menschen zur Seite und wendet sich den eigenen Gedanken zu. Gedanken die einem sonst gar nicht kommen. Es mag an der Stille und ihren sanften Geräuschen liegen. Wind in den Baumwipfeln oder – wie an diesem Wochenende – das Fallen eines einzelnen Blattes. Wie laut ein einzelnes fallendes Blatt doch ist wenn es sich den Weg noch viele andere Bahnen muss, hört man nur hier oben. Weiterlesen

Schön gedacht

Eine Hummel brummt. So dicht neben meinem Ohr, klingt sie wie ein kleiner, dumpfer, nicht müde werdender Motor. Ein Geräusch, das nach Sommer klingt obwohl es erst Anfang April ist. Das vergesse ich leicht, weil Beine und Arme das erste Mal in diesem Jahr ohne Kleidung in der Sonne liegen und mir so warm ist, dass ich den Gedanken an ein Aufstehen schon seit über einer Stunde immer wieder verschiebe. Es schläft sich so leicht, hier in der Sonne. Es schläft sich so schön oberflächlich unter all den Geräuschen, die neben der Sonne wie eine zweite, ebenso schöne Decke sind. Eingehüllt in Wärme und Geräusche liege ich besonders gerne vor der Hausbank unserer Hütte im Wald. Im nahen Wald raschelt etwas, aber das ist keine Grund die Augen zu öffnen. In der Stille ist selbst ein Vogel oder eine Maus, die durch das Laub laufen so laut, dass man oft versucht ist an einen Menschen, der auf die Lichtung tritt, zu glauben. In all den Jahren kam noch nie ein Mensch durch den Wald zu unserer Hütte. Die kommen den Weg herauf und klingen ganz anders. Und doch glaubt man es jedes Jahr wieder: Da kommt einer durch den Wald. Kein Grund die Augen zu öffnen. Wenn einer kommt, dann wird er sich schon bemerkbar machen und nach dem Weg oder einen Schluck Wasser fragen. Die Bank auf der ich liege ist hart und das Holz drückt unangenehm an mein Schulterblatt. Kein Grund aufzustehen. Es ist zu warm und das Brummen der Hummeln dicht am Ohr, lädt ein, noch ein wenig zu schlafen und zu dämmern. Weiterlesen

Statistisch unwahrscheinlich

Wir werden nicht grillen. Der Wald, der unsere kleine Hütte umgibt ist strohtrocken und den Funkenflug eines Feuers zu riskieren, ist eine Mischung aus Ignoranz und Dummheit. Mit dem einen oder anderen werde ich darüber noch diskutieren müssen und mich am Ende doch durchsetzen. Die Hitze eines Feuers und die Schönheit einer langsam verlöschenden Glut, gehört zu Abenden, an denen man sich nach dem Sonnenuntergang eine Jacke um die Schultern legt. Jene seltenen Nächte, die die Hitze des Tages gespeichert habe und sie bis weit nach Mitternacht ausdünsten, brauchen kein Feuer. Ihnen reicht ein kleines Teelicht, weil sie im Dunklen besonders schön sind. Weiterlesen

Realismus? Ich bitte Sie!

Heute ist ein besonderer Tag. Heute werde ich im Lotto gewinnen. Wenn nicht heute, dann am Mittwoch. Der freundliche ältere Herr am Kiosk hat mich überzeugt, dass ich gleich für beide Tage einen Schein abgeben soll. Erst wollte ich nicht, denn Glücksspiel ist eigentlich nicht so das meine. Aber der ältere Herr wusste, wie man mich zu nehmen hat. Zum Beispiel mit dem Hinweis, dass zwei Mal sechs Richtige noch schöner wären, als nur einmal. Ich werde also heute und am Mittwoch im Lotto gewinnen und nicht enttäuscht sein, wenn es nur an einem der beiden Tagen so ist. Weiterlesen

Drei mal stark

Wer sich eine mit Ziegenfrischkäse gefüllte und mit Thymian gewürzte Dattel in den Mund schieben lässt und nur mit den Schultern zuckt, hat den feinen Geschmack nicht verdient. Die Datteln kommen aus Israel, sagte ich und nahm dir den Teller weg. Einen so weiten Weg legt man nicht zurück, um banalen Hunger zu stillen. Das hatten sie nicht verdient. Du würdest vor Hunger sterben, meintest du und ich überlegte ob der weite Weg durch einen Einsatz als Lebensretter gerechtfertigt werden würde. Ich lies es durchgehen und gab den Teller wieder frei. Weiterlesen

Im Juli harmlos

 

Sind Sie schon im August? Ich noch gar nicht. Heute ist der 1. August behaupten die Kalender denen ich begegne. Sie alle sind sich einig, dass der Juli 2016 unwiederbringlich der Vergangenheit angehört. Die Kalender haben keine Ahnung. Ich bin nämlich noch nicht im August gelandet. Ich hänge noch im Juli fest und brauche noch ein paar Stunden, bis ich im August lande. Das hat nichts mit unterschiedlichen Zeitzonen zu tun, sondern nur mit meiner Sturheit. Ich lasse mich ungerne in einen neuen Monat schubsen, wenn ich mit dem alten noch nicht abgeschlossen habe. Weiterlesen