Bei manchen Dingen weiß man erst nach Jahrzehnten, warum es einem so wichtig war es unbedingt zu können. Handgriffe, die einem so notwendig erschienen, dass man sie immer und immer wieder übte, bis sie in Fleisch und Blut übergegangen sind. Eine Begabung, die kaum einer als solche gelten lassen würde, an deren vollendeter Beherrschung man aber mit sturem und ausdauerndem Ehrgeiz arbeitet. In meinem Fall handelt es dabei um das Öffnen einer Bierflasche mit einem Feuerzeug. Ansetzen, aufhebeln, ein wohlklingender Plopp und ein fliegender Kronkorken in einer ruhigen, selbstverständlichen und fließenden Bewegung. So etwas ist einfach nur schön. Um es zu beherrschen habe ich einen ganzen Sommer lang geübt. Weder mit 15 noch heute trinke ich regelmäßig Bier. Es schmeckt mir nicht. Und wenn ich es doch einmal trinke, weil es in München Situationen gibt, in denen kein anderes Getränk angemessen erscheint, dann bekomme ich eine geöffnete Flasche oder ein Glas in die Hand gedrückt. Aber gestern Abend war eine besondere Bier Situation. Eine wie früher. Einer der Momente in dem ein Wasser fad, eine Cola langweilig und ein Glas Wein albern gewesen wäre.
Gestern schrieb mir einer, der ab und zu mit einer Flasche Wein vor meiner Tür steht: „Um sieben ein Bier an der Kirche?“ Vor 14 Monaten noch hätte ich vermutet, dass die Nachricht nicht für mich bestimmt ist. Heute nicht. Heute fehlen uns die Cafés, Kneipen und Restaurants und die eigenen Wohnung kennen wir alle besser als uns lieb ist. Wir kehren an die Orte unserer Jugend zurück, als wir noch nicht im richtigen Alter waren um einen Restaurantbesuch zu schätzen und für Kneipen das Geld nicht reichte. Heute setzen wir uns wieder auf die Stufen der Kirche und genießen dort am Berghang des Viertels die letzten Sonnenstrahlen des Tages. Wie schön das ist hatten wir fast vergessen. Es braucht nicht viel. Zur Kirche am Hang läuft man ohne Tasche und ohne Vorbereitung. Ein paar Münzen in die Hosentasche für das Bier, das unterwegs gekauft wird, die Maske am Handgelenk und fertig. Der Platz vor der Kirche ist weit. Wir sind nicht die einzigen, ganz Giesing erinnert sich, dass es dort schon als Teenager den wohl schönsten Sonnenuntergang der Stadt beobachtet hat. Abstand, winzige Gruppen, aber doch wenigstens irgendwie zusammen. Giesinger Lockdown Romantik. Genossen auch von einer Handvoll Teenager, die mir irgendwann auf die Schulter tippten und verlegen fragten ob ich auch ihre Bierflaschen öffnen könnte. Ich konnte. Ansetzen, aufhebeln, ein wohlklingender Plopp und ein fliegender Kronkorken in einer ruhigen, selbstverständlichen und fließenden Bewegung. Ich öffnete nach und nach etwa zehn Bierflaschen von diversen Gruppen und fragte mich, seit wann Teenager in diesem Alter das nicht mehr selbst können.
Obwohl der neben mir sitzende Mann gegenteiliges behauptete, sah ich wie anziehend er es fand, mich beim Öffnen der Flaschen zu beobachten. Routine und spielende Leichtigkeit in Perfektion. Er widerspricht, moniert, dass ich sein Feuerzeug malträtiert und eine Ecke abgebrochen hätte. Bullshit! So und nicht anders geht es. Sein Feuerzeug ist vermutlich einfach billige Tankstellenware. Früher waren die stabiler. Und der Korken hat auch lauter geploppt. Aber sonst war es wie früher. Zumindest der Sonnenuntergang. Alles andere ist ja auch egal.
Obwohl….nein, es ist nicht egal. Sobald mir die Hand zwischen Daumen und Zeigefinger nicht mehr so eklig weh tut, übe ich es trotzdem noch mal. Ich fürchte, in den nächsten Wochen werden wir noch oft an der Kirche am Hang sitzen. Wo sollen wir auch hin (damals wie heute).
sehr schön witzig!
LikeGefällt 1 Person
Danke 🙂
LikeGefällt 1 Person
Du hast es geschafft, mich zum Schmunzeln zu bringen. Danke dafür. 😉
LikeGefällt 1 Person
Na dann…Ziel erreicht 😉
LikeGefällt 1 Person
Liebe Mitzi,
Sie haben alles richtig gemacht!
In meiner Biertrinkerhochkonjunkturzeit (ist laaaaaaange her 😉 habe ich gefragt oder ungefragt, meine erste Biertrinkerregel mitgeteilt: Wer für eine Bierflasche einen Flaschenöffner benötigt und die Flasche nicht mit Feuerzeug, Zollstock, Tischkante oder Notfalls mit den Zähnen öffnen kann, darf das Bier nicht trinken! 😉
Gruß Heinrich
LikeGefällt 3 Personen
Lieber Heinrich, mit der Tischkante hat mein damaliger Freund sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Die Flasche war auf, der Tisch aber… Wahrscheinlich kommt es auch hier nur auf die Technik an ;).
Ich behaupte mal, dass ich es mit einem Zollstock auch hinbekommen würde. Nur bei den Zähnen läuft es mir kalt den Rücken runter. 🙂
Herzliche Grüße von Mitzi, die Ihre Regeln gerne unterschreibt.
LikeGefällt 1 Person
Wenn man die eigenen Zähne nicht nehmen will (habe ich auch nie gemacht!) ist es auch erlaubt, eine alte Prothese zu benutzen, die man in Opas Kramkarton gefunden hat. 😉
LikeGefällt 1 Person
😂👍
LikeLike
Mitzi, das ist eine Fertigkeit, um die ich dich fast beneiden könnte. Aber so wie bei mir dürfte es doch auch bei dir im Normalfall am Feuerzeug fehlen, denn du rauchst doch nicht.
Deswegen habe ich es ab und an geschafft, einen Kronkorkenflasche an der Tür zu öffnen, dort, wo die Löcher für die Schlosszapfen (oder wie die heißen) sind. Das klappt ganz gut.
Ich lese gerade bei Heinrich, eine Flasche mit den Zähnen zu öffnen – ich kannte Leute, die das gemacht haben und ich glaube, ich habe schon damals wie ein Rohrspatz dagegen geschimpft.
Und tschüss sagt Clara
LikeGefällt 3 Personen
Früher wollte ich das immer können, einmal habe ich es versucht, aber nur einmal. Meine Zähne waren mir dann doch zu schade.
LikeLike
Sehr gute Entscheidung – denn zu dem Zeitpunkt, zu dem man schon Bier trinkt, wachsen lädierte Zähne nicht mehr nach – ich habe da so meine Erfahrungen 🙂
LikeGefällt 2 Personen
Verständlich. Ich hätte echte Sorgen dann ein offenes Bier aber nur noch einen halben Backenzahn zu haben.
LikeGefällt 2 Personen
Liebe Clara, vor den Zähnen hätte ich auch Respekt. Ob nun Feuerzeug oder Schlosszapfen an der Tür (Kompliment dafür!) hauptsache wir bekommen im Bedarfsfall unsere Flaschen und Konserven geöffnet. Und da bin ich mir sehr sicher, dass auch du kreativ genug bist, einen Weg zu finden.
Liebe Grüße
LikeGefällt 1 Person
Bevor ich verdurste oder verhungere, fällt mir garantiert was ein.
LikeGefällt 1 Person
Liebe Mitzi,
wie Du die jungen Leute um Dich scharst. Im Abstand und mit Maske.
Da ich meine Türschlüssel und vor allem die Zähne lieber schone, habe ich einen Öffner im Rucksack.
Besonders schön finde ich, dass Ihr regelgerecht gemeinsam Eure Kirche belagert und den Kirchplatz bevölkert.
Gute Frühlingszeit
und schöne Grüße
Bernd
LikeGefällt 2 Personen
Lieber Bernd, ich hab beim Schreiben überlegt wie man recht viele Leute, die sich dennoch an die Regeln halten am besten beschreibt. Der Platz ist zum Glück weitläufig und gerade wegen Corona war es schön, dass sich die Vorplätze der Kirchen wieder füllen.
Auch dir schöne Tage und viele Grüße
Tanja
P.S. Hauptsache man weiß sich zu helfen. Ein Öffner im Rucksack zählt eindeutig dazu 😉
LikeGefällt 1 Person
Das haben wir neulich auch gemacht, eine Freundin und ich: Am Büdchen zwei Flaschen Bier gekauft und uns hinter der Uni in den Grünstreifen gesetzt und der untergehenden Sonne zugesehen. Wir waren nicht die einzigen. Hinterher habe ich gelesen, daß das illegal war: Alkoholverzehr in den Grünanlagen ist verboten. Allerdings hat die Stadt gar nicht genug Personal, das zu kontrollieren.
Dein Freund hat keine Ahnung: An den leicht angefressen wirkenden Enden der Plastikfeuerzeuge erkennt man erst den Könner.;-)
LikeGefällt 3 Personen
Ehrlich gesagt habe ich den Überblick verloren ob bei uns momentan der Konsum von Alkohol auf öffentlichen Plätzen erlaubt oder verboten ist. Ich glaube in Giesing darf man wieder. Um Weihnachten herum nicht. Oder umgekehrt?
Danke!!! Ich werde es meinem Freund ausdrucken 😉
LikeLike
Ich bekam einmal ein Baseballcap von „Weihenstephan“ geschenkt. Da ist im Schirm ein Flaschenöffner eingebaut. Damals fand ich das Teil cool, heute eher nicht mehr. Aber das Cap habe ich immer noch,,, 😎🤣
LikeGefällt 1 Person
Aufheben, lieber Werner. Man weiß nie wann man genauso ein Cap brauchen kann 😉
LikeGefällt 1 Person
Ja, das dachte ich mir auch… 😂😎
LikeGefällt 1 Person
lustig, diese fähigkeit habe ich letzte woche auch vermisst, in der leergeräumten wohnung, als ich keinen flaschenöffner mehr finden konnte – wenn auch für eine fritz cola kirsche, aber das darf man nicht so eng sehen.
LikeGefällt 1 Person
Unbedingt – es geht nicht ums Bier. Eigentlich sollte man auch Dosen ohne Dosenöffner aufbekommen. Da allerdings tue ich mich schwer. Die Schraubenzieher Methode hat nur mäßig funktioniert 😉
LikeGefällt 1 Person
also das bei den dosen finde ich sieht immer ein wenig nach selbstmordkommando aus ^.^
LikeLike
Mit dem Feuerzeug habe ich auch geübt – und es schließlich hinbekommen. Freu mich heute noch, wenn´s funktioniert. Und ich bin dann stolz wie Bolle. Wird frau dabei um Hilfe gefragt – ich würde heimtanzen vor Stolz.
Tischkante ging schon, ist aber riskant und tut schnell weh.
Cool ist auch Meterstab. Kann ich aber nicht. Schlüssel noch viel weniger.
Ich denke über die Anschaffung eines Schweizer Messers nach, mit Schere, Flaschenöffner und Nagelfeile. ich werde alt.
LikeGefällt 1 Person
Ich glaube nicht, dass das ein Zeichen von alt werden ist. So ein richtig gutes Taschenmesser konnten wir uns als Teenager nur nicht leisten. 😉
LikeGefällt 1 Person
Du hast ein Talent, so zu schreiben, dass man sich persönlich angesprochen fühlt. Passiert mir hier bereits das zweite Mal und ich frage mich, ob ich derjenige sei, der so talentfrei ist, aber mit Ausdauer und Ehrgeiz auffällt. Unweigerlich frage ich mich: Schreibe ich wirklich so schlecht?
Mit dem Feuerzeug habe ich es übrigens nur kurz probiert und habe seit dem Studium einen Flaschenöffner am Schlüsselbund, der so gut wie nie zum Einsatz kommt, weil ich kaum trinke und, wenn doch, sowieso jemand anders mit dem Feuerzeug schneller war.
LikeGefällt 1 Person
Hallo Ingo, dass du dich durch einen Text von mir angesprochen fühlst, heißt doch nicht, dass es anderen nicht auch bei dir so geht. Ich freu mich über dein Kompliment. Lieben Dank. Aber lösch das talentfrei gedanklich bitte wieder. Bist du sicher nicht.
Öffner am Schlüsselbund ist übrigens eh clevere. Das Feuerzeug hab ich zum Beispiel viel zu selten dabei 😉
LikeGefällt 1 Person
Lieben Dank! Ich zweifel nur manchmal sehr an mir. An den meisten Tagen zum Glück nicht. 🙂
LikeGefällt 1 Person
Schön zu hören. Manchmal ist normal, du wärst mir unheimlich, wenn nicht 😉
LikeGefällt 1 Person
Was für ein Glück! Ich bin Weintrinker. Mit einem Feuerzeug hab ich nie umgehen können… außer eine Zigarette anzuzünden. Gut, um eine Weinflasche zu öffnen, brauchtest du früher ein Taschenmesser… für den Notfall. Aber heutzutage setzt sich immer mehr der Schraubverschluss durch. Tja, so geht Technik… 😉
LikeGefällt 1 Person
Jetzt, wo ich in einem Alter bin, in dem ich einen guten Korkenzieher besitze, gibt es immer weniger Korken. Ich nehme das ein wenig persönlich. 😉
LikeGefällt 1 Person
Aber spätestens bei der dritten Flasche bist du dem Schraubverschluss dankbar… 😉
LikeLike