Hashtag #U-Bahngedanken

In der S-Bahn sitzt einer neben mir. Einer, den ich nicht mag, ohne dass ich ihn kennen würde. Ich mag keine Menschen, die ein Gespräch mit den Worten: „Warte, ich muss das liken, sonst vergisst mich der Algorithmus“, unterbrechen. Ernsthaft? Man bittet einen realen Menschen zu warten, damit einen irgendein technischer Schnickschnack nicht vergisst. Ein Schnickschnack, von dem ich bezweifle, dass er des Denkens – nach meiner Definition – überhaupt fähig ist. Vielleicht, wenn er gesagt hätte, dass er eben einem Bekannten ein Like dalassen möchte, weil ihm das auf Instagram hochgeladene Foto gefällt. Dann vielleicht. Vielleicht auch, wenn er vorher noch einmal aufgesehen und bemerkt hätte, dass man ihm gerade einen Apfelschnitz hinhält und er den, zwischen dem Liken und dem Kauen mit eine dankenden Lächeln honoriert hätte. Wenn aber einer, die Schönheit und den Seltenheitswert eines selbst geschnittenen und gereichten Apfelschnitzes nicht wertzuschätzen weiß, dann halte ich ihn für einen respektlosen und oberflächlichen Menschen.

Sie sind im Erwachsenen Alter selten geworden. Diese leicht bräunlich angelaufenen Apfelschnitze, die einem aus einer Tupperbox gereicht werden. Selten genug, um sich über einen weit mehr zu freuen, als damals als Kind, als man die leichte Bräune immer als etwas eklig empfand und viel lieber eine Tüte Gummibärchen gehabt hätte. Aber als Erwachsener, da ist es schön, wenn sich einer kümmert und in einer vollbesetzten S-Bahn einen solchen Schnitz hervor zaubert. Ich vermute, dass es seine Großmutter ist. Eine lose Bekannte kümmert sich nicht so und hätte auch nicht so nachsichtig gelächelt, wie diese alte Frau. Man sieht, dass es ihr ein wenig leid tut und auch, dass sie dem etwa Neunzehnjährigen aber auch nicht auf die Nerven gehen möchte. Vielleicht kennt sie ihn zu gut und empfindet es eh als schöner, durch das Fenster die Herbstsonne anzusehen. Zwei Haltestellen lang macht sie es, dann schaut sie wieder zu dem, der sich um seinen Algorithmus kümmert. Mittlerweile lädt er ein Foto hoch, wie er abweisend murmeln der alten Frau erklärt. Muss etwas sein, dass man unbedingt dem weltweiten, unpersönlichen Nirvana des Internets sofort mitteilen muss, damit dieses auch weiß, dass er, der Postende, mindestens so glücklich, so attraktiv und so megahappy ist, wie der Rest der Millionencommunity. Dass es wichtig ist, ist offensichtlich. Sonst wäre er seiner Oma nicht so unwirsch über den Mund gefahren, als die sich erkundigte, wo genau in der Innenstadt sie eigentlich aussteigen würden. Ich könnte auch ein Foto hochladen – eines von ihm. Hashtag: #prototypeinesunfreundlichendeppenderapfelschnitzevonomanichtzuschätzenweiß. Weil man aber Fremde vermutlich nicht fotografieren und an den Pranger stellen darf, lasse ich es. Vielleicht ist ja auch ganz nett. Sonst.

Ne, ist er nicht. Der Oma rutscht etwas aus der Handtasche und statt es aufzuheben, rollt er nur mit den Augen, weil ihr Suchen und Tasten seine Konzentration beim Lesen der ersten Reaktionen auf das eben gepostete Bild unterbricht. #böserenkel. Und #tolleoma weil sie ihre Apfelschnitze jetzt den anderen Fahrgästen anbietet. #apfelausdemgarten, das schmecke ich und sehe ich, weil die Wurmstichigen Stellen ordentlich ausgeschnitten wurden. Ein so guter unerwarteter Apfel im Feierabendverkehr ist #kleinesglück und #pictureoftheday, wenn ich ihn gepostet und nicht gegessen hätte. Die beiden wollen aufs Oktoberfest. Sagen sie und gesehen hätte man es auch. Der Enkel hat bestimmt das kürzeste Streichholz beim Familienrat gezogen, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich auf diesen Ausflug freut. #undankbaresfrüchtchen. Dabei geht das Oktoberfest ganze 16 Tage lang und einen davon wird man ja wohl auch die Oma ausführen können. #meinemeinung. Zumal der Tag dann vermutlich recht günstig ist, weil Omas immer etwas springen lassen und selbst einer der fast Zwanzig ist, irgendwas finden wird, das ihm Freunde bereitet und das Oma ihm kaufen kann #gutesbenehmenleider nicht. 

Ich nehme mir gerne noch einen Apfelschnitz und lächle freundlich. Nicht weil ich muss, sondern weil ich mag #friendlyfirst. Und außerdem, weil das Kauen des Apfels mein breites Grinsen ein wenig verdeckt. Im, nach dem Liken und Foto hochladen, geführten Telefonat fiel der Satz, dass er, der laden und likende, leider keine Zeit hätte, weil er seine Oma ausführen müsse. Ja, müsse er schon, weil die ja sonst gar nicht mehr rauskommen würde #erzwungenessozialesengagemen. Die Oma sieht das anders und sagt das auch #großartigeoma. Ob er noch ganz sauber sei, erkundigt sie sich und stupst ihn mit dem Ellbogen an. Als ob sie ohne ihn nicht mehr rauskommen würde, wiederholt sie entrüstet und packt die Äpfel weg. Ein Depp sei er schon, versichert sie ihm, bevor sie aufsteht und nachsichtig lächelnd mitteilt, dass ihr die Lust auf einen Wiesnbummel jetzt vergangen sei. Zur Else würde sie gehen. Die wohnt am Harras und bei der sei es immer lustig. Vor allem, wenn der Hans noch vorbei kommt, was er jeden Nachmittag um drei tut. #einhochaufdieoma. Sprachs und stieg aus. Zurück blieb ein verdutzt schauender knapp Zwanzigjähriger und ich, jetzt doch breit und zufrieden grinsend, mit feinem Apfelgeschmack im Mund. Ich bin mir sicher, dass es bei Else und Hans heut noch lustig wird. Lustiger als bei dem Social Media Experten, der jetzt schauen darf, ob er so schnell noch Anschluss findet. Vielleicht laden ihn seine Friends und Follower noch an einen Wiesntisch ein, wenn er schnell noch die Bilder der letzten neunzig Minuten postet. Vielleicht haben die aber schon einen solchen offline Spaß, dass sie nicht mehr aufs Handy schauen. Soll es vereinzelt noch geben. 

Ihnen einen schönen Sonntag und #niewiederhashtagsimfließtext-versprochen

31 Gedanken zu “Hashtag #U-Bahngedanken

  1. Ihr geht hart mit dem Enkel ins Gericht! er ist ja auch eingebunden in seine Altersgruppe, muss da bestehen. Womöglich ginge er sogar gern mit der Oma auf die Kirmes, aber da sind die Kumpel, die sich mokieren. Und er muss sich vor ihnen rechtfertigen (die kommt ja sonst nicht mehr raus). wer ist in dem Alter schon souverän?
    Nun hat aber die Oma ihm eine feine Lektion erteilt und er wird vielleicht klüger. Bei so einer Oma ist das eigentlich zu erwarten.

    Gefällt 3 Personen

    1. Es freut mich sehr, dass du eine andere Seite ansprichst. Womöglich hast du recht und er tut das was er meint tun zu müssen, um in seiner Gruppe akzeptiert zu werden und bestehen zu können.
      Die Oma hat mir sehr gefallen. Ich drücke ihm die Daumen, dass er eine Scheibe von ihr abbekommt.

      Gefällt 1 Person

  2. Liebe Mitzi!

    Wenn jemand mit so viel Ernsthaftigkeit damit beschäftigt ist, irgend einen Algorithmus up to date zu halten und sein Umfeld auf diese Weise ignoriert, finde ich das regelrecht brutal bzw. erschreckend. Das erscheint mir komplett lebensfremd. Dass der junge Mann damit in irgendeiner Altersgruppe bestehen muss finde ich als Argument irgendwie noch schlimmer. Das zeigt ja, dass dem Kerl scheinbar jegliches Selbstbewusstsein, die Eigenständigkeit und das im richtigen Leben stehen fehlt. Gut, dass die Oma mit ihren tollen Schnitzen Charakter bewiesen hat. Hoffen wir, dass sie ihren Tag auf dem Oktoberfest genossen hat 🙂

    Herzliche Grüße
    Mallybeau

    Gefällt 2 Personen

    1. Liebe Mallybeau, aus diesem Grund ist mir der junge Mann so aufgefallen und in Erinnerung geblieben – wegen der Ehrlichkeit mit der dieser Satz als völlig selbstverständlich ausgesprochen wurde. Sehr irritierend. Ich empfinde es ähnlich wie Sie und hoffe, dass diese (hoffentlich wenigen) extremen jungen Menschen in ein paar Jahren ganz anderes darüber denken und wieder ein normales Mittelmaß finden.

      Herzliche Grüße
      Mitzi

      Gefällt 1 Person

    1. Herr Evers muss einfach nur in München (oder wahrscheinlich in ganz Deutschland) in den Nahverkehr steigen. 🙂
      Ein herrlicher Satz. Inhaltlich nicht wirklich, aber man hört selten eine so unverblümte (und dämliche) Ehrlichkeit.
      Liebe Grüße

      Gefällt 1 Person

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