Alltag [der]: Substantiv, maskulin [ohne Plural] II

Stimmt nicht. Lassen Sie sich von mir versichern, dass der Duden eben doch nicht alles weiß. Natürlich gibt es einen Plural vom Alltag. Der Alltag; die Alltage. Ausnahmsweise lehne ich mich etwas aus dem Fenster und bezeichne mich als Autorin. Als eine, die überwiegend über den Alltag schreibt und die sich anmaßt, sich aufgrund der intensiven Beschäftigung mit eben diesem, bestens auszukennen. Deshalb….Plural: [Alltage]. Sorry, Duden – ist so. 

Ich erspare Ihnen eine Einleitung über  Heidegger, für den Alltäglichkeiten jene Aspekte des Seins kennzeichnen, die weder durch Uneigentlichkeit noch durch Eigentlichkeit gekennzeichnet sind. Erstens würde ich das ohne die Hilfe des klügsten, meiner Freunde und dem Hintergrund seine Philosophiestudium nicht auf ordentlich hinbekommen und zweitens, interessiert das doch niemanden. Mit dem Alltag kennen wir uns aus, da braucht es keinen Philosophen. Vor allem keinen so sperrigen wie Heidegger. Ich möchte auch gar nicht wissen, was der zu meinen Alltagen sagen würde. Überhaupt wäre es mir ganz recht, wenn man mir meine Alltage selbst überlässt und nicht versucht sie in einen Dudenkonformen Alltag zu pressen. Das geht nicht. Ich weiß das, auch ohne es je versucht zu haben. Jeder, der schon einen Blick in das Impressum meines Buches geworfen hat, weiß, dass ich einen zweiten Namen haben und kann sich denken, dass meine Mutter vor einigen Jahrzehnten nicht Mitzi, sondern Tanja durch die Wohnung schrie, wenn ich etwas angestellt hatte. Das ist kein Geheimnis, sondern nur einer von vielen Beweisen, das ein Alltag manchmal nicht ausreicht. Als Mitzi bin ich nicht überlebensfähig. Ich könnte meine Miete nicht bezahlen. Da ist es gut, das Tanja aushilft und den Brotjob angenommen hat, der uns über Wasser hält. Es ist ein guter Job. Einer den man 40 Stunden in der Woche gerne und mit viel Engagement macht. Aber auch einer, der sehr weit entfernt von der Kreativität einer Mitzi ist. Es ist gut, die beiden zu trennen. Würde ich meine Erzählungen als Tanja veröffentlichen, wäre ich der Zensur von Familie und Freunden ausgesetzt. Zu Recht, denn dann würde ihre Freundin oder ihre Tochter, Tante oder Schwester aus dem Leben berichten. Als Mitzi, steht es mir frei die Grenzen zwischen erlebtem und fiktivem zu verwischen. Wobei….ich sehe meine Eltern und meine engsten Freunde jetzt schmunzelnd die Stirn runzeln. Sie, die Mitzi und Tanja kennen, wissen ja, dass beide bei noch so unterschiedlichen Namen, ganz ähnlich, oder mehr noch, identisch ticken und Fiktion sich bei meinen Erzählungen meist nur auf Klarnamen oder Zeitangaben bezieht. Mitzi ist nicht erfunden. Das bin schon ich. Auch der Name ist echt. Mitzi Irsaj, hieß die Schwester meine Oma und von der habe ich weit mehr als nur den Namen. Mitzi ist Tanja und umgekehrt. Nur der Alltag, der unterscheidet sich eben und das ist gut so.

Meine Kollegen würden sich bedanken, wenn ich Dienstag Nachmittag im Büro an einer Erzählung arbeiten würde (wenn auch nur in Gedanken). Und an so manchem Theater würde ich sicher nicht die Chance bekommen zu lesen, wenn ich den Lebenslauf von Tanja einreichen würde. Ich würde mich selbst auch nicht einladen, wenn als Kernkompetenz die Farblehre Hellers oder ein fundiertes Private Equity know how vermerkt sind. Zwei Alltage sind sicher auch einfach bequemer.  Ich bin der festen Überzeugung, dass man das was man tut, auch ordentlich machen sollte. Sitze ich im Büro, ist kein Platz für Mitzi und unterhalte ich mich nach einer Lesung mit den Gästen, dann ist mein Beruf (ganz im Sinne der Berufung) schlicht Autorin, weil alles andere nichts mit der vorangegangenen Stunde und meinen Erzählungen zu tun hat. Es sind zwei Alltage, die sich nur schwer mischen lassen, weil sie so verschieden und unabhängig von einander sind. Und dann doch wieder ganz einfach zu einem einzigen verschmelzen. 

Zwei Alltag, das ja, aber die Person, die sie lebt ist ja eine. Meine Freunde vom Theater haben mich als Mitzi kennen gelernt und wissen beim ersten Besuch gar nicht wo sie läuten müssen, wenn sie zu mir wollen. Die kann ich problemlos mit meinen ältesten Freunden an einen Tisch setzen und muss mich im Gespräch nicht erinnern ob ich Mitzi oder Tanja bin, weil da eben kein Unterschied besteht. Wie Faust sagte: „Gefühl ist alles; Name ist Schall und Rauch.“ Passt nicht ganz, ok. Aber Heidegger und Goethe in einem Text unterzubringen, wird mir so schnell wohl nicht mehr gelingen. Genauso wenig, wie ich merke, einen anständigen Text über zwei Alltage zu schreiben ohne mir zu widersprechen. Same same but different. Schönen ersten Advent.

Mehr Beiträge zum Thema finden sich hier.
Ulli hat und wird sie auf ihrem Blog zusammen tragen. Herzlichen Dank dafür.

 

 

 

 

41 Gedanken zu “Alltag [der]: Substantiv, maskulin [ohne Plural] II

  1. Obwohl ich dich schon längere Zeit unter deinem amtlich Namen kenne, liebe Mitzi, sträubt sich etwas in mir, dich Tanja zu nennen. Es ist Mitzi, die hier schreibt und die man als Leser schätzen gelernt hat. Dass uns das Internet ermöglicht, einen Teilaspekt der eigenen Person abzuspalten und ihn als beinah vollwertige Person agieren zu lassen, ist schon eine kuriose Sache.
    Ob nun zwei Alltage oder zwei Realitäten, bliebt sich gleich. Sie existieren, und das ist in deinem Fall rundum erfreulich.
    Auch dir einen schönen 1. Advent!
    Jules

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    1. Auch mir käme es seltsam vor, lieber Jules, wenn du oder andere mich nicht Mitzi nennen würden. Es ist für mich so, als würde ich meinen Vater nicht mehr Papa, sondern mit seinem Vornamen anreden. Klar, ich weiß wie er heißt, aber ich kenne ihn eben unter dem Kosenamen.

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  2. Liebe Mitzi, liebe Tanja, ist das so schön nun beiden wieder um eine Facette näher zu kommen! Und wie Recht die Mitzi hat, natürlich gibt es die Alltage (die ich gerne Alletage nenne) und den Alltag, dieser Herr Duden hat eben auch nicht immer Recht, so wie der Herr Heidegger auch nicht und verschwurbelte Sätze braucht es auch nicht, wenn man über etwas philososphieren möchte 😉 Aber es braucht unbedingt die Geschichten von der Mitzi aus ihren Alltagen, weil sie so oft ein Lächeln schenken.
    Herzlichen Dank für deinen zweiten Beitrag zum Thema.
    Liebe Grüße
    Ulli

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    1. Liebe Ulli, Alletage gefällt mir. Das klingt schöner Alltage und trifft es auf besonder schön klingende Art sehr gut. Ich danke dir für den Anstoß über den Alltag oder die eigenen Allletage nach zu denken. Heute hat es mir gezeigt, dass ich seit langem Mitzi bin und das viel mehr als ein Name ist.
      Herzliche Grüße

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      1. Ich finde die vielen auftauchenden Facetten der Alletage richtig spannend und denke nun über eine Art Zusammenfassung ihrer am Ende der zwölf Monate nach.

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      1. Pardon, ich schaute noch mal nach, Bei der einen Freundin ist der Ursprungsname Anastasia (von Anastasi, Auferstehung, also nicht Athanasia, Unsterblichkeit), bei der anderen ist es Tatian, das von einem römischen Imperator abgeleitet wird. Außerdem ist ein eine Kurzform von Konstantina.

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      2. Tatian kommt der mir bekannten Tatiana wieder nahe, auch wenn die vermutlich eine Heilige war. Danke für die Aufklärung . Ich finde es immer schön, wenn Namen eine Bedeutung haben. Ob die dann zum Träger passt, ist wieder etwas anderes.

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  3. Oh liebe Mitzi, ich hatte das schon „irgendwo“ gelesen, dass Sie auch Tanja heißen, es aber schnell wieder „vergessen“, da man in meinem hohen Alter schon Sorgen hat sich einen Namen pro Person zu merken. 😉
    P.S. hatte ich Ihnen schon gebeichtet, dass ich eigentlich Fritz heiße?
    Mein Papa hieß Heinrich – und der war ein sehr viel wertvollerer, lieberer Mensch als ich. Darum nenne ich mich so, um mich jeden Tag (auch Alltags) mächtig anstrengen zu müssen, ihm und seinem Namen keine Schande zu bereiten. Als Fritz hätte ich mächtig viele Flausen im Kopf.

    Ist das bei Ihnen umgekehrt? Hat Mitzi mehr Flausen als Tanja? 😉

    Gruß Heinrich

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    1. Lieber Heinrich, auch Sie sind mir schon als Fritz begegnet. Da ich einen sehr lieben Fritz kannte, mag ich auch diesen Namen. Passender für uns beide ist aber Mitzi und Heinrich – so kennen und mögen wir uns ja schon eine Weile.
      Es ist schön, dass Sie ihren Vater wertvoll und lieb nennen. Ich kann mir kein Urteil erlauben, weiß nicht ob sie weniger sind. Mir aber, sind Sie beides: lieb und wertvoll!
      Und ja, Mitzi ist mutiger und traut sich viel mehr. Tanja hat die gleichen Flausen, aber sie traut sich weniger.
      Herzliche Grüße
      Mitzi

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  4. ich finde es schön, wenn man zwei facetten von sich so betiteln kann, das gibt ihnen auch raum, sich ein wenig unabhängiger voneinander zu entwickeln. ich hab sogar noch mehr davon, wenn auch jede einzelne bestimmt nicht so stark ausgeprägt ist wie deine beiden. aber es gibt die, die die miete bezahlt, die, die worte formt und die, die bilder macht. und dann gibt es auch noch eine, die wieder studiert. es ist wohl gleichermaßen vertraut und befremdlich, wenn man auf einmal mit einer anderen von mir am tisch sitzt als die, die man kennt. ich finde das immer spannend und ich mag es auch gern bei anderen entdecken.

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    1. Das was du beschreibst, kenne ich auch. Es ist schwer sich selbst zu beschreiben, weil es so oft auf die Umstände ankommt. Man ist in verschiedenen Situationen oder in verschiedenen Kreisen, wie Kollegen, Freunden, Familie ganz anders. Manchmal auch gar nicht man selbst.
      Manchmal komisch, aber fast immer sehr spannend.

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      1. das stimmt. mal fühlt man sich authentischer, mal hat man das gefühl gar nicht man selbst zu sein. ironisch eigentlich, weil man ja immer in seiner haut steckt.

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  5. Ich denke, das wird nur dann zum Problem, wenn Dich jemand nur als Mitzi kennengelernt hat und Tanja nicht in das Bild passt….aber das ist das Problem der Person dann……ich kenne gern mehrere Menschen 😉

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  6. Und: gibt es nicht manchmal (All-)Tage, da kennt man sich selbst nicht mehr wieder?
    Wie gut, wenn man dann noch auf weitere Namen zurückgreifen kann.
    Nur nichts vermischen: Minja oder Tanzi würde nach Kinderbuch-Mäusen klingen.
    Ganz liebe Grüße (an Euch beiden!)
    😉

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  7. Pingback: Alltag 3 |

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