Blöd ist er nicht, der, der ab und zu mit einer Flasche Wein vor meiner Tür steht. Auch nicht schwer von Begriff. Er versteht sofort, was ich meine als ich ihm kurz nach Mitternacht eine SMS schreibe: „Hey, ich schnuppere gerade in deinen Alltag hinein.“ Warum ich in einer Klinik sei, will er wissen und ich schicke ihm ein Foto des hübschen Nachthemds, das ich tragen muss und das nicht mir gehört. Und das Wort „Idiot“, weil ich seinen Alltag in meinem nicht wirklich brauchen kann. Nicht diesen Alltag. Nicht den, der nach Desinfektionsmittel, Latex und Erbrochenen riecht. Vielleicht bin auch nur ich es, die gerade so riecht und der Rest des Krankenhauses duftet fein nach den Menschen die darin arbeiten. So wie er, zum Beispiel. Und, fragt er mich und ich schreibe ihm, dass es seltsam ist so plötzlich im Alltag eines anderen aufzuwachen. Er ist so anders als der meine. Tippen geht also noch, antwortet er mir und fügt einen Smiley, der die Augen verdreht, bei. Ja, schreibe ich und konzentriere mich wieder auf die vielen Geräusche vor der Türe. Ob hier alle Schuhe mit quietschenden Sohlen tragen, frage ich mich und ihn, ob das in einem Krankenhaus Einstellungsvoraussetzung ist. Sie kriegen den Job, aber nur, wenn ihre Sohlen ordentlich laut quietschen. Quietschen deine Sohlen, frage ich ihn und weiß, dass er beim Lesen nicht lächelt sondern die Augen verdreht, weil ich ihm noch immer nicht gesagt habe, warum ich in seinem Alltag herumliege.
Viel öfter plumpst er in meinen Alltag. Dann, wenn er etwas über Aktien wissen möchte und mein seit Jahren anhaltendes Desinteresse am Kapitalmarkt ignoriert. Oder wenn er mich bittet, für ihr eine Beileidskarte zu schreiben oder Glückwünsche zur goldenen Hochzeit zu verfassen. Schreiben, das sei doch mein Alltag, sagt er dann und reicht mir Karte und Stift. Ja, bitte auch direkt reinschreiben, denn er sei seit dem Abschuss seines Studiums zu einer unleserlichen Handschrift verpflichtet. Auch die Einkaufszettel schreibe ich. Die sind für unseren gemeinsamen Alltag, in den wir außer uns beiden niemanden hereinlassen. Ich schreibe, wir kaufen, er kocht und ich schaue dabei auf seine Hände, die zu den schönsten der ganzen Welt zählen. Ob auch das eine Grundvoraussetzung für die Arbeit in einem Krankenhaus ist, frage ich mich und schaue interessiert auf schöne Hände, die Infusionen legen, Blut abnehmen und vor meinem Gesicht herum fuchteln. In deinem Alltag haltet ihr die Hände wohl nie still, schreibe ich ihm und wundere mich, dass er so schnell antwortet. Doch, aber selten in der Notaufnahme. Er tippt fünf Fragezeichen und ich nehme mir vor, ihm zu schreiben was ich in seinem Alltag mache. Ich vergesse es und schreibe stattdessen, dass Alltag zu zweit viel schöner ist. Er gibt das Tippen auf und ruft mich an. Jetzt passt es wieder. Jetzt ist auch er in seinem Alltag und ich nicht mehr alleine. Er stellt die Fragen, die man vorhin schon gestellt hat und eine mehr. Ob er kommen soll. Natürlich soll er. Schließlich ist es sein Alltag und ich bin nur wegen eines Krustentieres, einer Erdnuss oder wegen Glutamats hineingestolpert.
Dramaqueen, begrüßt er mich und fragt ob ein Ausschlag nicht gereicht hätte. Auf keinen Fall sage ich ihm und äußere meine leichte Enttäuschung, dass man mir die Adrenalinspritze nicht ins Herz gejagt hatte. Wenn schon Drama, dann bitte richtig. So habe ich es im Film gesehen. Er verdreht die Augen und streicht mir durch die Haare. Im Film, murmelt er, sind die Patientinnen nach einer harten Nacht auch immer unglaublich hübsch. Ich dagegen, sagte er, hätte noch Erbrochenes im Haar und würde wirklich scheiße aussehen. Als wir am nächsten Morgen heimgehen quietschen seine Turnschuhe auf dem Linoleumboden. Tschüss, sage ich zu seinem Alltag, der nicht der meine ist.
Meinen werde ich wegen Ullis schöner Idee in den nächsten 12 Monaten im Auge behalten. Ein Krustentier, eine Erdnuss oder was auch immer ist schuld, dass ich mit einem fremden Alltag begonnen habe.
Liebe Mitzi!
Ich hoffe, Sie sind schnell wieder genesen und verweigern sich aufgrund des ungewollten Krankenhausaufenthaltes künftig nicht der Nahrungsaufnahme. Man hätte Ihnen wirklich kein verdorbenes Krustentier unterschieben sollen, nur damit Sie für uns in einen fremden Alltag schnuppern und diese Geschichte niederschreiben können 🙂
Herzliche Grüße
Mallybeau
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Liebe Mallybeau, ich bin über Nacht genesen und viel zu verfressen um auf das Essen zu verzichten. Das Krustentier war fein. Ich bin wohl gegen irgendwas allergisch und hoffe aufgrund meiner Verfressenheit, dass es das Parfüm einer neben mir sitzenden Person war ;).
Herzliche Grüße
Mitzi
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Vielleicht ist es doch gescheiter, beim eigenen Alltag zu bleiben …… Hoffentlich sind dir die Krustentiere nicht verleidet, das wäre schade
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Künftig plane ich meine Besuche lieber ;).
Hoffe ich auch – eigentlich hab ich keine Allergien. Keine Ahnung was das gewesen ist. Das Kurstentier zuvor hat wenigstens außerordentlich gut geschmeckt. Im Zweifel für den Angeklagten.
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Ja, wahrscheinlich war es der Schnittlauch oder so 🙂
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Oder der Besuch 🙂
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😊
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Genau!
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eine schöne Geschichte über unerquicklich verquickte Alltage, so gut zu lesen wie die über die normalen.
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Unerquicklich verquickt…das klingt schön. Danke Gerda.
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… antiallergisch gegen Heilmediziener scheinst du nicht zu sein… (✿◠‿◠)
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Hm….nein. 🙂😊
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Mit vollem Körpereinsatz einen Blick in anderer Leute Alltag geworfen. 😉
Do legst di nida, glaubstas…
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Was macht man nicht alles. Nach fotografieren war mir leider nicht. 😉
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Wie praktisch, dass dennoch wie von Zauberhand ein passendes Titelbild zur Stelle war… 😀
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Ein großes Glück 😉
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Das Gute an solchen Geschichten ist, dass man sie hinterher hört. Wenn das Drama vorbei und die Genesung geschafft ist. Schön, dass dir der Humor auch in der Klinik nicht abhanden gekommen ist.
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Stimmt. Miterleben möchte man sie lieber nicht. Oft reicht es einem selbst ja schon, wenn einer sagt, dass alles gut wird und man ahnt, dass es nur besser werden kann.
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Man müsste auch in den Alltag anderer Menschen reisen können, ohne dass es einem dabei so schlecht geht! 😉
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Ich arbeite daran 😉
Es war ein Experiment wider Willen.
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brrr das klingt nicht fein, so überhaupt nicht. ich hoffe, du bist bald wieder auf dem damm und wirst nicht so schnell wieder in seinen alltag stolpern, sondern nur in euren gemeinsamen!
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Das war ich ganz schnell. :). Den Alltag brauche ich nicht, aber ich war froh dort gelandet zu sein.
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ja wir haben glück, dass wir diese versorgung haben, wenn es mal notwendig ist.
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Welch hübsch gebaute Geschichte, die einen lange rätseln lässt, was dir den widerfahren ist, liebe Mitzi. Klasse, dass du es schaffst, dich dabei nicht in den Mittelpunkt zu stellen, sondern den Alltag des Freunds.
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Und knapp zehn Tage später komme ich zum Nachlesen. Lieber Jules, verzeih.
Danke für die Worte – so sollte es rüber kommen. Freut mich.
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Kenn isch..😎….hatte ich in meiner Hochzeitsnacht……war ne Auster.. .Du hättest da sicher ne tolle Story rausgemacht…..war noch Paris, Eifelturm, Montmartre dabei😂
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Das ist noch herrlich dramatischer. Ich weiß nicht, ob mir da nach einer Story gewesen wäre, aber mit dem nötigen Abstand vielleicht schon.
Eine ganz wunderbare Kulisse für einen Allergischen Schock. Kompliment, Ann 😉
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Liebe Mitzi, wegen einem Krustentier, einer Erdnuss und Glutamat und dazu noch der Mann, der ab und an mit einer Flasche Wein vor deiner Türe steht ist ein wunderbarer Einstieg ins Thema, ich freue mich auf mehr Alltagsgeschichten von dir, ob nun von fremden oder eigenem.
herzlichst, Ulli
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Ich freu mich auch, Ulli. Es ist eine schöne Anregung und ich mache gerne mit.
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Liebe Mitzi, wenn dieser Arzt so gut riecht und gut aussieht, kann man ja schon mal eine kleine Allergie riskieren, um mal in seinen Alltag hinein zu schnuppern.
Mal sehen, was uns alles vor die Augen kommt, wenn es um deinen Alltag geht.
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Der Meinung bin ich auch, Clara. Man macht dümmeres um einem Mann nahe zu sein ;).
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Einen, der einem durchs Haar streicht, während sich noch Erbrochenes darin befindet, muß man erstmal finden – glücklich, wer solche Freunde hat.
Dir gute Besserung – ich hoffe, es ist nichts wirklich Schlimmes? Ein Bekannter hat mal eine verdorbene Auster gegessen, drei Tage hat er gekotzt und dachte, er müsse sterben, dann war es wieder gut. Letzteres wünsche ich Dir auch, von Herzen.
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Solche Männer sind selten. Berufsbedingt ist er abgehärtet, legt aber wohl dauerhaft keinen Wert auf die nähere Begutachtung meines Mageninhaltes.
Schlimm nicht. Schlimm war für mich nur, dass ich bisher nichts von einer Allergie wusste und alleine in der S-Bahn stand, als das plötzlich losging. Keine Luft mehr zu bekommen und nicht mehr klar sprechen zu können…..schon beängstigend, wenn man es nicht kennt. Alles wieder gut.
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Meeresfrüchte in Erdnusssoße und gepimpten Aromen? Interessante Kombi hast du dir da ausgesucht 😉 Ich bin aber auch nicht wirklich scharf auf den Alltag von anderen, ab und zu ganz nett, aber immer wieder schön wenn ich meinen eignen wieder habe… Gerade Katastrophengebiete wie Krankenhäuser, Altersheime, Beerdigungsinstitute, Polizeiwachen oder die Bahnhofsmissionen sind nicht erstrebenswert. Vermutlich haben die Krankenhäuser noch die bequemsten Betten und die lautesten Schuhe
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Asia-Buffet, da bekommste alles auf einmal 🙂 Gegen die Betten ist nichts einzuwenden. Aber die Gesellschaft in der Notaufnahme lässt zu wünschen übrig. Ich hab mir ja Halloween ausgesucht und die Hälfte hat sich sturzbesoffen selbst massakriert.
Bleiben wir lieber in unserem Alltag 😉
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