Wahlfreiheit II – 14.10.

Kalt wird´s, sagt Herr Mu, als ich ihn gestern morgen an der Bushaltestelle treffe. Das Wetter meint er nicht. Auf der anderen Straßenseite steht am Straßenschild ein Wahlplakat der AfD und auf das ist unser Blick gerichtet. Ist es schon, sage ich und frage mich, ob ich Uli Henkels Lächeln genauso beängstigend wie das von Chucky, der Mörderpuppe finden würde, wenn ich nicht wüsste, wofür seine Partei steht. Herr Mu, kennt Chucky nicht, aber er kennt das Parteiprogram der AfD und das ist wichtiger. An der Bushaltestelle sitzend führt er einen stillen aber eindrucksvollen Wahlkampf. Er würde warten, sagt er, auf einen der etwas pro AfD sagt, dann würde er antworten. Was, das hätte er sich lange überlegt und jetzt wartet er. Auf einen eben, dem er all das sagen kann. Mir sagt er es nicht und als ich ihn frage, warum nicht, zieht er die Augenbrauen nach oben. Weil ich so blöd, hoffentlich nicht bin. Nein, er wartet auf einen Dummen. Oder einen der Angst hat. Denn das sind die gefährlichen und vielleicht die, bei denen es sich lohnt. Meinem Nachbarn, Herrn Meier sagt er auch nichts. Der kickt im vorbei gehen seit Wochen gegen jedes AfD Plakat und dem muss man nichts erklären. Außer vielleicht, dass es ihn bei einem seiner Tritte früher oder später hinhauen wird, weil er schon wieder ohne Stock unterwegs ist. Reden muss man, sagt Herr Mu, und zuhören, das hätten die da oben längst verlernt und das ist so wichtig. Er winkt mir beim Einsteigen in den Bus mit den Briefwahlunterlagen, die seit Mitte letzter Woche neben ihm liegen. Vielleicht fängt ja so einer zum Reden an. Einer, dem er sagen könnte, was da wirklich im Programm der AfD steht.

Und dann endlich heute morgen kommt eine. Auf der anderen Straßenseite kommt sie an und richtet das vom Meier angekickte Plakat wieder gerade und setzt sich dann zu uns. Besser, sagt sie und deutet mit dem Kopf auf das wieder waagrechte Chucky Lächeln von Herrn Henkel. Was gefällt ihnen denn an dem, frage ich und lächle vermutlich ebenfalls wie eine Mörderpuppe. Nicht nur Herr Mu, kennt das AfD Programm. Ich habe es auch gelesen. Das sag ich ihr jetzt. Mit einem eiskalten Klumpen im Magen habe ich über die unverhohlene Ausgrenzung gehandicapter Menschen schon im Kindesalter gelesen. Mit Brechreiz über die Aushebelung der Gleichberechtigung und den Rückschritten zu einem Frauenbild, das längst überholt geglaubt ist. Kopfschüttelnd über nicht zukunftsfähige Energiegewinnungsmethoden und fassungslos über die Herabwürdigung von Kultur, die nicht mehr förderungswürdig durch den Staat zu sein scheint. Was genau jetzt, frage ich die irritierte Frau und zähle noch einmal die Eckpunkte auf. Herr Muh stöhnt und ich lächle. Oder doch die Flüchtlinge, erkundige ich mich. Traun´s sich nachts nimmer raus, frage ich und leg ihr meine Hand auf den Unterarm. Ich auch bald nimmer, sag ich. Nicht solang der da drüben so scheinheilig, verlogen und gefährlich grinst. Da kommt mir immer das Frühstück hoch.

Herr Mu und ich sind uns einig. In die Politik gehe ich nicht. Aber zum Wählen. Am 14.10. Was es nicht werden wird, können Sie sich vermutlich denken.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

16 Gedanken zu “Wahlfreiheit II – 14.10.

  1. Alarmiert durch deinen Eintrag habe ich mir das Wahlprogramm der AfD Bayern mal angeschaut (ich wähle nicht auf landesebene, bei den Bundestagswahlen habe ich Wahlrecht). Ein paar Punkte gefielen mir, etwa Verbot der Schlachtung ohne Betäubung und Erhalt der Dorfläden, 😉
    Der Rest ist Schweigen.

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  2. Dass ich mit denen nichts am Hut habe, ist ja wohl sonnenklar. Aber sollte ich es mir wirklich antun, das Wahlprogramm zu lesen? Ich glaube, das überstehe ich nicht heil. Aber „heil“ ist ja mit Zusammenhang auf diese braune Truppe schon wieder das falsche Wort.

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