Glücklich motzend

Eine gute Reisebegleitung zeichnet sich dadurch aus, dass sie mich auf den letzten Metern vor der Grenze nach Italien erträgt. Die ersten paar hundert Kilometer bin ich entspannt, ruhig und gelassen. Aber kurz vor der Grenze sage ich nichts mehr, wippe mit den Füßen auf und ab und kaue an den Fingernägeln. Ich laufe nicht ganz rund, wenn es um Italien geht. Sie haben es sicher schon bemerkt. Ich kann nichts dafür. An weit über dreihundert Tagen im Jahr bin ich mit Leib und Seele Münchnerin und liebe meine Heimatstadt von ganzen Herzen. Wenn ich aber in der Nähe der alten, der zweiten Heimat bin, beginnt das kleine Loch in meinem Herzen zu schmerzen. Dann und nur dann spüre ich es. Ich bin ja selbst schuld. Hab mir selbst ein kleines Stückchen Herz rausgerissen als ich zu schnell und zum falschen Zeitpunkt damals zurück nach München ging. Fast alle Herzteile habe ich wieder, nur das eine, kleine nicht. Es ist in der Hosentasche des mutigsten meiner Freunde. Längst habe ich begriffen, dass es dort bleiben und er es für mich aufbewahren muss, damit ich meine Sehnsucht nicht verliere. Ich mag sie, die Sehnsucht. Es gibt wenig schöneres, als sie zu stillen. Der Preis für dieses Gefühl ist ein kleines Loch im Herzen das weh tut, wenn ich mich der Grenze nähere und mich in eine Furie verwandelt, wenn einer 50 Kilometer vor dem Grenzübergang noch auf die Toilette möchte. NEIN, sage ich dann und versuche zu erklären, dass ich ersticke und gleichzeitig ertrinke, wenn ich nicht sofort nach Hause komme.

Italien ist es nicht wirklich, dort am Lago Maggiore. Doch, natürlich schon, aber nicht mein Italien. Nicht ganz. Ich versuche es meiner Freundin zu erklären und sie sieht mich verständnislos an. img_0155-1 Hätte nicht ich ihr noch vor wenigen Minuten erklärt, dass es ganz typisch für das echte Italien ist, zum Aperitif ein ganzes Abendessen ohne Aufpreis serviert zu bekommen. Ich nicke. Ja, aber….. Michi versteht es. Er ist der mutigste meiner Freunde und hat einen Namen verdient. Michi passt, denn so heißt er. Ja, schon, sagt auch er, aber…. Man kann es nicht erklären. Mir ist es eh egal. Es ist genug Italien, mein Herz klopft vollständig und ich spüre kein noch so kleines Loch. Wie auch, wenn das fehlende Teil in der Tasche von dem ist, der neben mir sitzt. Ich weiß nicht ob andere, die uns kennen, sagen würden, dass wir uns in den letzten fünfzehn Jahren verändert haben. Ich selbst glaube nicht. Wir motzen uns an und fallen uns im nächsten Moment in die Arme. An diesem Abend oft. Wir haben uns lange nicht mehr mit einem „Bis morgen“ verabschieden können. Es macht mich glücklich. So glücklich, dass ich nichts essen konnte. Ein zweiter Aperol Spritz dagegen war auf erstaunliche Weise kein Problem.

Am nächsten Tag motze ich weiter. Telefonisch, weil ich Urlaub habe und er arbeiten muss. Es wäre ganz nett, schimpfe ich, wenn man mich nach fünfzehn Jahren ernst nehmen würde. Unverschämt ist es, dass ich auf italienisch Karten für eine Bootstour kaufe, mich nach den Abfahrtszeiten erkundige und man mir auf englisch antwortet. Ich würde es verstehen, wäre das Englisch nur halb so gut wie meines. Angekommen sind wir trotzdem, auf der Isola Bella. Ich war zufrieden, bis man uns die Speisekarten reichte – drei Sprachen: Deutsch, Französisch und Englisch. Ab diesem Zeitpunkt war ich beleidigt und überließ es meiner Freundin zu bestellen. War nicht so leicht für sie, weil die Bedienung nur italienisch sprach und meine Freundin nur deutsch und englisch. Wäre ich nicht beleidigt gewesen, hätte ich ausgeholfen. War ich aber. Ich bin aufs Klo und hab dort gehofft, dass es sich bei „Kartoffelbällchen“ auch wirklich um Gnocchi handelt. Mit der Katze auf den Stufen habe ich italienisch gesprochen und sie kann ihnen versichern, dass ich es sehr wohl noch kann. Wollen sie die Insel sehen? Ich hab aber nur ein Foto gemacht, weil ich ja noch eingeschnappt war. img_0161

Schön nicht war? Die 840 Touristen im Hintergrund hat man sich einfach wegdenken müssen. Bezahlen durfte ich übrigens in Landessprache. Auf dem Weg zur Toilette habe ich einen Kellner umgerannt und während wir uns aufrappelten und uns versicherten, dass wir uns nicht weh getan haben, hat er versehentlich italienisch mit mir gesprochen und den Fleck auf meinem Kleid bedauert. Danach war es ihm zu blöd die Sprache wieder zu wechseln und ich habe aufgehört zu motzen. Es ging nicht mehr. Der Sonnenuntergang war viel zu schön und ich viel zu glücklich. fe300732-70ea-41c4-a7e1-adf4efd94754

Kennen Sie das Gefühl, wenn Sie eh schon glücklich sind und dann einer etwas sagt, dass Ihr Herz zum Stolpern bringt, weil Sie wegen eines einzigen Satzes plötzlich noch glücklicher sind und eigentlich gar kein Glück mehr in den Bauch und in den Magen passt? Ich habe nur komische Geräusche von mir gegeben, als der mutigste meiner Freunde genug von meiner glücklichen Motzerei hatte und beschloss mich ans Meer zu schaffen. Ich hab in sein Ohr gefiepst, die Oliven beim Aufspringen vom Tisch gefegt und die ganze Nacht gelächelt.

Eine gute Reisebegleitung ist eine Freundin, die bei dem Vorschlag am nächsten Morgen mal eben einen kleinen Ausflug über 250 Kilometer (einfach) zu machen, einfach nur nickt, die verstreuten Oliven aufsammelt und noch einen Aperol bestellt.

Und Sie kommen mit. Morgen!

 

22 Gedanken zu “Glücklich motzend

  1. Kann mich als jetziger Ambacher, früherer Maxvorstädter und gleichzeitiger valencianischer Campesino für Orangen und Oliven hinreichend gut in Ihre Zeilen reindenken. Aufregendes altes und neues Erleben!
    hdm-marketing.de

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  2. Eine wunderbare Beschreibung und Ode an Italien. Ich habe dort zwar kein Stück Herz zurückgelassen, aber auch für mich ist es jedes Mal wieder etwas Besonderes. Ans Meer, in die Toskana, Venedig, Rom ach….
    Auch schön, wenn man solche Freunde hat, noch viel schöner, wenn man diese Sehnsucht und Freude, wieder dort sein zu dürfen noch so erfahren kann.
    Und da sag noch einer, wir verlieren unsere Fähigkeit zu staunen, sich begeistern zu können, uns einfach nur mit allen Sinnen zu freuen…

    buona serata ancora
    Liebe Grüsse
    Thomas

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  3. Oh, das hasse ich auch, wenn ich Italienisch spreche und man mir in äußerst miserablen Englisch antwortet. Heutzutage braucht mein Italienisch immer ein bisschen Anlaufzeit, da verstehe ich es zwar, wenn jemand meint, er müsse Englisch mit mir reden. Aber früher, als ich mehr Übung hatte, ist das auch passiert, und zwar in so einem mitleidig-herablassenden Ton, der mir irgendwann die Freude am Italienischsprechen genommen hat.

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    1. Die Anlaufzeit wird auch bei mir immer länger. Zum Glück hatte ich noch Gelegenheit mit Freunden fast den ganzen Tag zu plappern. Trotzdem müsste es mal wieder eine Woche am Stück sein.
      Ich rege mich zwar auf, aber muss am Ende dann doch lachen. Es war schon immer so und irgendwann werde ich mich daran gewöhnen. Obwohl…nein, es wird mich immer nerven 😉

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  4. Das Gefühl, „nach Hause“ zu kommen, und endlich wieder daheim zu sein, kenne ich auch sehr gut, liebe Mitzi! Bei mir ist es allerdings nicht Italien, sondern Irland. Aber ich denke, das spielt keine so große Rolle, wichtig ist wirklich nur das Gefühl und die Freude, alte Freunde wieder zu sehen. Und mit jedem Tag, der verstreicht, wächst die Sehnsucht. Doch wem erzähl ich das; hm? 🙂

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