Monotoner Mund

Grau mag ich nicht. Ich kann mit schwarzen Tagen umgehen und ich mag weiße Tage. Ich mag es nicht wenn sie sich vermischen und grau werden. An grauen Tagen bin ich unleidlich. Töne dagegen, dürfen sich für mischen, die werden schöner. Eine Melodie wird schöner wenn sie Zwischentöne hat. Ganz genau wie eine Stimme. Ich mochte die Zwischentöne deiner Stimme. Meine hat keine. Sie ist freundlich, traurig, gelangweilt oder genervt. Es gibt kein „ein bisschen fröhlich“ oder „ein wenig traurig“. Wie meine Stimmung, sagtest du und machtest dir einen Spaß daraus, den Wechsel zu provozieren.  Dann sagtest du in einem fröhlichen Moment, dass ich an die abgeschlachteten Robbenbabys denken soll und hast dabei gelacht. Du hast nicht über die getöteten Tiere gelacht, sondern über mein Gesicht, das in einem Bruchteil einer Sekunden von Lachen, zu Tränen in den Augen wechselte. Der abrupte Wechsel meines Gesichtsausdruckes, faszinierte dich.Schwarz oder weiß, meine Laune hat wenig Zwischentöne. So wenige, wie deine Stimme viele hatte. Dank der Töne brauchte es weniger Worte. Ich kenne keinen anderen Menschen, der mit einem knappen „Ja“ sowohl vollumfängliche Zustimmung als auch eine sehr deutliches ‚lass mich doch jetzt mit diesem Mist in Ruhe, ich werde mich darum kümmern, wenn ich Zeit und Nerven habe und ganz sicher nicht, weil du jetzt damit ankommst‘. Ja, hieß bei dir gerne auch mal nein. Man musste dich nicht sonderlich gut kennen, um die gegensätzliche Aussage zu begreifen. Ja war ausnahmslos immer dann ein Nein, wenn du ein weiteres Wort bemühtest und mit“ ja, klar“, geantwortet hast. Dann war das ja mit Ironie getränkt und wer nur ein bisschen hinhörte, wusste, dass du einem Vorschlag gerade zugestimmt hast, weil er dir so abwegig erschien, dass du ihn für einen Witz gehalten hast. Selbst die Ironie in deiner Stimme hatte Facetten. Sanft neckend oder bissig und angriffslustig. Dazwischen Nuancen, die man leicht überhören konnte. Hätte ich mich nicht in dich verliebt, dann doch zumindest in deine Stimme. Überhaupt verliebe ich mich meistens in Stimmen oder Worte. Vor einiger Zeit in lange E-Mails und knappe Kommentare im Internet.

Jetzt sitze ich hier und lausche einer Stimme, die so monoton ist, dass sie mich einschläfert. Meine Hände habe ich schon um ein Glas mit eiskalter Cola gelegt. Das hält mich wach, weil es hier in diesem Raum doch recht kalt ist und man fröstelnd nicht weg nickt. Wie kann man den schönen Inhalt einer Erzählung, mit einer so langweiligen Stimme nur verderben. Es ist grausam und ich kann nicht länger zuhören. Ich denke an meinen Vater, der im Gespräch mit dem Pfarrer – jenes, das man als Katholik vor der Hochzeit zu führen hatte – sanft entschlummert ist. Meine Mutter war entsetzt. Ich hatte vollstes Verständnis, denn eben jener Münchner Stadtpfarrer war Jahre später mein Religionslehrer. Überhaupt schlafe ich sehr gut ein, wenn einer etwas erzählt. Auch bei dir. Dann tat es mir aber leid, weil ich viel lieber noch zugehört hätte und nur die Wärme deiner Umarmung und die Geborgenheit mich einschliefen ließen. Aber hier und jetzt. Wie gerne würde ich einfach den Kopf auf den Tisch legen, die Wange auf die Unterarme betten und beim monotonen Klang dieser Stimme sanft einschlummern. Ach, das wäre fein. Ich lutsche nun schon einen nach Cola schmeckenden Eiswürfel. Und nur, weil die Kälte an den Zähnen weh tut und man mit Schmerzen im Mund nicht einschläft, höre ich weiter zu. Eine Schande. Ein so attraktiver Mann. Auch sein Mund. Aber auf den kann ich nicht blicken, weil ich ihn sonst bitten muss, eben diesen zu halten. Wenn er redet, verlieren seine Lippen an Attraktivität.

Was erzählt er doch gleich? Er machte ein Pause. Eine jener, die den Zuhörer freundlich auffordern, Zustimmung auszudrücken oder eine Verständnisfrage zu stellen. Wie gerne würde ich diesen Augen, die auf eine Reaktion warten, eine Antwort geben. Es sind ja schöne Augen und in ihnen spielt sich so viel mehr ab, als in der dazugehörigen Stimme. Ich kann nur nicht, ich weiß ja nicht worum es die letzten zwei Minuten ging. Es ist die Schuld seiner Stimme, dass ich an die wärmende Umarmung eines anderen dachte. Und schon sieht er es mir an. Sieht, dass ich unaufmerksam war, ihm kaum zugehört habe und jetzt krampfhaft nach einer Antwort suche. Er ist nett. Nett genug, es zu ignorieren. Stellt eine Frage und kurz springen die Sätze zwischen uns hin und her. Ich bin wacher. Vertrete mir die Beine, indem ich die Toiletten aufsuche. Ein interessanter und gut aussehender Mann. Aber was hilft es, wenn er mich zum einschlafen bringt. Eine Schande, diese Stimme. Zurück am Tisch, stelle ich die Fragen und schöpfe Hoffnung. Der Inhalt seiner Antworten ist klug und witzig und man sieht mir mein Interesse an. Es ermuntert ihn mehr zu sagen und ich greife schnell wieder nach dem Glas. Ich hab es doch verstanden, er muss es nicht so ausschweifend erklären. Wenn mir, die Worte so sehr liebt, jeder zweite Satz überflüssig erscheint, ist alles verloren.

Launisch sei ich, lese ich am nächsten Tag. Man käme ja gar nicht hinterher, meine Stimmungsschwankungen zu begreifen. Still und abwesend im einen Moment und im nächsten hellwach und begeistert. Das sei anstrengend. So mühsam, wie der Versuch in meinen Augen zu lesen. Ich antworte ihm nicht. Wie sollte ich es höflich verpacken, dass ich mich stundenlang bemüht habe, seinem Blick auszuweichen, damit er meine Gedanken eben nicht erahnen konnte. Es ist eine Schande. Ein so schöner Mann und so eine langweilige Stimme.

23 Gedanken zu “Monotoner Mund

  1. Stimmen geben viel wieder. Wir lassen uns allerdings auch gern täuschen.
    Manchmal klingen Stimmen so zauberhaft am Telefon und dann begegnen sich die dazugehörigen Menschen und können es nicht fassen, weil dann plötzlich nichts mehr stimmig ist…

    Liebe Grüße Sophie (Silbia)

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  2. ich war mal ne zeitlang Direktorin eines Sprachinstituts und habe Leute nach ihren Stimmen eingestellt – bevor ich sie überhaupt gesehen hatte. Gefiel mir eine Stimme? alles klar. Gefiel sie mir nicht? Tut mir leid.

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  3. Kennst Du das Lied der Frauenband „Lassie Singers“ „Es ist so schade“? Daran mußte ich denken, als ich Deinen Text las – wenn irgendwas nicht stimmt, dann ist es insgesamt nicht stimmig.

    Es ist so schade, dass du so bist, wie du bist,
    Dass du leider nicht ein Anderer bist,
    Dass du leider, leider ganz du selber bist.

    Wärst du nur älter oder weiter,
    Etwas größer, gern auch breiter,
    Chevaleresker und charmanter
    Oder einfach interessanter!

    Es ist so schade, dass du so bist, wie du bist,
    Dass du leider nicht ein Anderer bist,
    Dass du leider, leider ganz du selber bist.

    Wärst du nur wärmer oder tiefer,
    Lebendiger und lasziver,
    Ein bisschen lustiger, ein bisschen heller,
    Ein bisschen sexueller,

    Dann könnt es sehr gut sein,
    Dass aus uns mal noch was wird.
    Doch wenn du du selbst bleibst, wird das nix.
    Solang du so bist, wie du bist, wirds mit uns nix.

    Es ist so schade, dass du so bist, wie du bist,
    Dass du leider nicht ein Anderer bist,
    Dass du leider, leider ganz du selber bist.

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      1. Musik und Gesang sind so lala (auf youtube zu finden), aber ihre Texte sind klasse, z.B. auch diese Zeilen:

        „Alle netten Mädchen suchen einen wilden Mann
        mit dem ein nettes Mädchen niemals glücklich werden kann

        alle netten Mädchen kriegen einen netten Mann
        mit dem ein nettes Mädchen leider niemals wild sein kann“

        Männer und Frauen – puh! Eine schwierige Angelegenheit.;-)

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      2. Muss ich mich mal reinhören. Die Textausschnitte sind jedenfalls nicht schlecht.
        Und schwierig ja….aber wir scheinen das ja so zu wollen. Männer wie Frauen. Wohl auch, um dann darüber zu jammern.

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  4. Liebe Mitzi!

    Ich mag graue Tage. Aber ich gebe Ihnen vollkommen Recht, dass eine monotone Stimme zu einem schönen Gesicht wirklich grauselig ist. Oder schlecht synchronisierte Filme, wo eine Frauenstimme klingt wie die andere, ebenso schrecklich. Ich glaube manchmal, es ist gar nicht schlecht, dass wir hier nur schreiben und keine Hörbücher verlesen 🙂

    Herzliche Grüße
    Mallybeau

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    1. In meinem Fall, liebe Mallybeau, ist das auf jeden Fall die bessere Variante. Es ist ja wie mit Anrufbeantwortern, die besprochen werden müssen – die eigene Stimme erscheint einem immer sehr fremd.
      Ein schönes Wochenende

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  5. Ich glaube, im Vergleich mit dem Mann, von dem du im ersten Absatz schreibst, kann keiner richtig mithalten, liebe Mitzi. Und wäre die Stimme des schönen Mannes noch so schön, könnte er interessant und witzig sein trotz der leisen Abneigung, die du ihn fühlen lässt, er wäre doch der Falsche. Der Platz in deinem Herzen ist leider nicht frei.

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    1. Drei Tage hinke ich hinterher mit meiner Antwort? Eine Schande. Sieh es mir nach, lieber Jules. Manchmal hat man drei Abende hintereinander schöne Verabredungen mit Freunden und muss den Blog hinten an stellen.
      Du magst Recht haben, der Platz war nicht frei. Ob es mit diesem langweiligen Singsang sonst Interesse ausgelöst hätte, wage ich trotzdem zu bezweifeln.

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  6. Wie wäre es mal mit Synchronsprechern, Kindergärtnern oder Schauspielern? Alle samt hervorragende Entertainer… und sie haben meist schöne Stimmen. Von Lehrern würde wie du schon erwähntest die Finger lassen… und von Professoren erst recht!

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