Helga mag es auch ruhig

Der, der ab und zu mit einer Flasche Wein vor meiner Türe steht, ist einer der ruhigsten Menschen die ich kenne. Meistens bin ich es, die spricht. Für mich und auch für ihn, wenn ich versuche das in Worte zu fassen, was er nicht ausspricht. Dann nickt er oder schüttelt den Kopf. Zieht ärgerlich die Stirn in Falten, streicht sich die Haare aus dem Gesicht oder reibt sich den Nacken. Manchmal lehnt er, mit tief in den Hosentaschen vergrabenen Händen und hochgezogenen Schultern, im Türrahmen und grinst wie ein Sechzehnjähriger. Oft weiß ich nicht warum, mag aber das Grinsen und remple ihn im Vorbeigehen an. Wenn er nachdenkt, dreht er mir fast immer den Rücken zu. Er scheint dann ein Stück Himmel sehen zu müssen und es kommt vor, dass ich den Rücken umarmen und die Schulterblätter mit der Nase anstupsen muss, damit er sich wieder zu mir dreht. Das ist ok, weil er trotzdem da ist. Wenn er nichts zu sagen hat, nimmt er meine Hand. Drückt leicht meine Finger oder streicht mit dem Daumen über die Innenseite meines Handgelenks. Ich, die Worte so gerne hat, mag das noch lieber. Worte sind nicht das seine, sagt er, aber ich weiß, dass es nicht stimmt. Er kann erzählen. Manchmal besser als ich. Weiterlesen

2X=0 (aus dem Archiv 03.08.2015)

Zwei Tage vor Weihnachten stand ich mit einer monströsen Fichte an der Trambahnhaltestelle und ignorierte die etwas irritierten Blicke der restlichen Fahrgäste. Das ich in Weihnachtsstimmung war, wusste ich, dass ich noch immer in X verliebt war, erst als seine SMS kam. „Wir sollten mal wieder knutschen.“ Das was er da geschrieben hatte war einfallslos und dumm. Das was er wenig später am Telefon sagte nicht. Ich mag Worte im Allgemeinen und ich mochte ganz besonders das was er sagte. Über eine Stunde stand ich an der Haltestellte, den Baum umklammert und hörte ihm zu. Nichts besonderes. Was so in den letzten Monaten passiert war. Kann jemand gut erzählen, sind die Inhalte zweitrangig. Ich lachte mit ihm, schickte ihm ein Foto der Fichte und ließ eine Bahn nach der anderen an mir vorbei fahren. Er hörte nicht auf zu reden, bis ich am Abend mit dem Handy in der Hand vor seiner Wohnung stand. Den Baum hatte ich zuvor noch nach Hause gebracht. Weiterlesen

Meine Füße, mein Mann

Ein neues Profilbild muss her, sagt meine Freundin und beißt herzhaft in einen Schnitz Wassermelone. Hilfsbereit wie ich bin, schieße ich augenblicklich ein Foto und schicke es ihr. Das Bild ist perfekt. Profilbilder müssen natürlich und authentisch sein, so kann man es auf diversen Internetseiten nachlesen. Am besten nimmt man ein Bild, das spontan von einer nahestehenden Person geschossen wurde. Das bin ich und das Foto ist im Kasten. Meine Freundin ist verfressen. Wer sie kennt weiß das. Wer sie noch nicht kennt, ahnt es bei diesem Foto. Nur wenige Frauen stürzen sich so hingebungsvoll auf ein Stück Wassermelone wie sie. Authentizität erkläre ich und weiter, dass ein Profilbild das Naturell und den Charakter einfangen sollte. Auch das tut es. Beim Essen dreht sie sich deutlich sichtbar zur Seite, weicht der Kamera aus und vermittelt so – überaus zutreffend – den Eindruck, dass sie bereit wäre, um dieses Stück Wassermelone zu kämpfen. Stärke, erkläre ich ihr, dieses Bild strahlt Stärke und eisernen Willen aus. Es sei etwas zu authentisch murmelt sie mit vollem Mund und tippt mit klebrigen Fingern auf das Display des Handys. Hier im Mundwinkel ist Melonensaftsabber zu sehen. Das stimmt und das ist gut so. Der durchschnittliche Online-Dating-Mann stellt sich dann vor, dass ihr der am Hals nach unten und in den Ausschnitt rinnt. Wir haben das perfekte Bild. Mit dem spitzen Schulterblatt, das eine Größe 36 erahnen lässt und den Surfbrettern im Hintergrund erfüllt es alles, was sich ein paarungswilliger Mann erträumt. Dass die Bretter nicht uns, sondern zwei fünfzehnjährigen Jungs gehören, spielt keine Rolle. Beim Online-Dating hat man Authentizität vorzutäuschen und dabei zu lügen, dass sich die Balken biegen. Ich klatsche noch drei Filter über das Bild und versehe es mit dem Hashtag #nofilter.  Weiterlesen

Monotoner Mund

Grau mag ich nicht. Ich kann mit schwarzen Tagen umgehen und ich mag weiße Tage. Ich mag es nicht wenn sie sich vermischen und grau werden. An grauen Tagen bin ich unleidlich. Töne dagegen, dürfen sich für mischen, die werden schöner. Eine Melodie wird schöner wenn sie Zwischentöne hat. Ganz genau wie eine Stimme. Ich mochte die Zwischentöne deiner Stimme. Meine hat keine. Sie ist freundlich, traurig, gelangweilt oder genervt. Es gibt kein „ein bisschen fröhlich“ oder „ein wenig traurig“. Wie meine Stimmung, sagtest du und machtest dir einen Spaß daraus, den Wechsel zu provozieren.  Dann sagtest du in einem fröhlichen Moment, dass ich an die abgeschlachteten Robbenbabys denken soll und hast dabei gelacht. Du hast nicht über die getöteten Tiere gelacht, sondern über mein Gesicht, das in einem Bruchteil einer Sekunden von Lachen, zu Tränen in den Augen wechselte. Der abrupte Wechsel meines Gesichtsausdruckes, faszinierte dich. Weiterlesen

Kann ja keiner ahnen

Auf dem Gebiet Verabredungen mit dem anderen Geschlecht bin ich Experte. Obwohl meine Beziehungen immer recht lange sind und waren, liegt das an wohl daran, dass ich leicht zu haben bin. Leicht zu haben für eine Verabredung – nicht für den Rest. An dem scheitert ein Großteil der Kandidaten. Verabredungen habe ich in Beziehungsfreien Zeiten aber viele. Dem Glück muss man eine Chance geben und die Neugier will gestillt werden. So gelte ich  in meinem Freundes und Bekanntenkreis auch als kompetenter Ansprechpartner für alle Fragen auf diesem Gebiet. Angefangen  vom richtigen Schuhwerk für einen Museumsbesuch über eine Auswahl unverfänglicher Gesprächsthemen bis hin zum Mienenfeld der Kinderfrage – ich gebe gerne und geduldig hilfreiche Tipps. Leider werden diese von einem Großteil meiner Freundinnen ignoriert. Von Claudia nicht. Die hatte mich bisher noch nie um Rat gefragt und ich freute mich sehr ihr zur Seite zu stehen. Weiterlesen