Giesinger Tauschgeschäfte

„Woin´S a Zwetschgnrohrnudel?“, ob ich eine Zwetschgen Rohrnudeln wollen würde, fragte mich Herr Mu heute morgen an der Bushaltestelle. Weil ich bei dreißig Grad schon am frühen Morgen bei solchen Angeboten etwas misstrauisch bin, erkundigte ich mich, wie lange er die Zwetschgenrohrnudeln schon in den Tiefen seiner Tasche mit sich herumschleppte. Herrn Mu kann man so etwas fragen. Herr Mu ist nie beleidigt und grinste auch heute morgen. Ohne zu antworten, beugte er sich über die große Plastiktasche und teilte mir mit, dass ich gleich schlecken und juchzen würde. Die Zwetschgenrohrnudeln sein nämlich von der alten Huber. Ich kenne die alte Huber nicht, aber Zwetschgenrohrnudeln von alten Frauen sind eigentlich immer besser, als die vom Bäcker. Als Herr Mu sich wieder aufrichtete, war ich mir sogar sicher, dass die Rohrnudeln etwas besonders feines waren. Sie waren nämlich in Pergamentpapier eingeschlagen und nicht in eine lieblose Plastikdose geworfen worden. Ich nickte. Ja, so eine Zwetschgenrohrnudel nahm ich gerne. Herr Mu reichte mir eines der Prachtstücke und ich bot ihm einen Tausch an. Da er für mein Mittagessen gesorgt hatte, konnte ich ihm leicht das meine abtreten. Rohrnudel gegen Kichererbsensalat. Herr Mu verzog den Mund und schüttelte den Kopf. So etwas gesundes würde er nicht essen. Einen Mann wie Herrn Mu muss man aber nur lange genug ansehen und er knickt ein. Nach zwei Atemzügen nahm er meine lieblose Plastikdose und versprach, den Salat wenigstens einmal zu probieren. Die Dose verschwand in seiner Plastiktüte und mir fiel ein, dass ich vergessen hatte beim vietnamesischen Backshops eine Pfandflasche zurück zu geben. Eine Entscheidung die ich schnell bereute.

Normalerweise ist es kein Problem eine Flasche zurück zu geben und den Bus in die Arbeit trotzdem noch zu erwischen. In letzter Zeit aber, ist es etwas schwierig geworden, den Backshop unter einer Verweildauer von etwa zehn Minuten wieder zu verlassen. Um genau zu sein, seit dem Herrn Nguyens Schwiegermutter zu Besuch ist und im Laden hinter dem Tresen sitzt. Die alte Dame scheint mir sehr geschäftstüchtig zu sein. Denn immer dann, wenn sie der Meinung ist, dass man zu wenig eingekauft hat, springt sie auf und überschüttet einen mit einem vietnamesischen Redeschwall. Diesen kombiniert sie mit einer wilden Mimik und deutet so lange auf den Teil der Auslage, der mit asiatischen Spezialitäten bestückt ist, bis man etwas kauft. Herrn Nguyen ist da sehr unangenehm. Man sieht es ihm an. Er versucht die rabiaten Verkaufsversuche der Verwandtschaft abzuschwächen indem er behauptet, dass es sich nicht um eine verkaufssteigernde Maßnahme handelt sondern die alte Dame nur die Spezialitäten ihres Landes zum probieren anbieten möchte. Kostenlos. Sie sollten das Gesicht der Schwiegermutter sehen, wenn es einer wagt, sich tatsächlich nur ein kleines Gebäckstück in den Mund zu stecken. Weil ich es nicht riskieren wollte, in dieses Gesicht zu sehen, aber noch nicht auf der Bank war und mein Pfand nicht reicht um etwas zu kaufen, bot ich schweren Herzens die Zwetschgenrohrnudel von Herrn Mu zum Tausch gegen etwas undefinierbares, aber gut riechendes an. Frau Nguyen strahlt und ich rannte zum Bus.

Mittags roch die Tüte mit vietnamesischen Spezialitäten nicht mehr ganz so gut. Ich hatte vergessen sie in den Kühlschrank zu legen und fünf Stunden in einer dunklen Handtasche auf einem sonnigen Fensterbrett haben ihr nicht gut getan. Mit knurrendem Magen trauerte ich ein meinem Kichererbsensalat hinterher, freute mich aber, dass Herr Mu seinen kulinarischen Horizont dank mir ein wenig erweitern konnte. Ich tauschte meine letzten Kekse aus der Schreibtischschublade gegen ein belegtes Brot einer Kollegin und hielt so bis zum Abend notdürftig versorgt durch. Zu Hause hörte ich Herrn Meier und Frau Obst schon im Aufzug streiten und wäre am liebsten gar nicht erst ausgestiegen. Die beiden streiten nämlich mit Vorliebe vor der Tür zu meinem Laubengang und es ist unmöglich an meinen Nachbarn vorbei zu kommen ohne Partei ergreifen zu müssen oder – weit schlimmer – selbst in den Streit hineingezogen zu werden. Allein der Hunger trieb mich voran. Polternd und schimpfend stand Herr Meier vor der Türe von Frau Obst und beschwerte sich, dass die sein Fahrrad einen Meter zur Seite gestellt hatte. Kaum sah sie mich, stürzte diese auf mich zu und hoffe auf Unterstützung in der Fahrradfrage. Ich bin selten auf der Seite von Frau Obst, aber auch mich hatte das Rad, das grundsätzlich genau vor der Kellertür steht in den letzten Tagen genervt. Weil ich Herrn Meier aber lieber als Frau Obst mochte, konnte ich das aber nicht zugeben. Außerdem wurde ich von einer Plastikdose in Herrn Meiers Hand abgelenkt. Sie sah der meinen recht ähnlich und beinhaltete Kichererbsensalat.

 Ohne auf die Frage nach dem Schuldigen in der Fahrradfrage einzugehen, drückte ich Herrn Meier die mittlerweile streng riechende Tüte aus dem Backshop in die Hand. Vom Vietnamesen, teile ich ihm mit und gab damit Frau Obst das Stichwort. Sie mag sie ja nicht, die Vietnamesen, und begann sofort loszukeifen. Jetzt war es leicht, wieder mit Herrn Meier einer Meinung zu sein. Vor allem, weil er mir zum Tausch meinen Kichererbsensalat in die Hand drückte. Als ich ihn später aß, fragte ich mich, durch wie viele Hände er gegangen war und entschied mich, das lieber nicht wissen zu wollen. Wo die Zwetschgenrohrnudeln von der alten Huber aber mittlerweile gelandet sind, das würde mich schon interessieren.

 

 

34 Gedanken zu “Giesinger Tauschgeschäfte

  1. Eine herrliche Geschichte vom wandernden Essen, liebe Mitzi. Die musst du dir vormerken fürs nächste Buch. Beim Lesen habe ich Hunger bekommen, obwoihl mich die genannten Speisen grad ein bisschen misstrauisch gemacht haben. Ich nähme die Kichererbsen, so lange ich nichts über deren Odyssee wüsste.

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  2. Liebe Mitzi!

    Soeben hat es an meiner Haustüre geklingelt. Ich habe geöffnet und mich schon gewundert, wer mich um diese Zeit noch besuchen wollte. Kein Mensch da. Fast hätte ich die Türe wieder geschlossen, als ich ein in Pergamentpapier gewickeltes Päckchen am Boden liegen sah. Sogleich habe ich es geöffnet, da es wunderbar geduftet hat. Sie ahnen es natürlich schon. Mr. X hat mir die Zwetschgenrohrnudeln vor die Türe gelegt. Wie die da hingekommen sind, interessiert mich im Moment aber gar nicht, ich weiß nur, dass sie jetzt in meinem Magen landen werden. Lecker 🙂

    Herzliche Grüße und guten Appetit mit Ihrem Kichererbsensalat
    Mallybeau

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    1. Liebe Mallybeau, es freut mich zu hören, dass das gute Stück den Weg zu Ihnen gefunden hat. Es wäre doch arg schade gewesen, wenn es jemanden in die Hände gefallen wäre, der die Arbeit von Frau Huber nicht zu schätzen gewusst hätte.
      Herzliche Grüße auf die Alm
      Mitzi – satt und zufrieden.

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  3. Liebe Mitzi,
    die Sache mit den Kichererbsen hat mich daran erinnert, wie „spannend“ es ist, wenn man beim Wichteln sein eigenes Päckchen wiederbekommen hat! 😉
    Später wurde das durch eine logistische Feinheit verhindert, an die ich mich aber nicht mehr erinnere.

    Gruß Heinrich

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    1. Lieber Heinrich, an diese Problem beim Wichteln kann ich mich auch noch erinnern. Und auch bei uns haben es kluge Köpfe aus der Welt geschafft. Mich hat nicht interessierte wie.
      Und ganz ehrlich…manchmal hätte ich gar nichts dagegen mein eigenes Geschenk aus dem Sack zu ziehen ;).
      Herzliche Grüße
      Mitzi

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  4. Schöne Geschichte! München ist ein Dorf, ich habe es schon geahnt, genau wie Köln. „Zwetschgenrohrnudeln“, den Begriff kannte ich bisher noch nicht – sieht lecker aus auf den Googlebildern. Zum Mittag (oder am Abend) würde ich auch lieber Kichererbsensalat essen, da hast du wirklich Glück gehabt.

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    1. München kann man wirklich nicht zu den Großstädten zählen. Tut man es doch, bleiben die einzelnen Viertel, die mehr an Dörfer als eine Stadt wie z.B. Berlin oder Hamburg erinnern.
      Geht es um Rohrnudeln oder Salat ist das allerdings wieder praktisch ;).

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  5. Jetzt hätte ich echt Appetit auf so feine Zwetschgenrohrnudeln…
    hm oder Kichererbsensalat… aber nix davon in Reichweite
    Muss der Kühlschrank was anderes Leckeres hergeben. 🙂

    Appetit angeregte Grüße,
    Silbia

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  6. Die Geschichte hat ja schon fast Schulhofflair… War ich damals froh, meine Pausenbrote nicht tauschen zu müssen. Zumindest wenn meine Mutter sie geschmiert hat. Bei meinem Vater, sah das allerdings schon ganz anders aus und dann konnte ich es noch nicht einmal. Ein Hoch auf das Alter, in dem man anfängt für sich selbst zu Sorgen.

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    1. An die Schulhoftauschgeschäfte kann ich mich auch noch gut erinnern. Phasenweise tauschte ich sehr gerne. Dann, wenn meine Mutter mich davon überzeugen wollte, dass Frischkäse doch eigentlich genauso schmeckt wie Butter 😉

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  7. Giesinger Tauschgeschäfte sind ideal für alle, die sich dem Abnehmen verschrieben haben. Durch diverse Lebensmittel-Tausche, die sich über den ganzen Tag ziehen, vergisst man dann tatsächlich aufs Essen … 🙂

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