Fernruf

Das Schild muss alt sein. Älter als 26 Jahre ganz sicher, denn die Adresse ist noch mit „8000 München 40“ angegeben und an diese Postleitzahl erinnert sich nur der, der 1993 schon Briefe verschickt und die Umstellung auf die fünfstelligen Ortszahlen miterlebt hat. Wahrscheinlich ist das Schild aber um einiges älter. Der Firmeninhaber wäre ja blöd, wenn er ein Metallschilder für die Ewigkeit angebracht hätte, und schon ahnen konnte, dass die Adresse so bald nicht mehr stimmt. Es muss auch älter sein, weil anstelle des Telefons, der Fernruf angegeben ist. Natürlich weiß ich, dass das eine den anderen sprachlich nur abgelöst hat, aber fremd klingt es dennoch. Wann, frage ich deshalb den, der es wissen muss. Mitte der Achtziger sagt er schmunzelnd und sofort habe ich den Geruch derer, die das Schild abgebracht haben, in der Nase. Mitte der Achziger roch ich ihn jeden Abend und mag ihn noch heute. Metallspäne riechen fein und vermischen sie sich mit schwerem Baumwollstoff und einer grobkörnigen Handwaschpaste, dann riechen sie nach Kindheit und Heimat. Auch wenn schon damals niemand mehr von Fernrufnummern sprach. Von der Firma Niedermaier schon. Und das auch heute noch. 

Es ist so gut wie unmöglich mit meinem Vater durch München zu gehen, ohne an einem Ladenlokal vorbei zu kommen, in dem er im Laufe seines Lebens gearbeitet hat. Nicht nur München – ganz Bayern ist übersät mit den Stationen seiner beruflichen Laufbahn. Ein Schlosser auf Montage kommt rum und die Tochter freut es. Ich gehöre zu jenen Töchtern, die unglaublich stolz auf ihren Vater sind (am Rande…auf meine großartige Mami auch. Aber sie mag es nicht, wenn ich über sie schreibe und ich versuche mich weitestgehend daran zu halten). Das war ich schon immer. Penetrant stolz. Als Grundschülerin erzählte ich jedem, dass mein Vater für die Scheiben des Affenhauses verantwortlich war. Das war er wirklich, denn im Auftrag der kleinen Firma für die er arbeitete, hatte er die Metallrahmen eingesetzt. Und wann immer ich mit Freunden, Verwandten und Schulkameraden die Gorillas und Schimpansen besuchte, wies ich auf die Scheiben meines Vaters hin. Ich mache das immer noch, nur belasse ich es heute bei den Metallrahmen – früher erzählte ich noch eine hochdramatische Geschichte über einen mutigen, zufällig mit mir verwandten Schlosser und einen wilden Gorilla. Möglich, dass die sich nicht ganz so zugetragen hat. Vielleicht auch nicht einmal annähernd, aber die Rahmen, die waren von ihm und die waren toll. Die Rahmen an sich sind es gar nicht. Auch nicht die Schlösser, die Geländer und die Beschläge. Es sind die kleinen Geschichten, die hinter ihnen verborgen liegen und die ich noch immer unheimlich gerne höre, wenn ich mit meinem Vater durch die Stadt laufe. Er braucht keinen wilden Gorilla zu erfinden, um mein Interesse zu wecken. Mir reicht es, die Stadt durch seine Arbeitsstätten besser kennen zu lernen und freue mich mit ihm, wenn es einige der kleinen Einzelhandelsgeschäfte oder auch das Kino am Sendlinger Tor (klar, da hat er auch gearbeitet. Ich sag doch….Papa war überall und kennt alles) bis ins Heute geschafft haben. 

Ich würde Ihnen gerne erzählen was er wo gemacht hat, traue mich aber nicht, denn wenn einer von Ihnen Ahnung vom Handwerk hat oder mein Vater diesen Artikel liest, dann kommt schnell raus, dass ich allen Erzählungen zum Trotz keine Ahnung vom Metallbau habe. Gerne würde ich Ihnen auch all die Anekdoten erzählen, von denen meine Vater beim Spazieren durch die Stadt berichtet, aber auch hier scheitere ich. Er kann es so viel besser und täte ich es, wäre es doch nur ein müder Abklatsch. Damit Sie aber auch ein wenig vom besten Schlosser Münchens profitieren, ein kleiner Tipp. Bei vielen Wohnungstüren ist es besser den Schlüssel nur einmal rum zu drehen. Der Zylinder schiebt sich beim zweiten Drehen zwar tiefer in den Türrahmen, ein Großteil der Schlösser verliert dabei aber an Stabilität. Klingt logisch, oder? Sie sollten aber vorsichtshalber im Kleingedrucken Ihrer Hausrat-Versicherung nachlesen, ob der Vertragspartner das auch so sieht. Aber selbst wenn, wenn Sie mich fragen, dann hat ein Schlosser deutlich mehr Ahnung, als ein Versicherungskaufmann. Dennoch….ich will ja nicht schuld sein und vielleicht gibt es Ausnahmeschlösser bei denen das nicht so ist. Wenn Sie in München wohnen, können Sie mir auch einfach Ihre Adresse mailen und ich frag nach – via Fernruf. Mein Vater kennt Ihren Wohnblock und dessen Schlösser ganz bestimmt. 

Viele Grüße von Mitzi (8000 München 90 / Fernruf auf Anfrage)

 

Sommerfilter

Mein Lieblingsmensch mochte keine Fotos. Einen billigen Abklatsch der Wirklichkeit nannte er sie und hatte doch eines von mir auf seinem Handy gespeichert. Eines, von dem er behauptete, dass es echt sei. Und eines das mir gar nicht gefiel. Ich beiße mir darauf auf die Unterlippe, funkle ein bisschen genervt in die Kamera, bin ungeschminkt, von Sommersprossen übersäht und meine Haare sind zerzaust und nass, weil mich die Hitze eines Julitages in die Isar getrieben hatte. Er mochte es wegen des leuchtenden Grün meiner Augen und dem Wassertropfen der sich in den Wimpern verfangen hat.  Und wegen des genervten Gesichtsausdrucks, der – wie er sagte – an eine bockige Dreijährige erinnerte. Mein Lieblingsmensch fand mich immer dann am schönsten, wenn ich mich gar nicht mochte. Man müsse wenigstens einen Filter darüber legen, forderte ich und setzte mich durch. Der bockige Gesichtsausdruck blieb, der Rest wirkte seltsam weichgewaschen. Man könnte keine zwei Filter übereinander legen, meinte mein Lieblingsmensch und löschte das Bild. Ohne die Sommersprossen hatte es für ihn den Reiz verloren.

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Im Juli harmlos

 

Sind Sie schon im August? Ich noch gar nicht. Heute ist der 1. August behaupten die Kalender denen ich begegne. Sie alle sind sich einig, dass der Juli 2016 unwiederbringlich der Vergangenheit angehört. Die Kalender haben keine Ahnung. Ich bin nämlich noch nicht im August gelandet. Ich hänge noch im Juli fest und brauche noch ein paar Stunden, bis ich im August lande. Das hat nichts mit unterschiedlichen Zeitzonen zu tun, sondern nur mit meiner Sturheit. Ich lasse mich ungerne in einen neuen Monat schubsen, wenn ich mit dem alten noch nicht abgeschlossen habe. Weiterlesen

Sommer mit Filter

Kennen Sie den Sommer Filter, der sich an manchen Tagen im Juli über die Welt legt? Wenn Sie jetzt im App Store nachsehen müssen, dann kennen Sie ihn nicht. Es ist kein Gadget für Ihre Kamera, sondern etwas ausgesprochen hübsches, dass Sie ganz umsonst bekommen. Achten Sie mal drauf, der Filter legt sich auch über Ihre Stadt. Falls Sie ihn nicht gleich erkennen und ein Kind im Haushalt haben, fragen Sie es! Weiterlesen

Harmlos bescheuert

An einem Samstagmorgen, an dem es nichts mehr zu sagen gibt, was nicht schon gesagt wurde, müsse man etwas bescheuertes tun um sich wieder zu erden. Mein Nachbar Paul, der diese Meinung heute Morgen vertrat, war darin ganz gut. Ich jedenfalls fand es ziemlich bescheuert, neben ihm auf einer Bank im Innenhof zu sitzen und über seine Schulter auf das Display seines Handy zu starren. Als er etwas von Duftmarken setzen murmelte, wollte ich gehen. Ich setzte mich wieder, als er aufsah und auf die Kinder am Spielplatz deutete und mich bat zu bleiben. Es hätte einen seltsamen Beigeschmack wenn erwachsene Männer, auf einer Bank am Spielplatz säßen und kein Kind vorzuweisen hätten. Mindestens eine Alibifrau sei nötig, um nicht unangenehm auszufallen. Ich sparte mir den Kommentar, dass ein Pokémon spielender Vierzigjähriger sich wohl keine Gedanken mehr über seinen Ruf machen muss. Weiterlesen