Schön, nicht wahr, frage ich dich und blinzle in die Sonne, die so klar und warm strahlt, als wolle sie beweisen, dass jeder Abschied von ihr verfrüht und viel zu pessimistisch gewesen ist. Oktobersonnentage sind die schönsten, sagst du und ich nicke. Wahrscheinlich hast du recht. Die meisten Dinge werden schöner, wenn man sich ihrer Vergänglichkeit bewusst ist. Selbst dann, wenn man weiß, dass es kein Abschied für immer sondern nur für wenige Monate ist. Weiß man das, höre ich dich fragen und würde die Augen verdrehen, wenn du wirklich noch neben mir sitzen würdest. Natürlich weiß man es nicht. Man weiß in den seltensten Fällen überhaupt etwas und das was man zu wissen oder zu haben glaubt, stellt sich oft genug als falsch und schwindend heraus. Vielleicht sitze ich deshalb jetzt am See und blinzle in die Sonne, obwohl mir ein Blick auf die Uhr hätte sagen müssen, dass es keine gute Idee ist sich eine Stunde an den See zu setzen, wenn der Tag so wenig Stunden hat. Du sitzt neben mir und ohne dich zu sehen, weiß ich dass du schmunzelst. Das hast du immer gemacht, wenn ich mich nicht entscheiden konnte ob es eine gute oder eine schlechte Idee ist, die Uhr zu ignorieren. Eine gute, beschloss ich, als vor wenigen Minute auf halber Strecke aus dem Zug stieg. Und eine gute, denke ich auch jetzt, mit Blick auf den wunderbaren See. Dann komme ich eben eine Stunde später zu Hause an. Was sind schon 60 Minuten, wenn man doch nie weiß ob man noch einmal an einem letzten Oktobertag eine so warme Sonne auf der Haut spüren wird. Ein dummer Gedanke sagst du und ich würde dich gerne daran erinnern, dass ich sie vor deinem Abschied nicht hatte – solche dummen Gedanken. Bevor du gingst, war ich überzeugt, dass ein kräftig schlagendes Herz, auch weiter schlagen wird bis sein Eigentümer ein annehmbares Alter von….sagen wir 105 Jahren erreicht hat. Vorgestern hättest du dieser Zahl ein wenig näher kommen sollen. Hättest, denn in der Wirklichkeit dieses wunderschönen Herbsttagest, bist du schon wieder nicht älter geworden, weil du längst nicht mehr hier bist. Ein kaum in Worte zu fassender Verlust, mittlerweile aber auch eine bodenlose Unterverschämtheit, die ich dir noch immer übel nehme. Heute ein bisschen weniger, weil ein so wunderschöner sonniger Oktobertag ist, dass für Wut und Traurigkeit nur wenig Platz bleibt. Weiterlesen
Zeitgeschenk
