Von Ochsen und Bäumen

Ich kannte mal einen, der hat jedes Jahr pünktlich zum ersten Advent einen Karton aus dem Keller geholt und die Wohnung weihnachtlich dekoriert. Eine, der Jahreszeit angepasste Dekoration bedeutete bei Jan, dass er den Aschenbecher stimmungsvoll mit Alufolie auslegte und die Glühbirne im Wohnzimmer austauschte. Vier Wochen lang war der Raum in pinkes Licht gehüllt. Das passte gut zu den Strohsternen die er über die Hälse der Bierflaschen und die Lavalampen gehängt hatte. Jan war damals gerade mal Zwanzig und ich mochte seine Deko, weil ich ihn mochte. Mit Zwanzig hatte ich kein Auge und kein Geld für stimmungsvolle Adventsdekoration. Eine von den Eltern geerbte alte Lichterkette reichte. Meine hatte besonderen Charme, da sie an vielen Stellen mit buntem Isolierband geflickt war. Eine schöne Erinnerung an Fippsi und Chester, die verfressenen Meerschweinchen meiner Kindheit. Mehr brauchte es nicht. Weiterlesen

Ein Stück Unendlichkeit

Ich liege auf der Holzbank vor der Hütte und schaue in den Sternenhimmel. Hier oben ist es dunkler als in der Stadt. Nicht nur, dass man mehr Sterne sieht, sie funkeln auch um einiges heller und scheinen näher zu sein. Mit jeder Minute, die man in die Dunkelheit starrt werden es mehr. Den großen Wagen kenne ich. Auch den Jupiter finde ich schnell und Orion würde ich an seinem Gürtel erkennen, wenn er zu sehen wäre. In dieser Nacht zeigt er sich nicht. Der Sternenhimmel auf meiner Lichtung ist von den Wipfeln der Fichten, Eichen und Buchen begrenzt. Obwohl ich irgendwann nachts in einer Wüste in den Sternenhimmel blicken möchte, bin ich froh, hier nur einen Teil der Unendlichkeit über mir zu haben. Bei zu großer Weite verliere ich mich. Ein Stück Unendlichkeit dagegen, ist genau richtig.
Als alle eingeschlafen waren, bin ich noch einmal aufgestanden und nach draußen gegangen. Barfuß – das ist wichtig, weil ich das warme Holz der Bank unter mir spüren möchte, wenn über mir ein Stück Unendlichkeit schimmert. Ich bin nicht alleine, dass ist man hier nie. Eine Siebenschläfer Familie läuft über die Stromleitung, Glühwürmchen imitieren vom Himmel gefallene Sterne und überall im Wald raschelt es. Ich bin ein Angsthase, aber hier in der Dunkelheit fühle ich mich geborgen. Solange noch irgendjemand im Haus schläft, bin ich gerne alleine draußen. Seltsam, dass ich gerade die Unendlichkeit nicht teilen möchte. Sie würde für alle reichen.

„Seit Beginn der Urgeschichte sind rund hundert Milliarden menschliche Wesen auf Erden gewandelt. Eine sonderbare Zahl, denn durch einen merkwürdigen Zufall gibt es etwa hundert Milliarden Sterne in unserem begrenzten Universum der Milchstraße. Also scheint für jeden Menschen, der je gelebt hat, in unserm Teil des Alls ein Stern.“ So schreibt Clarke im Vorwort seines Buches Odyssee 2001. Ein schöner Gedanke. Könnte ich mir einen Stern aussuchen, dann würde ich Beteigeuze, die Schulter Orions, nehmen. Vor einigen Jahren erzählte ich es einem und er lachte, weil er wusste, dass ich einen Stern wählen würde, der gut zu erkennen und einfach wieder zu finden sei. Für ihn hatte ich Riegel, den Fuß Orions, gewählt. Er bat mich zu tauschen, da seine Schultern breiter als die meinen seien, aber ich war stur. Auch seine Füße waren größer als die meinen und Standfestigkeit erschien mir wichtiger, da wir uns eh Schulter an Schulter befanden, wenn ich mich zwei Stufen über ihn stellte. Damals nickte er und jetzt wo er nicht mehr da ist, sind es Beteigeuze und Riegel für die nächsten 13.000 Jahre noch immer. Danach ist Orion von Mitteleuropa aus nicht mehr zu sehen. Vermutlich denkt dann aber auch niemand mehr an uns. Vielleicht suchen wir uns dann einen anderen Stern oder ich weiß, welchen Stern er sich selbst gewählt hätte. Clark schreibt weiter, dass jeder dieser Sterne in unserer Milchstraße eine Sonne ist. „Oft eine hellere und herrlichere als der unsere kleine Sonne. Und viele – möglicherweise die meisten – dieser entfernten Sonnen besitzen Planeten, die sie umkreisen. Fraglos gibt es daher genügend Land im All, um jeden Typ menschlicher Spezies, vom ersten Affenmenschen bis zu uns, seinen eigenen privaten Himmel – oder seine eigene private Hölle finden zu lassen.“ Für eine Nacht waren wir Beteigeuze und Riegel – sie waren ja genau über uns. In allen anderen Nächten, befanden wir uns in einem anderen Teil des Universums. Irgendwo da oben gibt es zwei Sterne, die sich ganz nahe sind aber doch sehr unterschiedlich. Ich glaube sie sind weit weg von der Erde, denn die mochte er noch nie und ich bin in etwa 40 Jahren flexibel genug mir einen anderen Teil der Milchstraße anzusehen.

Um ehrlich zu sein, hatte ich Beteigeuze eh geklaut. Den hat vor Jahren schon der klügste meiner Freunde besetzt und das lange bevor ich per Anhalter durch die Galaxis gelesen habe. Zwei Tage später liege ich wieder auf der Bank vor der Hütte und schaue in die Sterne. Es ist bequemer, weil ich mich an den Klügsten meiner Freunde lehne. Heute ist es gut, dass es nicht still ist. Ich weiß, dass ein Stichwort reicht und er mir von faszinierenden Dingen erzählt. Von Laserbetriebenen Sonnensegeln, den Grenzen der Zeit oder den alten Sagen über Orion. Meine Freund plappern durcheinander und ich höre ihnen gerne zu. Hier unter dem kleinen Stück Unendlichkeit habe ich alles. Die Erinnerungen an all die Tage und Nächte, die ich hier oben verbracht habe. Jeder Holzbalken riecht nach Freundschaft und Familie, mit jedem Glas im Regal wurde schon auf etwas angestoßen und auf den Betten und Bänken wurde sich wichtiges und unwichtiges erzählt. In diesen Tagen ist Neues dazu gekommen und das Lachen wird sich in den Bodenbrettern festsetzen und die Treppenstufen werden sich jeden einzelnen Fußabdruck merken. Hier oben unter dem kleinen Stück Unendlichkeit ist auch viel Platz für die nächsten Jahre. Der eine oder andere Baum im Wald fällt einem Sturm zum Opfer, aber die Bäume auf dieser Lichtung sind wie die Menschen um mich herum. Die meisten bleiben ein Leben lang und nur wenige knicken um. Und selbst von diesen bleibt etwas zurück. Ihr Lachen im Holzboden, ihre Stimme unter dem Dach und die schlechten Träume in den Kissen. Wenn Orion in 13.000 Jahren auf der Lichtung nicht mehr zu sehen ist, wird meine Hütte nicht mehr stehen. Das muss sie auch nicht. Falls dann noch jemand an dieser Stelle steht, ahnt er auch so, dass es ein besonderer Ort ist.

Der Hirschkopf bleibt!

Den Streit eines Paares mitzuerleben berührt mich unangenehm. Es widerstrebt mir zu sehen, wie dünn die Schicht an Liebe ist, die über den harten Bodensatz von Egoismus, Sturheit und Gleichgültigkeit gestreut wurde. Wenn die Diskussion der Farbe von Sofakissen zu verbalen Totalausfällen führt, dann sollten Paare zum Therapeuten. Der Streit, der mich unangenehm berührte, amüsierte dich. Warum eine Therapie, meintest du. Ein kurzer Ikea Besuch am Samstag Nachmittag würde ihnen doch sehr deutlich machen, dass ihre Beziehung Mist ist. Weiterlesen