Apotheken (Plural)

Freitag 15:30 Uhr. Ich stehe in der Apotheke und möchte das Rezept, das ich seit zwei Wochen in meinem Geldbeutel mit mir herumschleppe noch vor dem Wochenende einlösen. Ich stehe in der Schlange und warte. Ich warte darauf, dass ein etwa drei Monate altes Kind der Apothekerin sagt, wie ein Schaf macht. Sie haben richtig gelesen, einem etwa drei Monate altes Baby wird eine Frage gestellt und – das ist das interessante – eine Antwort erwartet. Anders ist ein so penetrantes Nachfragen nicht erklärbar. Na?….Wie macht das Schaf, fragt die Apothekerin, und legt sich mit dem Oberkörper auf dem Verkauftresen, um dem winzigen Kind ganz nah zu sein. Wie macht das Schaf, wiederholt sie ihre Frage und reißt dabei die Augen soweit auf, dass vermutlich auch ein deutlich älteres Kind es mit der Angst bekommen hätte. Weil das Baby die Antwort immer noch verweigert, wird sie ihm vorgesagt. MÄÄÄÄÄHHHH, mach das Schaf. JAAAA, das Schaf macht MÄÄÄHHHH. Gell, das Schaf macht Mäh. Es liegt mir fern, einer hart arbeitenden Person zu unterstellen, dass sie nicht mehr alle Tassen im Schrank hat. In diesem Fall mache ich allerdings eine Ausnahme und das kleine Kind scheint es genauso zu sehen. Es beginnt zu weinen. Leider endet das Gespräch damit nicht. Ehrlich gesagt bedaure ich das in erster Linie deswegen, weil es bedeutet, dass ich weiter warten muss und mein Rezept noch nicht einlösen kann. Allerdings habe ich auch echtes Mitleid mit dem Baby. Wenn die Grundbedürfnisse gestillt sind, dann ist so ein Weinen ja häufig auch ein Ausdruck von Unbehagen. Ich wäre an seiner Stelle auch nicht begeistert, wenn ich in einem Kinderwagen fest hängen würde, und sich ein wildfremder Mensch mit seinem Kopf in meinem Bereich beugen würde. Wenn es dann noch ein erwachsener Mensch ist, dessen Unterkörper hinter dem Tresen ist, während der Oberkörper darauf liegt, dann würde ich auch zum brüllen beginnen. Die Apothekerin sieht das anders und anstelle zu fragen, wie das Schaf macht, schwenkt sie in Babysprache um und sagt etwas wie JA MEI….GUTSCHI, GUTSCHI, GUTSCHI…du liebes Kinderl. Freitag 15:45 Uhr ich verlasse die Apotheke, ohne mein Rezept eingelöst zu haben.

Freitag 16:30 Uhr ich stehe in einer anderen Apotheke und warte bis ich an der Reihe bin. Mein Nachbar Paul, betritt eben diese Apotheke, sieht mich, tut aber so, als hätte er mich nicht gesehen. Paul verlässt die Apotheke wieder. Rückwärts, während er mir in die Augen sieht und vorgibt mich nicht zu kennen. Ich spiele mit und ignoriere ihn ebenfalls. Albern, aber ich weiß, dass Paul gerade eine schwere Zeit durchmacht.

Paul ist vor kurzem nämlich 50 Jahre alt geworden. Das ist bei seinem Lebenswandel, eine beachtliche Leistung. Nicht nur, dass er soweit ich das durch sein Küchenfenster und vom Balkon zum Balkon beurteilen kann, reichlich ungesund lebt, vorallem ist es eine Leistung bei all seinen Frauengeschichten nicht auf eine gestoßen zu sein, die ihm eine Bratpfanne, oder moderne, das Tablett, über den Kopf gezogen hat. 50 Jahre hat er also eschafft. Dass das kein Grund zur Freude, sondern eine echte Tragödie ist, zeigen mir seit Tagen seine angefallenen Schultern und sein missmutiges Gesicht. Ein Mann wie Paul altert nicht. Das ist nicht meine Meinung, sondern seine Überzeugung. Ein Mann wie Paul steht immer in der Blüte seines Lebens. Und auch wenn er in meinen Augen durchaus noch nicht zu welken begonnen hat, ist er definitiv kein junger Mann mehr. Auch das ist eine Tragödie. Und diesmal eine, die ich sogar verstehen kann. Auch ich frage mich, wie es passieren konnte, dass ich urplötzlich nicht mehr zu den jungen Frauen zähle. Allerdings bin ich etwas realistischer und ahne, woran es liegt. Sehr wahrscheinlich an den 48 Jahren, die ich jetzt schon auf der Welt bin. Man fragt sich, wie es dazu kommen konnte. Auch ich, aber im Gegensatz zu meinem Nachbarn er blöde ich mich nicht, mich darüber zu beschweren. Oder eine Apotheke wieder zu verlassen, weil man dort womöglich etwas kauft, dass die Nachbarin für nicht jugendlich genug hält. Freitag 16:35 Uhr Paul sucht sich eine andere Apotheke, um sich Hämorrhoidensalbe oder etwas anderes das ähnlich unsexy ist, in einem anonymen Umfeld zu kaufen.

Freitag 17:00 Uhr Weil in Apotheke Nummer zwei das Schilddrüsenhormon, das ich brauche, nicht vorrätig war, besuche ich die dritte Apotheke an diesem Nachmittag. In München Giesing fehlt es an vielem, an Apotheken nicht. Paul sehe ich nicht, dafür meine Nachbarn Herrn Meier. 17:01 Uhr ich verlasse die Apotheke, ohne mich überhaupt anzustellen, denn den Vortrag von Herrn Meier über das deutsche Gesundheitswesen habe ich bereits mehrfach gehört. Nicht in einer Apotheke, sondern auf meinem Balkon sitzend, während er sein Plädoyer unten in der Kneipe gehalten hat. Da ich den Inhalt kenne und vermute, dass dieses Gespräch mit der armen Apothekerin länger dauert, gebe ich auf, bevor ich überhaupt angefangen habe.

Glauben Sie es oder glauben Sie es nicht in der vierten Apotheke um kurz nach 18:00 Uhr (in der Zwischenzeit habe ich andere Einkäufe erledigt) treffe ich wieder auf Paul. Der ignoriert mich diesmal nicht, weil er wieder Oberwasser und sein Alter vergessen hat. Paul versucht gerade eine Mutter mit einem etwa drei Monate alten Baby auf einen Kaffee einzuladen. Und ja, es ist ein Baby, das ich heute schon einmal brüllen gehört habe, das vermutlich immer noch nicht weiß, wie das Schaf macht, jetzt aber friedlich schläft.

Ich möchte dem Gejammer von Herrn Meier unser Gesundheitswesen betreffend nicht zustimmen. Allerdings habe ich mein durchaus gängiges Schilddrüsenhormon noch immer nicht. Man hat mir empfohlen, es über die App einer Online Apotheke zu probieren. Ganz allein ohne Nachbarn, Apothekerinnen und Warteschlange, halte ich meine Krankenkassenkarte bei einem Glas Wein an die Rückseite meines Handys. Ich warte. Drehe das Handy und warte. Entferne die Schutzhülle und warte. Lege die Karte auf den Tisch und lege das Handy darauf. Hebe das Handy an, drehe die Karte, lege beides auf den Tisch, warte und frage mich wie das Schaf macht. Karte kann nicht gelesen werden. Das Schaf mach mäh. Ich warte. Herr Meier hätte mir vermutlich gleich sagen können, dass das nicht funktioniert.

Ein Blick in die Zukunft zeigt mir… Samstag 9:05 Uhr und ich stehe in der Apotheke.

Schönes Wochenende

37 Gedanken zu “Apotheken (Plural)

  1. Für so manche Männer ist das Erreichen des fünfzigsten Lebensjahr tatsächlich wie ein Todesurteil oder eine ganz furchterbarliche Krankheit. 😉 Hämorrhoidensalbe soll übrigens gut gegen Augenringe und auch Falten wirken, viele Top-Models benutzen sie regelmäßig. 😉

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    1. Ja die böse 50, die macht wahrscheinlich niemanden Spaß. Noch hab ich sie nicht und kann mir die Witze erlauben.
      Das mit der Benutzung für die Augen habe ich auch schon gehört. Das könnte ich Paul als Ausrede mitgeben, wobei ich fairerweise ja auch gar nicht weiß, was er da in der Apotheke wollte. Vielleicht widerstrebt es ihm einfach überhaupt, Medikamente zu brauchen 😆

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      1. Tja. Das ist nicht so ganz leicht, das mit dem Abfinden, kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Aber haben wir eine Wahl? Aus meiner Sicht ist es aber allemal besser als ein botox-starres Gesicht zu haben, oder?

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    2. Schön wär’s, ist aber leider ein Mythos. Augenringe wie auch Falten sind nicht entzündungsbedingt. Die adstringierenden sowie die entzündungshemmenden Wirkstoffe in der Salbe sind also hier nutzlos. Im Gegenteil – sie trocknen die zarte Haut im Gesicht und um die Augen noch weiter aus und können ernsthaft schaden.

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      1. Danke dir für die Ergänzung, nicht das wir doch noch auf die Idee kommen uns die Salbe an den flaschen Ort zu schmieren.
        Am besten finden wir uns mit den Fältchen ab. Egal welche Creme, ein paar werden eh kommen.

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  2. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass deine Texte irgendwann apothekenpflichtig werden, liebe Mitzi. Dann würde ich auch bereitwillig hinter einer mähenden Apothekerin warten, die versucht, ein Baby zu bespaßen. 😄

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  3. Danke für diese wundervoll erzählte witzige Geschichte, liebe Mitzi!

    Die verblüffend hohe Apothekendichte in deutschen Innenstädten ist mir bei früheren Besuchen aufgefallen. Ich habe dann jeweils gespöttelt, dass man in Deutschland vielleicht keinen geniessbaren Kaffee bekommt, aber an jeder Ecke ein Medikament gegen Koffeinentzugserscheinungen. Ich hoffe, du kriegst deins bald, ohne weitere Fehlversuche online oder vor Ort.

    Es schockiert mich, dass Paul doch schon 50 sein soll -war er bei seinem ersten Blogauftritt nicht höchstens 34? (Offenbar nicht. Hätte er aber sein können.) Na, falls es ihn tröstet, mein geistiges Auge wird wohl weiterhin einen Enddreissiger imaginieren, und da finde ich es umso löblicher, wenn er in diesem zarten Alter schon mal den babysittenden Leihopa übt… (Ob die Mutter des Babys wohl froh war über den Kaffee, den der nette alte Herr spendieren wollte?)

    Übrigens war ich heute auf einer Beratungsstelle für Senior:innen – ich, die ich gefühlt doch höchstens 40 bin! Aber dein Baby feiert ja dieses Jahr auch schon sein 10-jähriges Jubiläum, oder? Darauf einen Klosterfrau Melissengeist! Oder einen Franzbranntwein?

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    1. Liebe Eva, ich glaub du kannst dir Paul weiterhin in den Dreißigern vorstellen. Eigentlich möchte ich den meisten Personen gar kein wirkliches Alter geben auch meinem ich hier auf dem Block nicht. Mir geht es nämlich genauso wie dir. Obwohl ich selbst 48 bin und Paul damit immer schon mein Alter hatte, Passt die Zahl sogar gar nicht zu meinem empfinden. Ich glaube das ist ganz normal.
      Nur manchmal werde ich ihm jetzt auch das ältere Alter, das echte geben müssen, denn sein sich immer wieder beschweren über das Alter, ist herrlich amüsant.
      Ganz liebe Grüße aus der Stadt der Apotheken 😄

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      1. Blogfiguren, inklusive deines schreibenden Ichs, altern natürlich nur bedingt. Bestimmt waren die Herren Mu und Meier immer schon ü80, stimmt’s? Ausserdem seid ihr alle ja bereits irgendwie unsterblich geworden.

        Das hilft im RL natürlich nicht gegen die Zipperlein des Alters, aber wie meine Oma zu sagen pflegte: Bei Problemen mit dem Älterwerden bedenke die Alternative! Und ja, gefühlt ist wohl kaum jemand exakt so alt wie auf der Geburtsurkunde behauptet wird. So hat mensch also immer mehrere Alter: das rein physische, das psychische und das nicht zuletzt das geistige. Ich bin überzeugt, du versprühst auch mit 148 noch den Charme jugendlicher Begeisterung und Lebendigkeit. 😊

        In meiner Stadt scheint es pro 3900 Personen eine Apotheke zu geben. In München soll wohl eine Apotheke rund 4100 Personen versorgen. Wer hätte das gedacht! 😂

        Ich gehe jetzt lieber mal Schäfchen zählen… 👋🏼

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      2. Stimmt – die waren schon immmer um die 80. Da sie aber alle für einen Typ Mensch stehen, können sie ruhig alterslos bleiben. 😉
        Wow…eine beindruckende Apothekendichte.
        Die Begeisterung behalten wir uns hoffentlich beide. Gegen das Altern können wir eh nix machen. Also bleibt nur, das Gemüt jung zu halten.
        Liebe Grüße

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      3. Bleiben wir so jugendlich wie möglich und werden wir so reif wie nötig, so gut wir können!

        Das mit der Hämorrhoidensalbe stimmt übrigens; wer schon mal dran geschnuppert hat und sich das Zeug trotz tränender Augen um diese schmiert, soll sich den Kick ruhig geben. Falls Paul also demnächst nicht nur griesgrämig und gebeugt daherkommt, sondern auch verheult, lagst du mit deiner Spekulation richtig. Aber vielleicht wollte er ja auch nur kleine blaue Pillen kaufen. Oder Rheumapflaster. Es darf sein Geheimnis bleiben. 😄

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  4. Ich habe deine Apothekenabenteuer mit Vergnügen gelesen, vor allem weil Paul mal wieder auftauchte. Aber auch die Schilderung der närrischen Apothekerin war goldig. Wenn ich Herrn Jauch in der TV-Werbung sehe, dass man seine Krankenkarte ans Smartphone halten soll, glaube ich ihm jedesmal nicht, dass es funktioniert. Kanns nicht prüfen, denn ich habe überhaupt keine Krankenkassenkarte. In der Apotheke in meiner Nachbarschaft kennt man mich mit Namen. Irgendwie war es besser, als Praxishelferinnen oder Apothekenpersonal meinen Namen noch nicht kannten.

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    1. Lieber Jules, an Herrn Jauch dachte ich auch, als ich wie ein Idot meine Karte ans Handy hielt. Es mag funktionieren, aber ich geh künftig erst mal weiter in die Apotheke.
      Zumal man da anscheinend Stoff für Geschichten bekommt 😉

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  5. Passiert mir derzeit auch. Eine bestimmte Tastenkombination und – weg.

    Was die Apotheken angeht, so ist es manchmal vorteilhaft, auf dem Land zu leben. Nein, ich bestelle nicht bei den Onlineapotheken! Sondern bei der in der nahen Stadt, die einen sehr freundlich – persönlichen Lieferdienst anbieten. Klappt meist problemlos.

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    1. Das klingt einfacher als die Onlineapotheke. In München kann ich einfach weiter in eine rein gehen….Ausnahmen wie die letzte Woch bleiben sicher das was sie sind: Ausnahmen. Sonst fange ich zum mähen an.

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      1. Mäh oder muh… ich muß halt ins Auto steigen, wenn ich zur Apotheke will. Da ist es so rum einfacher. Wenn ich eh schon unterwegs bin, einkaufen und so, dann fahr ich auch da vorbei. – Ja doch, einen Linienbus gäbe es auch. Aber auch wenn die Taktung in den letzten Jahren tatsächlich zugenommen hat ist es immer noch ein Tagesausflug, wenn ich das mache! So ist das, wenn man auf dem Dorf wohnt.

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  6. Beim Metzger weiss jeder wie das Schaf macht. Medikamente sind umsonst eingehüllt. Warum in der Apotheke warten? Wenn jemand eine Frage an mich richtet erkläre ich von der tollen Möglichkeit aus der TV werbung: haben Sie es schon mit Dr T Durchschlafhilfe versucht. Das medizinische Leben ist bizarr…

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  7. In meiner neuen Apotheke – meine alte hatte das Handtuch geworfen und aufgegeben, vermutlich aber nicht wegen mir – rauschen die Produkte, einmal erfasst, wie die Backfische auf dem Kirmes in die Tiefe… blitzschnell, bevor ich auch nur Mäh sahen kann… 😉

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  8. Ich hätte noch einen Nachtrag: Hast Du es schon mal versucht? Zu sagen, dass das Kind krank ist, Du aber den Namen des Medikaments vergessen hast. Auf die hoffentlich freundliche Frage, was das Kind denn habe, natürlich, dass es das nicht sagt. Es ist verstockt! Auf den Einwand, es sei womöglich zu jung: Aber deuten könnt‘ es doch wenigstens! – Mal sehen, wie viele Apotheker, Apothekerinnen, Apothekenhelfer, pharmazeutisch technische Laborantinnen und Laboranten, ihre Kunden oder was immer da sonst noch rumläuft, meinetwegen auch das Schaf, noch Valentin – sicher sind.
    Immerhin bist Du doch in München!
    Vorsorglich solltest Du Dir merken: Isopropyl-propenyl-barbitursaures-phenyl-dimethyl-dimethyl-amino-pyrazolon.

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