Mein Nachbar, der alte Herr Meier, steht am Gehsteig und schaut. Schaute, als ich zum Einkaufen ging und schaute, als ich eine halbe Stunde später wieder zurück kam. Weil er traurig schaut, stelle ich mich neben ihn und schaue auch ein bisschen. Einen, wie den Meier, darf man nicht fragen ob er traurig ist. Dann würde er doch nur sagen, dass es kein Wunder ist, dass der Wirt schließen muss. Mit so viel gutem Essen auf der Karte und so wenig essenden Gästen, kann eine Kneipe in Giesing nicht funktionieren. Oder doch, das kann sie natürlich schon, nur die Kneipe, die sich in unserem Haus befindet, die wird so nicht funktionieren. Egal welcher Wirt sie betreibt, die Kundschaft ist die gleiche und die isst nun mal nicht jeden Abend außer Haus, findet sich aber gerne jeden Abend auf ein Bier ein.
Herr Meier schaut dem Wirtspaar beim Raustragen der Kartons zu und murmelt etwas von „a belegte Semmels hät g´reicht“ und „überambitioniert und a rechter Schmarrn“. Und während er das murmelt, sieht man, dass er den Schmarrn (den Blödsinn) eigentlich ganz gern gemocht hat. Vielleicht war die Karte zu groß, vielleicht haben sie es nicht geschafft, die Anhängern des 1860 Fußballvereins und gleichzeitig neues, aufgeschlossenes Klientel anzuziehen, aber sie haben es versucht. Wieder eine, murmelt Meier und lässt mich alleine auf dem Gehsteig stehen. Wieder ein, murmle auch ich und erinnere mich daran, dass ich noch Milch brauche. Eine Kneipe weniger, das macht traurig. Und das obwohl ich genau über ihr gewohnt habe und sie mich wirklich genervt hat. Ein Verein wie der 1860 neigt dazu eine Spur zu oft zu verlieren und wenn man dann über einer 60ger Kneipe wohnt, dann ist es anstrengend. Auch wenn die Blauen gewinnen. Oder wenn Fasching ist. Sylvester oder einer der Stammgäste Geburtstag hat. Aber das weiß man wenn man einzieht. Auch dass der Qualm der Raucher direkt ins eigene Schlafzimmer zieht, aber auch, dass man wenn man in der Nacht heimkommt, nicht allein an den Büschen vorbei muss, sondern irgendein angeschwippster Kneipengast fröhlich eine Gute Nacht ruft. Das mag ich. Ich mag vieles an der Kneipe unter mir. Seltsam, denn besuchen will ich sie nicht. Ich will dort nicht abends ein Bier trinken, aber ich will, dass es sie gibt – die Kneipe unter meiner Wohnung. Giesinger Kneipen stehen für mich sinnbildlich für mein Viertel. Ohne sie ist Giesing nicht Giesing und dass unser Haus nun wieder ohne Kneipe ist, macht ein bisschen traurig. Den Meier und mich auch.
Mit der Milch unter dem Arm komme ich zum zweiten Mal zurück und sehe etwas, das mich erst zum Lachen bringt und dann rührt. Einer der Stammgäste hat beim Ausräumen geholfen und raucht eine letzte Zigarette vor der jetzt geschlossenen Tür der Kneipe. Als er weg ist komme ich noch einmal zurück um das zu fotografieren, was er hinterlassen hat.

Machs gut Kneipe. Jetzt wird es wieder so ruhig wie während Corona, als du das erste Mal seit vielen Jahren geschlossen hattest. Die Blumen in den Kästen und die Speisekarte deines letzten Wirtes waren toll. Aber vielleicht symbolisiert das Foto deine Gäste etwas besser. Rau, kantig, laut und ungehobelt sind sie. Zugleich aber herzlich und treu. Und wenn du gehst, dann bekommst du zum Abschied einen Schneemann und auch wenn sie´s nicht sagen und zugeben, dein Krach fehlt ihnen. Denen die mitten drin saßen und denen die über dir wohnen.
Eine weniger….hoffentlich nicht für lang. So viel Ruhe bin ich nicht gewohnt.
Vielleicht, wenn du alle Hausbewohner animiert hättest, einmal in der Woche in der Kneipe zu essen – vielleicht, aber wirklich auch nur vielleicht, hätte sie dann eine Überlebenschance gehabt und du den gewohnten Krach länger genießen können.
Liebe Grüße an die kneipenlose Mitzi
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Das wäre schon gut gewesen. Da muss ich mich auch an die eigene Nase packen. Ich war ja auch nicht unten und vielleicht wäre es ganz nett gewesen.
Wollen wir hoffen, dass der Krach zurück kommt. Dann kann ich wieder über ihn schimpfen 😉
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Wir wissen nicht, wie hoch die Pacht war. Und ob die Leute ihren Wein/Tragerl Bier sich alle ins Haus liefern ließen, wie die, die das (schon oft) beschrieb. Aber ja, die kleinen Kneipen und die großen Gaststätten werden weniger, die abendlichen Stammtische fehlen, so dass die Leute entweder auf ihren Computer ausweichen müssen oder draußen herumlaufen und ihre Stammtischparolen brüllen. Na ja. Neulich erst war ich in Murnau, 40cm Neuschnee laut Auskunft, und nur zwei Gaststätten auf – na ja, war ein Montag. Das Essen war ja gut, aber eigentlich rettete nur der viele Schnee (wenn auch auf der Anfahrt zwar nicht störend, aber aufgrund der Verwehungen doch lästig) die Work – Life – Balance, wie man heutzutage und in Ermangelung eines ausreichend einheimischen, angestammten Wortschatzes geprägt an Stammtischen sagt.
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In Murnau wird es nicht viel anders sein, mit dem Gastrosterben. Schade. Und die Pacht war es wohl, die dem Wirt das Kreuz gebrochen hat. Das und die Coronaregelungen davor und wahrscheinlich auch die Zeit die es braucht, um sich zu etablieren. Solche Flauten muss man als Wirt erst mal durchstehen (können).
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Früher war es hier ähnlich, und damit meine ich: bis vor ein paar Jahren! Es gab zwei Wirtschaften, einen richtigen Gasthof an der Hauptstraße und eine mit eher Kneipencharakter in einem Seitengästchen. Heute ist gerade noch die Kirche im Dorf geblieben. Die beiden Wirtschaften haben zu und eine kleinere, die anfangs häufige Wirtswechsel erlebte, hält sich. Ja, es ist ein Grieche, Glück für mich, ich mag das, aber seltsam finde ich die Entwicklung schon.
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Ein traurig schöner Nachruf, liebe Mitzi. Begegnungsstätte wie deine Kneipe sind bei allen negativen Begleiterscheinungen trotzdem Kulturgut. Das vermittelt dein Text.
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Das freut mich, lieber Jules. Und genau das finde ich auch – ein Stück Kulturgut.
Liebe Grüße
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Liebe Mitzi,
zum Abschied Deiner Hauskneipe ist Dir ein herziger und launiger Nachruf mit Schneeraucher gelungen.
Hoffentlich finden sich bald wieder neue und engagierte Wirtsleute für das Lokal im Stadtteil und der Nachbarschaft. Ist es denn brauereiangehörig oder brauereifrei? Würde sich das Beisel für einen Vereinstreffpunkt eignen oder gar eine Kleinkunst- und Lesebühne?
Gute Wünsche und
herzliche Grüße
Bernd
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Lieber Bernd, eine gute Idee und ich würde mich sehr freuen, wenn eine solche Nutzung möglich wäre. Meine Nachbarn sind in der Beziehung recht engagiert und es war immer mal Thema ob eine solche Nutzung nicht auch möglich ist.
Ob Wirt, Kleinkunst oder Nachbarschaftstreff…solange es nicht leer steht und dort unten Leben ist, soll es mir recht sein.
Liebe Grüße
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