Vorletzter Tag der sechsten Woche im Home Office. Sechs Wochen in denen ich mein Viertel nicht ein einziges Mal verlassen habe. Seltsam, sage ich am Telefon zum besten meiner Freunde, der in einem anderen Stadtteil wohnt. Seltsam aber mittlerweile auch in Ordnung. Ich glaube, wenn man mir heute sagen würde, dass ich den Rest des Sommers in Giesing bleiben müsste, ich würde vermutlich nur mit den Schultern zucken und es hinnehmen. Eine Mischung aus Resignation und dem Gefühl des Vermissens, an das ich mich langsam gewöhne. Ungewohnt zahm ist meine Sehnsucht geworden und die Unruhe der dritten und vierten Woche ist verschwunden. Natürlich will ich raus. Selbstverständlich vermisse ich meine Freunde und meine Familie, aber in der sechsten Woche habe ich mich perfekt eingerichtet. Ich und all die anderen, die zu meinem engsten Umfeld geworden sind.
„LINGUINE!“ brüllte ich gestern durch den Hinterhof, wie in der ersten Woche „Cannelloni“, nur dass ich es nicht mehr Frau Angermeier zu erklären versuchte, sondern Hanne. Wir sind per Du, seit ich sie in Woche vier beim Übergeben der Einkäufe in den Arm genommen habe. Wenn eine Fünfundachtzigjährige am Todestag ihres Kindes weint, dann nimmt man sie besser auch in Coronazeiten in den Arm. Obwohl.. wahrscheinlich nicht. Ganz sicher nicht. Ich habe es trotzdem getan und bereue es nicht. Hanne ist eine wunderbare Frau und ohne den ganzen Mist mit dem Virus hätte ich ihre Lebensgeschichte nicht erfahren. Die erzählt sie nämlich nur Freundinnen und das sind wird erst seit Woche vier. Ich erzähle sie nicht weiter. Ihnen erzähle ich nur, dass man mit Hanne wunderbar streiten kann. Zum Beispiel ob es sich bei Linguine um fehlerhafte Spaghetti handelt oder um die verbesserte Weiterentwicklung der selben. Meinem Nachbar Paul der unser Gebrüll von Balkon zu Balkon ähnlich kindlicher Flüsterpost weiter geben muss, sind die Nudeln egal. Der ist eh viel mehr der PENNE Typ. Die kann man mit der Gabel aufspießen ohne dass man auf seinen Teller blicken muss und hat eine Hand frei um neben dem Essen eine SMS zu tippen. Tortellini, korrigiert er mich, als ich es ihm sage und ich stimme ihm zu. Paul ist doch eher ein Tortellini Typ. Wenn die mit Fleisch gefüllt sind, spart er sich den extra Gang und hat noch schneller Zeit sich um die neu eingezogene Frau im ersten Stock zu kümmern. Ich bin übrigens der Bavette Typ. Bavette mit Pesto. Eigentlich wäre ich der Bucatini Typ. Bucatini mit Röstgemüse. Und um es gleich richtig zu stellen, Googel erzählt Blödsinn. Bavette sind nicht das gleiche wie Linguine – sie sind besser. Für Pesto. Für die Zitronensauce von gesten Abend eignen sich Linguine besser. Und natürlich wären am allerbesten die Bucatini, denen ich meine Gemüsereste unterjubeln könnte. Die gibt es aber in Giesing nicht. Für Bucatini ist Giesing nicht hipp genug oder eben doch leider 500 Kilometer zu weit nördlich, als das die Nachfrage entsprechend groß genug wäre.
Wie bin ich den jetzt auf die Nudelsorten gekommen? Ich weiß es nicht mehr. Jetzt, in Woche sechs, weiß ich oft nicht mehr woher ein plötzlicher Gedanke kommt. Während ich tippen in der Sonne im Laubengang sitze sehe ich Paul aus dem Augenwinkel und mir fällt ein, dass Farfalle eigentlich noch besser zu ihm passen. Ohne aufzustehen (seit Ende der Woche fünf bin ich im Energiesparmodus) brülle ich meinen Gedanken durch den Hinterhof. Ey Paul, schreie ich, du bist doch der Farfalle Typ. Wie ein Schmetterling, rufe ich, hübsch anzusehen, von Blüte zu Blüte flatternd, kurz bestäubend und dann schnell weiter fliegend. Eine Balkontür fliegt krachend zu und ich vermute es war die neue Mieterin auf die Paul ein Auge geworfen hat. Ups….aber Paul, meinen Paul, teile ich erst in Woche neun. Frühestens. Ich stehe auf und lehn mich über die Brüstung, damit er mich grinsen sieht. Paul lächelt. Wie Rhett Butler. Wissen Sie wie Rhett Butler lächelt? Amüsierte, leicht arrogante und unwiderstehlich. Heut Abend gibt es Farfalle. So!
Oh ich liebe all diese Nudelsorten. Mein Favorit zur Zeit ist Tagliatelle. Hat die Spirelli abgelöst.
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Auch eine wunderbare Variante. Eigentlich sind fast alle herrlich – je nach Begleitung 🙂
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Wo werde ich nicht wissen wie Rhett Butler lächelt !! So einen Hinterhof hätte ich auch gerne
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…ja der ist wirklich etwas besonderes. Ich hab ihn in den letzten Wochen noch einmal neu schätzen gelernt.
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Wen? den Rhett Butler oder den Hinterhof? 😉
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Beides – aber den Hinterhof meinte ich 😉
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ich bin der typ klassische spaghetti oder campanelle. zweitere am besten einfach nur mit stinknormaler tomatensauce, erstere fast am liebsten mit pesto, frischen geschmolzenen tomaten und mozzarella. yummy. hm. sollte ich bald mal wieder machen, denke ich 🙂
öha, das rhett butler lächeln. zu gern würd ich mal ein foto von paul sehen. auch wenn das nicht passiert, i know. ich wäre dennoch mehr als neugierig. ich hätte ihn nach außen hin als tortellini typ gesehen. aber so insgesamt passen die farfalle doch gut zu ihm 🙂
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Hm….ja, die schlichten Saucen sind ganz oft die besten 🙂
Ich würde für dich sogar ein Foto von Paul machen, fürchte aber, dass er beim Anblick der Kamera plötzlich anders lächelt. Am besten du legst dich selbst bei mir im Laubengang auf die Lauer 🙂
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Das mache ich sobald die Grenzen wieder geöffnet sind 😀
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🙂
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Gelten Schupfnudeln auch🤔😉 hat Spass gemacht bei dir zu lesen. Schönes Wochenende
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Gelten auch, weil auch die mir schmecken ;). Schönes Wochenende auch dir.
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Der Rhett Butler aus dem Hinterhof… muß sagen, München ist schon interessant (aber wer ist die junge Südstaatenschönheit, die da im Dirndl die Treppe runterkommt?). Und weltläufig. Bloß vielleicht noch nicht ganz so weit bei der Sklavenhaltung? Käfighaltung beim Menschen, zeigt auch der laufende Versuch, funktoniert ja ganz gut. Aber die italienische Pasta! O ja. Nudeln sind auch gut, wenn es sein muß, sogar Eiernudeln. Aber die italienische Küche zaubert doch gleich ganz andere Dinge, Gewürze, Zutaten und, nicht zu verachten, die wunderbaren Namen! Die schmecken doch auch. Wer wollte schon in einen SChmetterling beißen? Aber Farfalle, das geht wunderbar!Es ist einfach die Sprache des GEsangs, der – in aller Regel völlig unsinnigen – Oper. Das macht sich auch auf einer Speisekarte gut.
Ja, ich weiß, Kartoffeln machen satt. Mich persönlich sogar ziemlich schnell. SIe sind, außer als Klebstoff, auch in der Küche vielseitig, da sie eigentlich alles wegstecken, jede Zutat, jedes Gewürz. Aber so ein herrliches Nudelgericht, nach dem was da so als Vorspeise auf den Tisch kommt ist man freilich auch schnell satt, das ist einfach was herrliches!
-oh, Schupfnudeln. Neinnein, da bin ich in dem Zusammenhang dagegen. Da landen wir blitzschnell bei Spätzle, und das ist was ganz anderes (siehe auch den bekannten Versuch „Spätzle al dente“).
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Jetzt habe ich Hunger ;).
Über die aktuelle Käfighaltung musste ich Schmunzeln. Wohl Galgenhumor. Und auch sonst hast du recht – die Sprache klingt wirklich schön und profanes gleich netter. Wobei Spätzle auch ein sehr schönes Wort ist. Und nicht nur das – sie schmecken auch herrlich. Genauso wie Schupfnudeln. So, ich glaub ich muss jetzt was essen ;).
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Eine alte Weisheit sagt, man solle nur einkaufen gehen, wenn man satt ist (allerdings wozu dann?). Ebenso soll man Kochsendungen – wers aushält – Rezeptbücher und Texte übers Essen nur sich antun, wenn der Bauch (meinetwegen mit vor Langeweile reingeschobener Schokolade) einigermaßen wohl gefüllt ist. Sonst hat das halt Folgen. – Selbstverständlich sind Spätzle was Leckeres, nur haben sie mit der bekannt eierlosen italienischen Nudel nicht eben viel zu tun! Kässpätzle beispielsweise (nicht nur mit Emmentaler Löcherkäs, sondern noch mit etwas herzhafterem dazu, Bergkäs oder Bierkäs z.B.), mit viel Zwiebeln, aber nicht diese trockenen, wie man sie in der Wirtschaft immer bekommt, nein, schön aus der Pfanne, hm! Aber das hat jetzt wieder diese Wirkung, oder?
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Absolut – du entschuldigst mich, ich muss in die Küche 😉
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Perfetto, cara Mitzi! Come sempre!
Endlich eine kurze Abhandlung darüber, welches Pastaformat am besten zu welcher Sazce gehört, oder zu welcher Begleitung. Ich mache mich seit Jahren dafür stark, dass nicht jede Nudel zu allem passt. Und Bavette, mio amore! Und ja, sie gibt es leider nicht überall, schwer zu bekommen! Daher bin ich auch seit Jahren auf Linguine umgestiegen. Aber es ist nicht das Gleiche.
Übrigens: Farfalle con sugo di limone, panna et Speck! Buonissimo. Quasi Rhett Butler und Tara und Küsse und blutrote Sonnenuntergänge alles in allem. ❤
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Sugo di limone…..jetzt hast du mich auf eine Idee gebracht :). Ich hab noch grünen Spargel hier und ich glaube das wird heute (mit Farfalle von denen ich nie genug kriege) mein Abendesssen.
Schön, dass du das mit der passenden Sorte ähnlich siehst. Es macht wirklich einen großen Unterschied.
Buona serata!
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