Positiv denkend mit warmer Winterjacke

Eine der größten Herausforderungen des Winters ist das Finden einer perfekten Winterjacke. Eine die richtig warm ist, die man aber mit Handschuh-Händen öffnen kann, wenn es plötzlich wärmer wird. Also so warm, dass man die Jacke gerne aufmachen, die Handschuhe aber noch nicht ausziehen will. Genau so eine habe ich gefunden und ich würde wirklich gerne den Reißverschluss mit meinen Handschuh-Fingern öffnen, mich freuen, wie leicht und unkompliziert das geht und mich dann ein bisschen hinsetzen. Gerne in eine S-Bahn und richtig gerne fünf Stationen lang, bis ich mein morgendliches Ziel erreicht habe und wieder aussteigen kann. Am heutigen morgen sieht es allerdings nicht danach aus, dass ich meine Jacke in nächster Zeit öffnen werde und seit etwa dreißig Minuten bin ich mir sicher, dass ich mich so schnell über nichts freuen werde. Wie auch – ich bin ein Nutzer des Münchner Nahverkehrs und die haben selten Grund zur Freude. Selbst dann nicht, wenn sie so positiv wie ich denken. 

Ich kann das wirklich gut. Ich kann mir den größten Mist noch schön reden und halte das für eines meiner größten Talente. Vorhin in der U-Bahn stand einer neben mir und hat erbärmlich nach vergorenem Rotwein gestunken. Auf nüchternen Magen hat sich keiner neben den gestellt. Ich schon. Ich dachte an den guten und fein duftenden Glühwein vom Vorabend und schaffte es sogar den Kerl anzulächeln. Nur bis er mir ins Ohr gerülpst hat, aber immerhin, ich habe morgens um sechs Uhr schon gelächelt. Hat ihn sicher gefreut. Genauso wie es mir meine Nachbarin über mir, vorgestern sicher hoch angerechnet hat, dass ich so ruhig und gelassen vor ihrer Tür stand. Ich hab ihr sagen müssen, dass ihre kaputte, bis zu meinem Schlafzimmerfenster runter hängende, bunte Lichterkette einen Wackelkontakt hat und seit zwei Wochen im Rhythmus von Jingle Bells blinkt. Wäre ich kein so positiver Mensch, dann hätte ich mich der Wortwahl des Mannes angeschlossen, der an einigen Nächten der Woche neben mir liegt und gestern Nacht fast aus dem Fenster gefallen wäre, als er versuchte die Enden der baumelnden Jingle Bells Lichterkette wieder nach oben zur Besitzerin zu werfen. Lichtverhältnisse wie im Puff nannte er es und berechnete, dass bis Weihnachten er oder ich dank dem Blinken einen epileptischen Anfall erleiden würden. Eines der Worte wäre dann Irrenhaus oder „nicht mehr ganz sauber“ gewesen. So was sage ich aber nicht. Ich hab einfach Kabelbinder nach oben gebracht und – weil ich meine Nachbarin und ihr Desinteresse kenne – für mich und den fast aus dem Fenster gefallenen Mann eine Flasche starken Rotwein besorgt. Wenn er ihn trinkt, lässt er vielleicht die Augen zu und schläft durch. 

Ein bisschen Lust hätte ich schon, etwas weniger positiv zu sein. Dann könnte ich mich mit den restlichen Pendlern über die derzeit täglichen Verspätungen aufregen und mir würde durch wütendes Aufstampfen vielleicht etwas wärmer werden. Meine perfekte Winterjacke reicht nämlich nur bis zur Mitte des Oberschenkels und darunter ist mir, nach 40 Minuten warten am Gleis, doch schon arg kalt. Aber es bringt ja nichts und außerdem, wenn man morgens und abends regelmäßig 40 bis 65 Minuten auf die S-Bahn warten muss, dann schärft das doch nur den Blick für das was man sonst übersieht. Zum Beispiel für die Schönheit einer weggeworfenen Pralinenschachtel. Und die staade (die stille) Zeit im Advent, die sei den Mitarbeitern der MVG vergönnt. Es ist ok, dass seit Dezember überhaupt keine Durchsagen mehr kommen und meine Kollegen lustige Witze machen, wenn ich um sechs das Haus verlasse und erst um neun im Büro bin. Witze, die sie mir via WhatsApp aufs Handy schicken. Positiv denken….nach 30 Jahren mit den öffentlichen Verkehrsmitteln kann ich das. 

Ich konnte auch die Pralinenschachtel noch fotografieren. Und sogar diesen Text mit Handschuh-Fingern irgendwie ins Handy klopfen. Dann war Schicht im Schacht. Was dann passierte kann ich nur auf akute Unterkühlung, latente Übelkeit wegen massiver Geruchsbelästigung und Schlafmangel mit beginnender Epilepsie schieben und nicht mehr rekonstruieren. Ich erinnere mich nur dunkel, dass ich die Handschuhe ausgezogen habe, als ich folgende Nachrichten schrieb und verschickte:

„Wenn diese vermaledeite Lichterkette heute Abend noch vor meinem Fenster hängt, dann reiß ich sie runter oder du kannst dich neben meinen Freund legen! Puff Atmosphäre inklusive.

„Doofe MVG. Ich schreib weiter über sie, aber künftig nur noch ganz arg garstig.“

„Ich komme heute nicht in die Arbeit, weil ihr mich alle ärgert und genauso doof seit wie die MVG. Alle! So!“

Ich will Ihnen die Antworten nicht vorenthalten.

„Ist das der Große mit den Locken? Geht klar!“

„Wir sind ab 1. Januar wieder für Kritik und Anregungen erreichbar.“

„Wolltest du das an den großen Verteiler schicken?“ und „Seid, Mitzi, seid, nicht seit. Erklären wir dir, wenn du angekommen bist.“

Ansonsten bin ich aber wirklich ein ausgesprochen positiv denkender Mensch. 

 

 

 

 

19 Gedanken zu “Positiv denkend mit warmer Winterjacke

  1. Liebe Mitzi,
    ich habe Ihre virtuelle, multimediale, beinahe interaktive Lehrstunde für positives Denken zum Anlass genommen, mal wieder positiv zu denken, wenn ein Dienstleister seinen Dienst nicht so leistet, wie ich mir das wünsche.
    Es gehen eben nicht immer alle Wünsche in Erfüllung.
    Ich spüre aber schon, wie das postive Denken mich erwärmt, auch wenn ich nicht auf die S-Bahn wartend in der Kälte stehe. Das kann ich nicht üben, weil wir hier keine S-Bahn haben. Aber vielleicht kann ich alternativ morgen eine Stunde vor der Autowerkstatt auf mein Auto warten, das den TÜV nicht bestanden hat, weil der Bremsenprüfstand defekt ist, und ohne Bremsprüfung gibt es eben keine Plakette. Ich warte dann extra draußen, um das MVG-Gefühl annähernd nachvollziehen zu können.

    Irgendwie kriegen wir das hin. Wäre doch gelacht!

    Gruß Heinrich

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    1. Lieber Heinrich, ich hoffe Sie haben den TÜV ohne Wartezeit und ohne Kälte überstanden. Ein Mensch wie Sie, der kann das positive Denken auch im Warmen üben und muss sich nicht die Beine in den Bauch stehen. Ich fürchte beim nächsten Besuch auf der Post müssen Sie das dann eh unter Beweis stellen.
      Herzliche Grüße und vorausschauend drücke ich schon mal die Daumen für alle Dienstleister Ärgernisse die Sie hoffentlich nicht treffen 😉

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  2. Ach, liebes Fräulein Mitzi,
    sollten sie zufälligerweise das nächste Mal an der wunderbaren, vom kalten Wind umspielten Donnersbergerbrücke die 65 Minuten Wartezeit verbringen wollen, käme ich natürlich mit dampfendem Glühwein und Pralinen vorbei. Die Rechnung für den Verzehr schicken wir selbstverständlich an die MVG..!
    Herzlichst gegrüßt,
    Simone

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  3. Ich sehe, ich habe nie im Leben mehr so viel Lebenszeit übrig, um zu üben, ein geduldiger Mensch zu werden. Mein Gedanke „Kette abreißen“ kam mir wahnsinnig viel früher als dir – und ich hätte es auch gemacht!
    Leicht beschämte Grüße von mir

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  4. Nun, was die im Anhang angedeutete phantasierte Partnertauschgeschichte – Tausch gegen eine Lichterkette? Oder war es gar kein Tauschangebot? Sondern? – angeht, es wurde auch nicht erklärt, für was die Kabelbinder eigentlich gedacht waren. Das wäre in unseren verdorbenen Zeiten (wo noch die miesesten Romane Bestsellerchancen haben, sofern Kabelbinder vorkommen) schon nötig.
    Aber was mich eigentlich beschäftigt ist die perfekte Winterjacke. Denn wer wäre nicht auf der Suche nach dieser? Wetterfest müßte die meine sein und gleichwohl so, dass man sich darunter nicht im eigenen Bratensaft wiederfindet. Bisher hatte noch jede ihre Nachteile. Für die Etage drunter gibt es ja zum Glück auch noch lange Unterhosen, Strumpfhosen und dergleichen. Hatte ich erst neulich morgens (4°) wieder an, als ich mit dem Fahrrad in das Städchen fuhr. Schön, ich habe dafür gesorgt, dass in meinem Büro ein richtiger, nicht nur ein Hängeregister – Aktenschrank steht und ich immer ein paar Reseveklamotten dort habe, wenn ich so ankomme!
    Es gibt sie also, die Perfektion? Bei Kleidung, bei Winterjacken? Das, mit Verlaub, glaub ich nicht. Auch müßte der Mensch, der dieselbe erreicht – ein Botthisatva, verflixt, wie schreibt man den noch – über dem stehen, was Lichterketten und Handywitzchen in einem auslösen können (na gut, solange es noch keine Katzenvideos sind), oder? Also bezweifle ich einfach die Perfektion und glaube an die Menschheit mit ihren ganzen Schwächen.
    Ach, da oben war grad was vom Valentin. Lisl: „Der Klügere gibt nach.“ Karl: „I gib ja net nach!“

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