Tomatensaft und Minzbonbons (aus dem Archiv 21.07.2015)

Google muss besoffen gewesen sein, als es folgendes zur Suchanfragen „Tipps fürs erste Date“ mit an den ersten Stellen lieferte…

„Männern gefällt es, wenn eine Frau ihre Wünsche vorausahnt, selbst wenn es nur unbedeutende Details sind. Reichen sie ihm das Salz, bevor er danach fragt.“ – Aber das Fleisch können sich die Herrn der Schöpfung noch selbst kleinschneiden?

„Ich finde es fantastisch, wenn mich eine Frau am Nachmittag zu einem Tee einlädt. Das ist mal was anderes als immer das klassische Glas Wein – oder Bier – am Abend. Zumal ich ohnehin keinen Alkohol trinke.“ – Ein Leben ohne Wein? Sorry, ich bin raus.

„Ich mag Herausforderungen! Also, meine Damen: Seid mysteriös, um mich zu verführen!“ – Ne, danke. Ich lass mich lieber verführen. Und glaubt mir, liebe Männer, das wird euch genug fordern…auch heraus.

90 Minuten vor dem ersten Date mit Dr. X und obiger kurzer Google Recherche, fuhr ich den Rechner runter und war entschlossen mich diesem ersten Date ganz locker zu stellen. Dates mit Unbekannten waren mir neu.  Ich bin über all meine Ex-Freunde eher zufällig gestolpert. Habe sie auf der Skipiste umgefahren, habe ihnen im Büro die Finger in der Druckerklappe eingeklemmt oder habe sie in der Fachschaft der Uni mit so saublöden Fragen gelöchert, dass sie sich verpflichtet fühlten, sich meiner anzunehmen. Einer hat es sogar ohne Verletzungen und Nervenzusammenbruch geschafft mein Freund zu werden. Alle meine wenigen, aber langen, bisherigen Beziehungen waren rückwirkend sehr schön gewesen und zu jedem meiner Exfreunde pflege ich noch heute eine gute Beziehung. Ich gehöre also zu den wenigen Frauen über Dreißig, die sich nicht durch ihre vorherigen Beziehungen als traumatisiert bezeichnen würden. Eine gute Voraussetzung um ruhig und entspannt auf X zu treffen.

Dr. X war auch entspannt. So entspannt, dass er nach 20 Minuten eingeschlafen ist. Die ersten 12 Minuten verbrachte er damit, mit seiner Mutter zu telefonieren und ihr zu erklären, dass er gerade nicht telefonieren könne. Während er aufmunternd lächelnd telefonierte, schlenderten wir in den Englischen Garten. Weitere 4 Minuten brauchten wir um einen Ameisenfreien Platz für die Decke zu finden und 3 Minuten um uns die Schuhe auszuziehen, die Decke auszubreiten und das aus seinem Rucksack zu ziehen, was er unter Verpflegung verstand. Die Flasche Tomatensaft (ungekühlt) kommentierte er mit „Mist, falsche Flasche“ und die Minzbonbons mit „Minz? Cool. Wenn wir auf die Mischung nicht kotzen, sind wir gut.“ Um einzunicken brauchte er dann nicht mal 1 Minute. Ich selbst brauchte mindestens fünf Minuten um zu begreifen, dass er wirklich tief und fest schlief. Einige Minuten versuchte ich es mir auf dem kleinen Stück Decke, das seine 1,90 nicht beanspruchten, gemütlich zu machen, dann gab ich auf und legte mich ins Gras. Und in die Ameisen.

Ich bin unheimlich gut darin, in allem etwas positives zu sehen und ganz große Klasse im Verschließen der Augen. Das X nicht schnarchte, erschien mir als ein ausreichend gutes Zeichen um nicht einfach zu gehen. Und mit dem Füttern von Ameisen, die Minzbonbons aber nicht besonders mögen, verstrich die Zeit. Den Tomatensaft rührte ich nicht an – sonst hätte ich mich bei gefühlten 34 Grad wohl wirklich übergeben. Warum ich geblieben bin, weiß ich nicht. Warum ich ihm nicht gesagt habe, dass er spinnt, als er mich eine halbe Stunde später in seine Arme gezogen hat, weiß ich erst recht nicht. Aber ich weiß, dass X das beste Mittel war um eine sieben Jahre andauernde und gescheiterte Beziehung endgültig zu vergessen. Man muss einen Menschen nicht besonders gut kennen, um sich bei ihm rundum wohl zu fühlen. Es reicht wenn das Bauchgefühl sagt, dass alles gut ist und man genau in diesem Moment und da wo man gerade ist, gut aufgehoben ist. Und mein Bauchgefühl hatte recht – es war gut.

Dr. X war wieder wach und während ich in seiner Armbeuge lag, stellte er ziemlich kluge Fragen, hörte sich meine Antworten an, ohne mich zu unterbrechen und ließ mit etwas Abstand seine Sicht der Dinge folgen. Irgendwann, sehr viel später verschwand die Sonne und wir hörten auf zu reden.  Längst hatte ich mich in die wuscheligen Locken, die tiefe Stimme, den Inhalt seiner Worte und den Rest von X Hals über Kopf verliebt. Aber solange ich rede und vor mich hin plappere, bin ich Herr der Lage. Dann kann ich locker in der Armbeuge eines fast fremden Mannes liegen, während er meine Wange streichelt. Solang ich mich dort wohl fühle und die Worte sprudeln, bin ich entspannt. Wenn es still wird, weil es nichts mehr zu sagen gibt und Worte nur stören würden, dann bin ich so, wie ich wirklich bin, wenn ich mich verliebe. Unsicher, nervös, fahrig und so herzklopfig, dass man es bestimmt hört.

Es folgte was folgen musste und es war…..ah….schön. Auf meiner persönlichen Kuss Liste – die Nummer 1. Nie vorher und nie nachher habe ich mich so schnell und so kopflos in einen Mann verliebt. Es war das was er sagte und das was er in den Momente tat, in denen er nichts mehr sagte.

Was dann folgte….nichts. Wir gingen. Ich zu mir. Er zu sich. Ende.

Der schriftliche Korb folgte auf eine SMS von mir in der kommenden Woche. „Der Nachmittag mir dir war perfekt. Ich misstraue Perfektion und erspare es uns, heraus zu finden, wie wir wirklich sind.“

Dr. X begegnete mir später noch öfter. Und ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich im Laufe der Zeit klüger wurde. Wurde ich nicht. Ich blieb herzklopfig.

 

Der dritte Blogeintrag aus 2015 und der erste mit den mir heute so vertrauten handgeschriebenen Beitragsbildern. Zwei Wochen zuvor lag ich mit einer Freundin am See und hielt die Kirsche in die Luft, die noch heute das Bild meines Blogs ist. Sie sagte gerade, dass man über all die schlimmen Dates ganze Bücher schreiben könne. Könnte man, sagte ich und erstellte am Abend die Seite. Längst ist das Thema meines Blogs nicht mehr „Dates am Rande des Wahnsinns“. Eigentlich waren es nur knappe zwei Monate die ich damit füllte. Trotzdem mag ich die Erzählungen noch heute und finde, dass man mit ihnen nach drei Jahren doch sehr schön ein Sommerloch füllen kann. Zumal sie damals noch kaum jemand gelesen hat. Es dauert ja, bis ein Blog Abonnenten hat.

10 Gedanken zu “Tomatensaft und Minzbonbons (aus dem Archiv 21.07.2015)

    1. Findest du?
      Ab und an schadet es nicht altes hervor zu holen. Gerade die Texte ganz am Anfang, die man ja auch mit Herz geschrieben hat und die kaum einer damals gelesen hat, werde ich nächsten Sommer sicher auch noch einmal rauskramen.

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    1. In meinem Fall führt fast jedes zum Desaster oder hat zumindest Potential dazu.
      Schreib mir einfach, wenn bei dir eines daneben geht. Ich kann es sicher toppen. Laut meinen Freunden, fühlt man sich nach einem Datevergleich mit mir immer besser 😉

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  1. Diese Doktoren! Sie behalten immer und jederzeit den Überblick. Weil höchst begehrt.
    Würde mir in den Arztpraxen nicht übel von dem ganzen medizinischen Gerüchen, ich hätte längst umgesattelt … 😉

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  2. Manchmal zappe ich im Fernsehen in einen Film hinein, den ich schon gesehen habe, vielleicht sogar schon öfter, und bleibe wieder hängen und sehe ihn erneut mit Vergnügen. So gings mir auch mit diesen beiden Einträgen von Dir, und mit Deinem Buch geht es mir genau so: Kenn ich alles schon, aber die Erinnerung verblaßt, und beim erneuten Lesen ist es wie beim Essen einer Lieblingsspeise: Ich genieße es vielleicht sogar mehr als beim ersten Mal.

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  3. Google stellt sich gerade als ganz schlechter Beziehungsratgeber heraus, zumal ich niemanden in meinem Freundeskreis kenne der Tee dem Alkohol vor ziehen würde… Ich bin eher weniger Date tauglich, ich bemerke meist nie dass ich mich gerade in einem befinde oder viel zu spät. Unbeholfen sein kann ich, aber leider nicht aus herzklopfigkeit (geniales Wort, merke ich mir).

    PS. Du hast einen sehr schönen Blogheader und es war eine sehr schöne Geschichte 🙂

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    1. Danke, dir. Der Header entstand als ich mit meiner Freundin rumspann, dass man einen Blog schreiben könnte, über all die Dates. Ich hab mich an den Kirschen überfressen und wollte das Bild immer austauschen. Nach einem Jahr hatte ich mich so daran gewöhnt, dass ich es jetzt bleiben wird.

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