Ich kann das!

Ich bin die Tochter eines Handwerkers. Das erkennen Sie, wenn Sie einen Blick in meine Werkzeug-Blechkiste werfen, sofort. Nur die Tochter eines Handwerkers hat gleich drei Wasserwaagen und nur bei der Tochter eines Handwerkers sind diese sechseckigen, L-förmigen Geräte in acht Größen vorhanden. Sie wissen schon, diese Dinger, die man für etwas braucht, das mir gerade nicht einfällt. Die, die in jedem guten Werkzeugkasten zu finden sind und die immer in so einen Stofffetzen eingeschlagen sind. Sie wissen schon. Obwohl es sich um einen Lumpen handelt und das Päckchen mit einem schäbigen Gummiband zusammen gehalten wird, schnalzen die Männer meines Freundeskreises immer mit der Zunge wenn sie es sehen und sind erstaunt, dass ich diese sechseckigen Dinger in allen Größen besitze. Als Tochter meines Vaters weiß ich natürlich auch was eine Hilti ist. Nicht weil ich eine besitze, sondern weil einer mal ein Auto hatte, von dem es hieß, es wäre Hilti-rot. Ich habe den Farbton damals nachgeschlagen. Richtig scharfe Teppichmesser besitze ich auch. Weil ich keinen Teppich in der Wohnung habe, schneide ich damit Chillischoten. Überhaupt bin ich der Meinung, dass man sein Werkzeug regelmäßig benutzen sollte. Zumindest das, von dem man weiß, wozu es nötig ist. Mit dem kleinen Beil, das mir der beste Freund meines Vater überließ um den Stamm des Christbaumes zurecht zu schnitzen, zerhacke ich zum Beispiel besonders gerne Hokaidokürbisse und mit einem meiner vier Hammer hacke ich die Walnüsse von Herrn Meier. Den Stamm des Christbaums habe ich damit natürlich auch zerhackt und weiß seit dem, dass man da leicht abrutschen kann und ein handelsüblicher Laminatboden wirklich nichts verzeiht. So gefährliche Arbeiten verrichte ich seit dem auf dem Balkon. Dort hört und sieht man mich und die Nachbarn können notfalls den Krankenwagen rufen. Wenn Sie meinen Vater fragen ob ich, als seine Tochter, handwerkliches Geschick besitze, dann lächelt er milde. Er lächelt sehr lange und schüttelt dann, kaum merklich, den Kopf. Das ist nicht meine Schuld. Würde man mich lassen, dann könnte ich das schon. Das Bohren. Das Malern und das Dübbeln. Ich darf nur nicht. Ich darf nicht, weil ich meinem Vater lange Jahre viel zu viel erzählt habe. Zum Beispiel, von dem Abend als der klügste meiner Freunde sein neues Bookworm Regal geliefert bekam. Damals war er noch nicht so klug wie heute und ignorierte den Warnhinweis auf der Verpackung, dass man das eingerollte Hartplastikregal nur zu zweit öffnen darf. Er schnitt die Plastikbänder des eingerollten Regals mit dem Teppichmesser aus meinem Werkzeugkasten einfach durch. Ich kauerte in der Hocke neben ihm und das scharfkantige Plastikregal schnalzte so dicht an meinem Gesicht vorbei, dass wir beide bestimmt drei Mal „oioioi“ murmelten bevor ich mich im Bad übergab, weil mir vor Schreck für einen kurzen Moment schlecht wurde. Ich hätte ihm auch nicht freudig und stolz erzählen dürfen, dass ich herausgefunden habe woher der Name Schlagbohrmaschine stammt. Er kennt mich und fragte noch bevor ich fertig erzählen konnte, ob meine ganze oder nur die halbe Faust in das Loch der Wand meiner Altbauwohnung passen würde. Ich nahm es ihm übel und stellte für einige Tage ein Teelicht in das Loch in der Wand, bevor ich ein Bild darüber hängte.

Tief im Herzen wissen mein Vater und ich aber sehr wohl, dass ich notfalls alles hinbekomme. Wenn ich muss, dann kann ich. Holzhacken zum Beispiel, das kann ich. Theoretisch. Praktisch komme ich auch dazu nicht. Wenn ich unsere Hütte in den Bergen aufsuche, dann ist schon alles gehackt und auch die kleinen Holzspreizel, die man zum anzünden benötigt, sind schon bereit gelegt. Ich würde ihm gerne beweisen, dass ich mit einer Axt wirklich gut umgehen kann und würde vor dem Verlassen der Hütte auch für ihn ein paar Holzspreizel bereit legen. Vor einigen Jahren aber hat mein Vater das Schloss zum Schuppen, mit den Beilen und Äxten, ausgetauscht und vergisst jedes Mal mir den neuen Schlüssel mitzugeben. Fast vermute ich dahinter Absicht. Um sein Vertrauen in meine Fähigkeiten zu stärken, erzähle ich ihm seit etwa zwei Jahren von allen Dingen, die in meiner Wohnung reparaturbedürftig sind und versichere ihm, dass ich absolut keine Hilfe brauche. Ganz zaghaft und noch etwas verhalten, sehe ich in seinem Blick den Stolz. Väterlicher Stolz, über seine geschickte Tochter. Das freut mich sehr. Für einen echten Handwerker gibt es doch nichts schöneres, als wenn er sieht, dass sich sein Talent auf die nächste Generation weiter vererbt hat.

An Weihnachten sind meine Eltern bei mir. Sie werden viele, viele Stunden in meiner Wohnung verbringen. Eine Tatsache, die mich nervös macht. So schön es ist, wenn sie da sind – irgendwann müssen sie aufs Klo. Dann muss ich meinem Vater erklären, dass er die Spülung nur betätigen kann, wenn er den Hauptwasserhahn im Flur aufdreht. Und danach wieder ab – sonst rinnt sie die ganze Nacht. Auch die Klobrille ist etwas wacklig, weil sich an der Schraube die Mutter festgefressen hat. Leider nicht an der Stelle an der sie sollte. Und beim Händewaschen dürfen sie den Hahn in Küche und Bad nur vorsichtig aufdrehen, sonst spritzt es so stark, dass sie pitschnass sind. Ich hätte längst entkalkt, wenn ich es geschafft hätte den Perlator abzuschrauben. Wie schlecht mir das gelungen ist, sieht man an den arg zerkratzen Armaturen. Die fallen aber nicht weiter auf, weil die Birne der Deckenlampe durchgebrannt ist und ich bei dieser Scheißlampe den Glasschirm nicht abbekomme. Das Wohnzimmer ist ok, solange ich die Vorhänge offen lasse. Ich habe meine Vorhangstange so saublöd angeschraubt, dass die Halterung ein Zuziehen verhindert. Zu sehr sollte man sie aber eh nicht bewegen, die Stange.

Ich bin die Tochter eines Handwerkers. Ich bin aber auch die Tante von zwei weiteren Handwerkern. Die machen gerade Ausbildungen zum Schlosser und Elektriker und werden wohl eine simple Klospülung und ein paar andere Kleinigkeiten in Ordnung bringen können. Sie können sich nicht vorstellen, wie froh ich gerade bin, dass diese wunderbaren Kinder nicht irgendeinen sinnlosen Mist wie Jura oder BWL studieren.

53 Gedanken zu “Ich kann das!

  1. Ich musste gerade sehr laut lachen, denn mein Blick wanderte beim Lesen unweigerlich zu meinen beiden tollen neuen Bad-Lichtern, die – nachdem ich beim Ausmessen festgestellt habe, dass die Schrauben nicht in die vorhandenen Dübel passen, seit etwas mehr als 7 Monaten wieder in der Schachtel liegen – irgendwann mal von meinen handwerklich begabteren Brüdern aufgemacht werden müssen. Obwohl ich das kann … 😉

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  2. Liebe Mitzi!

    Ich hoffe sehr, dass sich Ihr Wille, das Talent des Axtschwingens bei Ihrem Vater unter Beweis stellen zu wollen doch sehr in Grenzen hält. Nicht dass wir Sie demnächst in den Abendnachrichten sehen, wenn Sie mit einer Axt durch die Fußgängerzone laufen. Das könnte zu Problemen führen 🙂
    Ich wünsche Ihnen eine gemütliche Weihnachtszeit und bin gespannt, wie Ihre Toilette nach dem Besuch Ihrer Eltern aussehen wird.

    Herzliche Grüße
    Mallybeau

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  3. Liebe Mitzi,
    Sie und Ihre blaue Werkzeugkiste, Sie würden die gesamte Handwerkergemeinde aufmischen, wenn Sie richtig loslegen würden.
    Dass das ein oder andere Teil in Ihrer Wohnung handwerklicher Fürsorge bedarf ist nicht verwunderlich!
    Es ist was dran, wenn immer gesagt wird:
    Die Schuster haben / tragen die schlechtesten Schuhe.
    so ist das eben. 😉
    Das dürfen Sie als gute Handwerkerin ruhig in Anspruch nehmen.

    Grüßen Sie Ihre Eltern recht herzlich!
    Gruß Heinrich

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    1. Lieber Heinrich,
      wenn meine Mutter Ihre Worte liest, dann wird sie nicken. Oft hörte ich sie traurig anmerken, dass mein Vater überall zu gange sei, nur in der eigenen Wohnung würden die Scharniere knirschen. Er würde vermutlich widersprechen und ich höre so etwas eh nicht ;).
      Ich werde die Grüße ausrichten.

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  4. In solchen Fällen gibt’s nur eines: zum gut sortierten Werkzeugkasten gehört ein adäquater Wortschatz (à la „Zefix!, Himmisakra!, Herrschaftszeiten!“ – um nur die stubenreine Grundausstattung zu nennen) und die Harmonie ist (fast) perfekt. 😀

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  5. Mitzi, ich habe ganz doll geschmunzelt, weil ich mich an so vielen Stellen wiedererkannt habe. Mein Vater (den ich ja nicht erlebt habe oder besser er mich nicht), war erst Maurer und dann Bauingenieur. Also ist meine Handwerksbegeisterung sicherlich väterlicherseits ererbt.
    Wie ungerecht – ich habe nur eine lange Wasserwaage aus Holz, sollte aber eine zumindest aus Plastik haben.
    Axterfahrungen habe ich bisher keine gemacht, aber kann ja auch mit elektrischen Kettensägen morden. (Ist nicht ernst gemeint)
    Was ich bei allen Handwerkeleien immer auslasse, sind Sachen mit Strom und Dinge, die viel Kraft brauchen. Mein Wasserhahn sähe auch Rohrzangenzerkratzt aus.
    Wir Frauen machen das schon, denn „selbst ist die Frau“. Aber die andere Sorte Frau, die immer mit Schmollmund und Schmachteblick gucken, den „handwerklichen Mann“ loben und so lange gurren, bis er ihnen die Reparatur macht. Eine Freundin beherrscht das exzellent, ich dagegen möchte fast alles allein machen – und nur, wenn ich es nicht kann, dürfen andere ran.
    Weiter so! Sagt Clara

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    1. Liebe Clara, ich bin sicher, dass du etwas von der handwerklichen Begeisterung in die Wiege gelegt bekommen hast. Dein Vater wäre stolz, wenn seine Tochter nicht den Schmollmund bemüht, sondern es erst einmal selbst versucht. Ich mag die Masche auch nicht sonderlich. Um Hilfe bitten – jederzeit, aber das schwache Frauchen, das mag ich nicht spielen. Von Strom lasse ich auch die Finger. Ich will es gar nicht können und ich finde, da muss man auch nichts riskieren.
      Liebe Grüße

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      1. Erlebt hat mich ja mein Vater noch – für gerade man 3 Monate. Da er in der ersten Ehe zwei Jungen hatte, kann schon sein, dass er sich über mich besonders gefreut hätte. Und ich finde niemand außer ihm, dem ich ähnle. Denn mein Halbbruder (schon tot, er war auch 12 Jahre älter als ich) und ich haben ähnliche schlechte und gute Eigenschaften, die können wir ja nur vom Papa haben.

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  6. Einen Handwerker hat man im Blut oder man begreift es durch Lernen am Modell. Unser Papa hat jede Tapete, jede Fliese und jedes Paneel selbst angebracht, da bleibt theoretisch was hängen. Als wir ihn in diesem Jahr verloren haben, haben wir das sehr deutlich auch an diesen Dingen gemerkt, trotzdem haben wir vieles in unserer neuen Wohnung allein gemacht, manchmal probiert man einfach aus und manchmal müssen jetzt Firmen ran. Dann muss man anderswo sparen. Lass Dir von Deinem Papa möglichst alles zeigen, zuerst ist er genervt und dann bestimmt ganz stolz!

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    1. Einiges bekommt man sicher mit und anderes lernt man ab dem Moment, wo man muss und sich nicht mehr auf Papa verlassen kann.
      Trotzdem lasse ich mir gerne Dinge von ihm zeigen. Mit Vätern ist es ja auch häufig so, dass es gar nicht so um die Hilfe geht, sondern man nebenbei auch ganz tolle Gespräche führen kann, während man einen Raum neu tapeziert.

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  7. Ich weiß das Pragmatismus die Geschichte verdirbt. Aber entkalken ohne Abschrauben funktioniert ganz gut mit einem in Essig-Essenz getränkten Schwämmchen, das man an/um der Perlator bindet. Oder besser mit einem minikleinen Schälchen mit Essig-Essenz das man drantaped, eine Halbschale von dem inneren Plastikding vom Überraschungsei geht zum Beispiel gut.

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    1. Hallo Tanja,
      ne, ne…diese Tipps sind wirklich sehr willkommen. Der Perlator in Verbindung mit dem harten Münchner Wasser lässt mich wirklich verzweifeln. Eine Überraschungsei-Schale ist etwas, auf das ich nicht gekommen wäre.
      Danke! Außerdem ein Grund, sich so ein Ei einmal wieder zu kaufen ;).

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  8. Super liebe Mitzi, gut dass mein Sohn Handwerker ist! Ach ja, ein Tapeziermesser hab ich in meiner Küchenkruschschublade, fürs Einritzen von der Schweineschwarte, bis bald liebe Grüsse Traudl

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  9. Das ist sehr lustig, liebe Mitzi, erinnert mich in seiner Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit an Jerome K. Jeromes humorige Geschichte „Onkel Podger hängt ein Bild an die Wand.“ Amüsiert habe ich mich über die Beschreibung deiner Imbusschlüssel. Aber irgendwie kann ich nicht glauben, dass in deiner Wohnung so viele Dinge nach einer echten HandwerkerIn verlangen. Ich bin sicher, du übertrteibst.

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  10. Wer braucht schon noch Handwerker? Man kann ja alles googeln. Da gibt es tolle Videos, das Material kann man dann bei Amazon bestellen – und es später dem Handwerker geben, den man ruft, ich jedenfalls, weil ich es nicht hinkriege, auch wenn das blöde Video absolut narrensichere Abläufe zu zeigen scheint. Schöne Geschichte!

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  11. Mit dieser Tante im Hinter- beziehungsweise Vordergrund werden aus den beiden jung Handwerkern bestimmt begnadete Bastler. Sollten trotz allem ihre Fähigkeiten nicht für die Renovierung der Wohnung der Tante reichen, werden sie sich mit Sicherheit an Ihrer Literatur königlich ergötzen … 🙂

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    1. Sie saßen bei meiner Lesung tatsächlich vollständig in den ersten Reihen und ich bin vor stolz über diese wunderbaren Kinder (die mich alle zwei Köpfe überragen) schier geplatzt. Als Dank sorge ich für reichlich Beschäftigung ;).

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  12. Also ich bin ja Älteste von 3 Mädels, sozusagen der Ersatzjunge gewesen und bei allem, was der Papa so bewerkstelligt hat der HiWi, heißt, theoretisch kann ich auch alles (so vom zugucken), ich will aber gar nicht 😉
    Da meinte doch neulich einer, der es in mein Bett geschafft hatte, beim Blick auf die Zimmerdecke, dass ich unbedingt einen Mann im Haus bräuchte ! Nein, da hängt kein Spiegel, sondern die losen Kabel für eine Deckenlampe. Aber wer bitteschön will im Schlafzimmer „großes Licht“ am besten schon morgens oder was??? Er war das letzte Mal in meinem Schlafzimmer, da bin ich konsequent 😀

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    1. haha! Am besten eine Neonröhre über den Laken…ne, ne, das geht gar nicht. Gut dass der nicht mehr in deinem Bett ist. Wenn er darin liegend, über Kabel an der Decke nachdenkt, dann läuft etwas schief ;).

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  13. Hallo Mitzi
    Du bist nicht allein! 🙂 Ich bin in einer „Handwerkerdynastie“ aufgewachsen und im Keller steht die Handwerkskiste meine Vorväter mit allem Drum und Dran. Doch wie man das Zeug benutzt – keine Ahnung. Ich durfte als Mädchen nur zusehen, selbst Hand anlegen – no way.
    Konsequenz: In meiner Wohnung hängt kein Bild an der Wand, das mehr als eine Reisszwecke zur Befestigung benötigt. Die anderen stehen auf Sideboards, am Boden, in Regalen …

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    1. Man hat es nicht leicht, wenn die „Vorfahren“ allesamt Handwerker waren.
      Zur Rettung meines Vaters…dürfen hätte ich schon, aber bei mir war auch viel Bequemlichkeit dabei. Der Ehrgeiz erwachte erst sehr viel später. Aber noch heute halte ich es mit meinen Bildern wie du – ein Nagel, ok. Aber bohren und dübeln für Bilder…sicher nicht.

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