Wahlfreiheit – U-Bahn Gedanken

Die Wahl am Sonntag wäre ihm herzlich egal, sagt er und beißt in seine, dick mit Leberkäse belegte Semmel. Stolz ist er auf seine Aussage, sonst würde er nicht Beifall heischend den Blick durch das Abteil der U-Bahn schweifen lassen. Den dunkelhäutigen Mann, der ihm gegenüber sitzt, lächelt er freundlich an. Wenn’s ein Tourist ist, dann hat der ihn vielleicht – hoffentlich – gar nicht verstanden. Ist es ein Mensch, der sein Land aus welchen Gründen auch immer verlassen musste,  dann ist das Lächeln des Essenden fehl am Platz. Denn dem, der ihm da gegenüber sitzt, wird der Ausgang der Wahl wohl nicht herzlich egal sein. Für den ging und geht es um etwas.

Mir geht es gut, sagt er, und empfindet das als Grund genug, am Status quo nichts zu ändern. Nur, dass die Entscheidung nicht zu wählen, nicht gleich bedeutend ist, dass sich nichts ändert, das ist ihm nicht klar. Man könnte ihm sagen, dass womöglich die sehr wohl zur Wahl gehen werden, die etwas ändern wollen und dass denen, es könnte ja sein, sein persönliches Wohl so egal ist wie ihm das Kreuz am Sonntag.

Mei, des liabe Schneckerl, neckt er einen kleinen Jungen. Der kann noch nicht wählen. Für den wäre es aber gut, wenn es andere täten, damit er sich in fünfzehn bis zwanzig Jahren aussuchen kann, wen er liebt und die gleichen Freiheiten hat, wie wir heute. Man sollte dem so fröhlich grinsenden Deppen vielleicht auch auf dem Weg geben, dass sein Leberkäse besser schmeckt, wenn er von Tieren stammt, die – von artgerecht reden wir gar nicht – annähernd gesund hoch gezogen wurden. Er ist doch recht dick und sieht recht ungesund aus. Es wäre doch blöd für ihn, wenn das was er frisst, mit Antibiotika vollgestopft ist und er weil es ihm ja herzlich egal ist, in zwanzig Jahren doch keine ausreichende Gesundheitsversorgung mehr hat, weil andere meinten es gäbe wichtigeres. Nur als Beispiel. Vielleicht ist ihm das ja wirklich so egal wie er sagt, dann stört ihn vielleicht die mögliche künftige Besteuerung seines Vermögens. Oder die Hundesteuer steigt. Einen jeden trifft ja etwas anderes empfindlich.

Das Handy auf dessen Display er mit fettigen Fingern tippt, ist neu. Das sagt er dem neben sich. Die Wahl ist ihm egal. Hoffentlich auch, welche Daten da bald, irgendwann oder nie ausgelesen und ausgewertet werden. Am Hauptbahnhof kann er schon mal probeweise in die Kameras grinsen. Ob er die für gut, weil sie zur Sicherheit beitragen hält oder für schlecht, weil sie der Anfang einer zunehmenden Überwachung sind, sollte ihm herzlich egal sein. Die Weichen in welche Richtung das zukünftig geht werden am Sonntag gestellt und da hockt er Bierseelig und saudumm auf der Wiesn. Weil man ja keine dieser Parteien wählen könne. Wieder schaut ob ihm einer applaudiert. Zum Glück keiner, sonst hätte ich mein Frühstück erbrochen. Die Aussage mag der eine oder andere unterschreiben. Gleichzeitig wird es einem aber recht leicht gemacht, dann eben ein Kreuz beim dem zu machen, was man für das kleinste Übel hält um das größte Übel wenigstens  prozentualen flach zu halten. Aber was interessiert ihn das. Was interessiert es ihn das ein kleiner, dicker Nordkoreaner und ein orangehäutiger Blondschopf Testosteron geladen mit den Säbeln rasseln, solange es ihm weiter gut geht.

Der dunkelhäutige Mann erwidert das anfängliche Lächeln freundlich. Der, dem alles herzlich egal ist, nickt ihm zu. Ob er auch auf das Oktoberfest gehen würde, am Sonntag fragt er. Das Wetter soll ja so schön werden. Der andere nickt und antwortet im schönsten Münchnerisch, dass er das freilich tun werde. Direkt nach der Wahl.

25 Gedanken zu “Wahlfreiheit – U-Bahn Gedanken

  1. Schön, dass du dem leidigen Thema einen positiven Schluss verpasst hast. Wählen hilft nicht, aber nicht wählen macht es auch nicht besser. Obwohl… ach, egal, ich war schon mal hoffnungsvoller und begeisterter von einer Bundestagswahl und wäre es vielleicht wieder, wenn wir uns im Land über die Themen streiten würden, die wichtig sind und nicht nur über Sendezeiten und Duellformate, über Provokationen und Lindnerfotos.

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    1. Es ist ein leidiges Thema. Und seit Jules oder du über die traurigen Augen von Lindner geschrieben habt, empfinde ich seinen Blick langsam als Zumutung. Er schlägt mir aufs Gemüt ;).
      Morgen, dann noch die Analysen, ein Aufschrei oder ein zufriedenes Aufatmen. Dann wird es wieder ruhiger. Ob das gut ist… wir werden sehen.

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  2. Danke, Danke für diese lieben Worte Mitzi. Hier in Irland finden es alle sehr bewundernswert, dass ich dennoch wählen gehe. Ich sehe es ähnlich wie du. Wählen hilft vielleicht nicht viel, wer aber nicht wählen geht der darf sich nicht beschweren… Da bekanntermaßen Aufregen eines meines liebsten Hobbys is muss da natürlich vorgebeugt werden. Auf ein erfreulicheres Wahlergebnis als letztes Jahr…

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  3. platon sagte mal, dass demokratie die schlechteste staatsform ist, aber dennoch die einzig mögliche. wenn man an diese leute denkt, wie den leberkässemmelmann, dann ist schnell klar, was platon damit gemeint hat.

    ich finde halt auch, dass diese masse an nichtwählern medial schlecht bis nicht verarbeitet wird. ich beobachte das jedes mal wieder hier in Ö. die ncihtwähler werden nahezu totgeschwiegen, dabei sind sie mittlerweile (oder zumindest war es die letzten jahre meistens so) die „größte partei“. ich finde, es ist ein riesen problem und sagt einiges über den zustand des medialen und politischen zusammenspiels aus, wenn man grade mal an die oder knapp unter 60 % wahlbeteiligung erreicht – in einem land wie unserem. viele menschen haben leider den zusammenhang zwischen nicht wählen und wahlergebnis nicht verstanden und es ist irgendwie auch keiner da, der es ihnen mit einer ähnlichen intensität unter die nase reibt wie „geiz ist geil“. je mehr die kriegsgeneration ausstirbt, umso selbstverständlicher wird die demokratie genommen und umso weniger schätzt die breite masse, was es bedeutet, mitreden zu dürfen, ohne dafür konsequenzen befürchten zu müssen. die menschen brüllen und tippen parolen von allen außenlagern, ohne eigentlich wirklich zu wissen, woher die kommen und was sie wirklich bedeuten. jeder macht matura, aber niemand hat in all der zeit gelernt, selbst zu denken. so scheint es zumindest.

    so, das ist jetzt aber lang geworden, entschuldige. es ist nur ein thema, mit dem ich mich eine weile sehr intensiv befasst habe, aus dem ich mich aber letztes jahr dann völlig zurückgezogen habe, weil es mich psychisch tatsächlich stark belastet hat, weil ich keine distanz mehr dazu aufbauen konnte. Es ist eine andere Perspektive und ein anderer Aspekt, aber ich schrieb damals auch einen Blogtext dazu, falls du ihn lesen magst.
    https://paleica.com/2015/10/14/fotowalk-im-oktober-wien-wie-damals-ein-polemischer-text-ueber-das-heute/

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    1. Ich schau gleich mal zu deinem Link. Danke schon einmal. Und noch herzlicheren Dank für deinen Kommentar. ich kann ihn komplett unterschreiben. Für mindestens eine, wenn nicht zwei Generationen ist das, was wir haben so selbstverständlich geworden, dass wohl tatsächlich davon ausgegangen wird, das alles so bleibt wie es ist. Auch wenn man nichts dafür tut. Und ob wirklich alles gerade so gut ist, dass ist eine Frage die auch zu selten gestellt wird.
      Medial ist es ja gerade schick, zum wählen aufzurufen. Twitter und Facebook quillt über. Einerseits gut, andererseits geht mir das „schick“ ein wenig auf die Nerven. Man kann sich aufregen. Und man sollte es. Trotzdem ist es wichtig, sich wie du zurück zu ziehen, wenn es einen auf eine ungesunde Art belastet. :-* Noch einmal danke für deine Worte.

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  4. Sag mal Mitzi: Bestimmt gibt es in Bayern doch die Möglichkeit, am heutigen Tage die Partei DIE PARTEI zu wählen. Hast Du heute schon? Ich meine DIE PARTEI gewählt? Sie ist nämlich sehr gut!

    Nein, auch dieser unbezahlbare Tip der Schrottpresse ist ebenfalls kostenlos.

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    1. Ich hab schon gesehen, dass du auf den letzten Metern die Werbetrommel rührst ;).
      Keine Sorge, in ganz München ist an jeder Ecke DIE PARTEI präsent. Man kann sie gar nicht übersehen 🙂
      Liebe Grüße. Ich bin meistens stumm bei dir, springe aber immer wieder rein.

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