Ein bisschen begraben

Zwölf Monate mit dir. Ich mache das letzte Foto und setze mich trotz des Nieselregens unter den Nussbaum. Es regnet, höre ich dich leise sagen und schüttele den Kopf, obwohl ich bereits nass und durchgefroren bin. In letzter Zeit höre ich dich seltener und dieses letzte Foto im Rosengarten fühlt sich wie ein Abschied an, für den ich noch nicht bereit bin. Ich sehe dich durch die Beete streifen. Die Hände tief in den Hosentaschen vergraben und die Schultern im Wind und Regen leicht nach oben gezogen. So stehst du immer, wenn dir kalt ist oder du dich nicht wohl fühlst. Standest, korrigierst du mich. So stand ich, wenn mir kalt war. Benutze endlich die richtige Zeitform, bittest du mich und weiter, mich doch bitte korrekt zu erinnern, dass du meist so im Regen oder Schnee standest, weil ich deinen Pullover oder deine Jacke in Besitz genommen hatte. Mir ist zu kalt um zu streiten und ich wiederhole brav, dass er so stand und streite doch, indem ich dich nicht mehr anspreche, sondern in der dritten Person von dir erzähle. Es gefällt dir nicht und doch nickst du, um dir nicht selbst zu widersprechen. Weiterlesen

12 Monate Rosen und Schornsteine – November

Die ersten Schneeflocken fallen. Als ich nach Hause ging, waren es noch ganz wenige. Als ich das Foto schoss noch gar keine und jetzt schneit es vor meinem Fenster dicke Flocken. Munter wirbeln sie im Wind und die ersten, ganz mutigen, bleiben bereits auf den Holzfließen meines Balkons liegen. Ich hätte sie gerne auf dem Bild eingefangen, aber der Schnee kommt ja nur selten, wenn man auf ihn wartet.

Ich frage mich, ob sie frieren. Die beiden zankenden Jungen, die im Rosengarten für alle Ewigkeit mitten in der Bewegung in Stein gefangen sind. Sie tragen ja kaum etwas am Leibe und jetzt wo der Schnee fällt, ist es bitter kalt. Auch die Liebenden müssen jetzt tapfer sein und ihre Körper aus Stein mit warmen, ja feurig lodernden Gedanken wärmen. Ob sie frieren, das fragen ich mich auch immer, wenn Beerdigungen im Winter stattfinden. Ein dummer Gedanke, aber er kommt mir ein ums andere Mal. Die Erde ist doch viel zu kalt um sich darin schlafen zu legen. Ihr beide wurdet nicht in kalte Erde gelegt. Ich weiß nicht wo ihr seid, aber dass ihr nicht in kalter Erde liegen werdet wusste ich. Es ist gut, dass es nicht so ist. So muss ich mir nicht vorstellen, dass eure Körper kalt sind und ihr den Schnee weniger freudig willkommen heißt als ich. So können wir uns gemeinsam über die Flocken freuen.

Sie frieren nicht, höre ich dich sagen, als ich vor den beiden Jungen stehe und sie das erste Mal nach all den Monaten fotografiere. Sie würden sich doch bewegen, ob ich das nicht sehen würde. Und das kein Junge friert, der sich balgt, zankt und rauft. Schau genau hin, bittest du mich und obwohl ich es nicht sehe, will ich dir glauben, dass hinter dem eingefrorenen Moment Bewegung und Leben ist. Dein Großvater hat es dir erzählt. Du musstest ihm als kleines Kind versprechen, dass du das Geheimnis für dich behältst und es niemanden verrätst. Mir hast du es dennoch verraten. An einem Tag, an dem Schnee fiel und ich mich sorgte, ob die hübschen Figuren im Rosengarten nicht arg zittern und frieren müssten. Sie frieren nicht, sagtest du auch damals. Sie würden sich bewegen, die Statuen. Alle. Nächtens, wenn keiner hinsah, würden sie von ihren Sockeln springen und sich recken und strecken und die Wärme des Mondlichts speichern. Die Geschichte deines Großvaters war kein großes Geheimnis. In vielen Büchern kann man ähnliche lesen und vielen Kindern erzählt man es. Im Schutze der Nacht wird manches lebendig, was tagsüber leblos und starr erscheint. Ich selbst glaubte, meine Stofftiere würden, kaum war ich eingeschlafen, munter durch mein Kinderzimmer streifen und ab und zu sogar einen Ausflug nach draußen wagen.

Ich weiß noch, dass du todernst genickt hast. Ja, die auch. Auch die Stofftiere. So ernst sagtest du es, dass ich lachend den Kopf schüttelte und dich darauf hinwies, dass wir mindestens zwanzig Jahre zu alt waren, um daran zu glauben. Du würdest es beweisen, hast du behauptet, bist aufgestanden und hast mir ruhig die Hand hingehalten. Wir würden jetzt einen leeren Sockel suchen. Dass wir keinen fanden, obwohl es längst dunkel war, läge an den vielen Menschen in der Stadt. Du hast behauptet, dass man Ruhe und Stille bräuchte um das so offensichtliche zu sehen. Eine Woche später hast du erklärt, du hättest es überprüft und es sei alles wahr. Du wärst mitten in der Nacht über den Zaun des Rosengartens geklettert und….die Sockel waren leer. Die zankenden Jungen, die Liebenden und selbst der säugende Wolf – sie alle waren weg gewesen. Ich musste dir glauben. Warum auch nicht.

Sorgen Sie sich nicht um die Figuren im Rosengarten. Die Kälte und der Schnee machen ihnen nichts aus. Nachts werden sie lebendig und laufen, springen und tanzen durch den Garten. So munter, dass ihnen gar nicht kalt werden kann. Woher ich das weiß? Ich habe es überprüft. Bin nächtens über den Zaun geklettert, habe die leeren Sockel gesehen und sie beim Tanzen und Toben beobachtete. Auch die heimlichen Küsse der Liebenden sah ich. Wenn Sie mir nicht glauben, schauen Sie selbst nach. Der Zaun ist nicht allzu hoch.

 

 

November

 

Oktober

September


August

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Juli

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Juni

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Mai

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April

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März
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Februar
img_3596Das Zeilenende schrieb im Februar auf seinem Blog: „Zwölf Monate lang begleite ich ein Motiv. Es springt einmal im Monat vor die Kamera und lässt den Augenblick für die Ewigkeit gefrieren. Am letzten Sonntag im Monat werfe ich einen Blick auf das Bild: Was hat sich verändert, was bleibt gleich?“ und lädt zum  mitmachen ein. 

Ich schulde einem, der es selbst nicht mehr sehen kann, die Fortsetzung einer Momentaufnahme

Weiter Teilnehmer sind bei Zeilenende aufgelistet. Alles was ich bisher gesehen habe ist sehens-, lesens- und sogar hörenswert dank eingefügter Klangbilder.

12 Monate Rosen und Schornsteine – Oktober

Die Beschriftung ist falsch, denke ich als ich fröstelnd im Rosengarten stehe und das Bild für den heutigen Beitrag knipse. Es ist kein Oktoberbild. Heute am 29. Oktober ist der goldene Oktober, den ich in seiner Herrlichkeit und mit seiner Wärme so genossen habe, längst vorbei. Heute ist bereits ein Novembertag, so wie Ende September bereits ein herbstlicher Oktobertag gewesen ist. Das heutige Foto schwindelt. Vielleicht, weil es von gestern ist und es den kurzen Moment zeigt, an dem die Sonne hinter den schweren Wolken zu erahnen ist und sich der kalte, zischende Wind für einen Moment gelegt hat. Die Detailaufnahmen zeigen einzelne tapfere Rosen, die sich mit kräftigen Farben gegen ihr Ende zu wehren scheinen.
Es ist zu spät. Die Pracht des Herbstes ist vorbei. Nur noch wenig Bäume brennen im Sonnenlicht farbenfroh und der trostloseste Monat des Jahres steht bevor. Ein Zwischenmonat, dem die bunte Schönheit des Oktobers fehlt und der die heimelige Ruhe des Dezembers noch nicht erreicht hat. An fast allen seiner dreißig Tage, mag ich diesen Zwischenmonat. Warme Heizungsluft, eine Kanne Tee und tief unter einem Berg von Decken vergraben stundenlanges Lesen, während draußen der Sturm tobt. Schön. Heute ist ein Zwischentag. Noch kann ich den November nicht genießen. Heute an diesem Tag, der kein Oktober- und noch kein Novembertag ist, macht er mich unruhig und bedrückt mich. Weiterlesen

12 Monate Rosen und Schornsteine – August

Es heißt, man solle sich regelmäßig die Hände waschen, um Keime von sich fern zu halten und Krankheitserregern keine Chance zu geben. Es sei leicht, durch gründliches und regelmäßiges Waschen der Hände ohne eine Erkältung durch den Winter zu kommen. Vielleicht noch ein bisschen Glück, gesundes Essen, keine Krankheitswelle im Büro und ausreichend Bewegung an der Luft. Man muss halt schauen, dass man sein Immunsystem stärkt und sich nicht anstecken lässt. Von Fröhlichkeit und Lachen dagegen, kann man sich ruhig anstecken lassen. Das tut gut und es lässt sich gar nicht vermeiden, dass gute Laune um sich greift, wenn ein paar damit beginnen. Von den Gefahren ansteckender Traurigkeit habe ich dagegen noch nie gelesen. Und das obwohl es sich hierbei um einen besonders heimtückischen und nur schwer behandelbaren Erreger handelt. Weiterlesen

Zwölf Monate Rosen und Schornsteine – Juli

Mein Rosengarten zeigt sich von seiner schönsten Seite. Kein einziges Regenbild bisher. Schon im Mai und Juni stand ich schwitzend an der Stelle, von der aus ich an jedem letzten Sonntag im Monat das Foto mache – heute ist es noch heißer. So heiß, dass ich schnell und fast im vorbei gehen das Foto mache und mich dann in den Schatten setze. Die Bänke sind besetzt, aber das ist egal. In einem Anflug von Wahnsinn, bin ich heute morgen in eine enge Jeans geschlüpft. Sie verträgt es, dass man sich mit ihr in den Kies setzt. Heute ist es zu heiß für Oliven. Die Kerne schlummern tief im Boden und erinnern mich heute nicht an dich. Ich stehe nicht über ihnen im Gras, sondern sitze in der hintersten Ecke des Rosengartens unter einer der schönen Trauerweiden. Es ist sogar zu heiß, um zu der Stelle zu blicken, an der die Kerne vergraben sind.  Nicht, weil ich nicht an die Kerne denken möchte, sondern weil die Sonne dort zu grell scheint. Lieber schließe ich die Augen und höre der Hitze beim Flimmern und Flirren zu. An besonders heißen Tagen kann man sie nämlich hören – die Hitze. Hier im Rosengarten vermischt sie sich mit lautem Kinderlachen, weil das Freibad nur wenige Meter entfernt ist. Und hier, unter der Trauerweide, riecht der Sommer nach Chlor, Würstchen, Eis und verdorrtem Gras. Es ist das erste Ferienwochenende. Und es hat 33 Grad. Das ist mein Stichwort. Wenn ich nicht sofort ins Wasser komme, kollabiere ich. Morgen bekommen Sie die Erzählung, die ich eigentlich heute Abend schreiben wollte. Morgen. Jetzt muss ich ins Wasser.

 

Juni

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Mai

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April

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März
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Februar
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Das Zeilenende schrieb im Februar auf seinem Blog: „Zwölf Monate lang begleite ich ein Motiv. Es springt einmal im Monat vor die Kamera und lässt den Augenblick für die Ewigkeit gefrieren. Am letzten Sonntag im Monat werfe ich einen Blick auf das Bild: Was hat sich verändert, was bleibt gleich?“ und lädt zum  mitmachen ein.

Ich schulde einem, der es selbst nicht mehr sehen kann, die Fortsetzung einer Momentaufnahme.

Weiter Teilnehmer sind bei Zeilenende aufgelistet. Alles was ich bisher gesehen habe ist sehens-, lesens- und sogar hörenswert dank eingefügter Klangbilder.

 

 

Zwölf Monate Rosen und Schornsteine – Juni

Denk an die Rosen, höre ich dich leise flüstern und nicke. Natürlich denke ich an die Rosen. Hier oben auf dem Tisch vor unserer Hütte standen sie. Es war der größte Blumenstrauß den man mir je schenkte und auch der seltsamste. Die prächtigen, blutroten, langstieligen Rosen passten nicht zu mir und der Maßkrug der als Vase diente, passte nicht zu den edlen Blumen. Dass es auch für dich nicht passte, war leicht zu erkennen. In deinem Gesicht spiegelte sich eine Mischung aus Irritation und Ärger. Das gemurmelte Idiot, ließ erahnen wer die Blumen auf den Tisch gestellt hatte. Weil ich immer behaupte, Blumen nur auf der Wiese zu mögen und mich doch über Sträuße freue, hattest du deinen Bruder gebeten, schon am Vortag einen zu besorgen und zur Hütte zu fahren. An diesem Geburtstag bekam ich zwei Blumensträuße. Dein Bruder fuhr für dich ohne mit der Wimper zu zucken eine Stunde über die Autobahn um einen Strauß Blumen im Wald abzustellen. Er nutzte aber ebenso gerne die Gelegenheit, dich seine Art von Humor spüren zu lassen. Neben den völlig übertriebenen Rosen, stand ein kleiner, wohl selbst gepflückter Strauß Wiesenblumen in einer hübschen, dezenten Vase. Daneben eine Karte: „Rosen sind für Anfänger. Alles Gute zum Geburtstag. Wenn er dir auf die Nerven geht, ruf mich an.“ Weiterlesen

Zwölf Monate Rosen und Schornsteine – Mai

Bei diesem fantastischen Wetter, war es eine große Freude schnell in den Rosengarten zu laufen und pünktlich zum letzten Sonntag im Monat das Foto für Zeilenendes Jahresprojekt zu schießen.

Den Text bleibe ich Ihnen bis morgen schuldig – bei 30 Grad im Schatten zieht es mich jetzt in den Biergarten und anschließend wird gegrillt. Frau Obst kann es ja nicht mehr verbieten ;).

Einen schönen Sonntag!

Mai

April Weiterlesen

12 Monate Rosen und Schornsteine – April

Hier im Münchner Rosengarten, stellte der, der nicht mehr bei mir ist, seine Liebe zu mir in Frage. Es war April, ein Tag ähnlich dem heutigen, und der Flieder blühte. Ich frage mich warum, ich dich liebe, sagte der, den ich mehr als mich selbst liebte, und blickte mit gesenktem Kopf auf den Boden. Es ist kein gutes Zeichen, wenn der Geliebte neben einem sitzt, sich mit Daumen und Zeigfinger die Nasenwurzel massiert und diese Frage in den Raum stellt. Dann hängt sie irgendwo im Flieder fest und man atmet den faden Beigeschmack mit jedem Atemzug ein. Mit jedem Luftholen atmet man den grausamen Satz ein und spürt wie er wächst, denn atmen muss man ja. Anfangs hält man vielleicht noch die Luft an und hofft, dass ein anderer Satz den bitteren ein wenig verwässern möge. Aber dann, wenn keiner kommt, dann schnappt man nach Luft und senkt ebenfalls den Kopf. Man atmet die Zweifel des anderen ein und sie sickern durch die Lunge und den Magen bis ganz tief in den Bauch und nisten sich dort ein. Zweifel und Liebe vertragen sich nicht. Eine Weile mögen sie still und ruhig nebeneinander existieren, früher oder später aber, gewinnt einer von ihnen. Selten ist es die Liebe. Weiterlesen