Geht doch!

„Mit Ausdauer kommt man immer vorwärts“, das mag stimmen, aber in einem Glückskeks ist diese Weisheit bescheuert. Ich nehme den nächsten, weil der erste ja nie zählt. „Sie haben ein gutes Gespür für notwendige Entscheidungen“, heißt es darin und das ist ja mal kompletter Blödsinn. Ich entscheide mich sehr, sehr ungern und wenn, dann gerne falsch. Noch einer! „Sie kommen konsequent zur Sache, punkten Widersacher aus“. Also ersten steche ich Widersache aus, wenn ich es den tun würde und konsequent bin ich ebenso sehr wie entscheidungsfreudig. Die Packung ist Mist und ich klaue meinem Freund seinen Keks. „Deine Freundlichkeit gegenüber einem anderen wird nicht vergessen.“ Ach menno, das weiß ich doch. Es ist kurz vor Mitternacht und ich will eine klare Handlungsempfehlung oder zumindest irgendeine kleine Lüge, die man sich an den Kühlschrank hängen kann. Ich angle mir noch einen vom anderen Ende des Tisches und denk beim Öffnen an etwas schönes. An die Spaghetti von eben zum Beispiel. “ Ihr Ehrgeiz beflügelt auch andere.“ Sag mal, du blöder Keks! Konsequenz, Entscheidungen und jetzt auch noch Ehrgeiz – welche Unternehmensberatung wurde hier zum Schreiben, grammatikalisch unkorrekter und lieblos formulierter Sätze engagiert?!?

Ahhhhh…..heute morgen unter dem Tisch habe ich noch einen gefunden. Einen halb zertretenen Glückskeks von gestern Abend. Der letzte war gut. „Eine Begegnung lässt Ihr Herz höher schlagen“. Na, also…geht doch. Und wahr geworden ist es auch schon. Im Kühlschrank waren noch Amarenakirschen – die guten von Fabbri – übrig. Eine Begegnung die mein Herz schon vor dem ersten Löffel höher schlagen lässt. Ab der fünften wird einem bekanntlich immer ein bisschen schlecht, aber das macht nichts. Bis zur vierten fühlt sich jede nach extrem starker Verliebtheit an. Mit extra Herzklopfen.

Vor-Sprung

Spring, riefen wir Jahr für Jahr in den letzten Sekunden des alten Jahres während wir in unseren Jacken nach Feuerzeugen suchten und uns in den Hauseingängen versteckten, weil die ersten Raketen grundsätzlich in achtlos geleerte Flaschen gesteckt, abhoben. In wechselnder Besetzung, aber immer gemeinsam und nie allein, sprangen wir am letzten Tag des Jahres mit Anlauf in die ersten, noch ganz frischen Minuten Januars. Der Letzte eines jeden Jahres ist so voll gepackt mit Erinnerungen und Erlebtem, dass ein weiterer letzter Tag des Jahres immer in Konkurrenz mit seinen Vorgängen steht. Es gab Zeiten, da war es anstrengend all die Feste und Feiern noch zu toppen oder ihnen zumindest eine ähnliche Wertigkeit wie den vorausgegangenen zuzuschreiben. In manchen Jahren war es sogar gut, an Silvester krank zu sein. Da konnte man mit einem Menschen alleine auf dem Sofa liegen und war von der Verantwortung befreit, einen ganz besonders tollen Abend und eine endlosen Nacht zu haben. An diesen wenigen Abenden war es schön um Mitternacht leise „spring“ zu flüstern und in den Armen des Lieblingsmenschen kurz nach Mitternacht einfach in den nächsten Tag zu rutschen. Eine Pause von all den Erwartungen, bot erst wieder eine grellrot leuchtende Corona Warnapp und ein positiver Schnelltest im letzten Jahr. Da kann ich einen der die Klospülung entkalkte, einen der sein Bücherregal endlich sortierte und mich, die alleine auf dem Sofa saß und das erste Mal zu niemanden „spring“ flüstern konnte. Dieses Jahr kann ich es. In kleiner Runde aber immerhin. Gesprungen bin ich aber schon gestern. Mit Anlauf und weil es eigentlich ja völlig egal ist, wann man ein Jahr für beendet erklärt.

Eigentlich springt man auch nur an Abenden die perfekt sind. Nicht perfekt weil spektakulär, sondern perfekt weil nichts an ihnen anders sein sollte, als es ist. Neben einer Freundin stehen, die man – ohne Übertreibung – sein ganzes Leben lang kennt, ist ziemlich perfekt. Ein Glas Rosé, unbeschwertes Lachen, und das Gefühl, neben sich einen Menschen zu haben, der einen in und auswendig kennt – schön. Besonders schön, weil sich kennen in einer Freundschaft auch akzeptieren bedeutet. Wer sich über so viele Jahrzehnte kennt, der hat sich längst entschieden, ob er eine Freundschaft aufrecht erhalten möchte und verzichtet auf alberne Filter. Mit ihr bin ich gestern gesprungen. Über die riesigen Bodenplatten der Altstadt und des letzten Jahres. Durch den Staub, der sich hartnäckig auf ein Leben legt, weil es ab einem gewissen Alter nicht mehr so glänzt, wie man es sich mit Anfang 20 vorgestellt hat. Vorbei an funkelnden Lichtern in Schaufenstern die das Gerümpel in unseren Kellern und Köpfen vergessen lassen. Wir wissen um unsere Päckchen, die wir uns herumschleppen und versichern uns abwechselnd, dass das alles schon passt. Und wenn es nicht mehr passt, dann werden wir gemeinsam das eine oder andere umpacken um- oder wegstellen. Nur wenig ist so, wie wir es uns irgendwann einmal vorstellten. Und doch ist es schon gut so, wie es ist. Ziemlich gut sogar und das nach einem Jahr wie diesem. Wir sind Sommerkinder und denen sagt man nach, dass sie glücklich sind. Vielleicht liegt es daran. Vielleicht aber auch weil wir im Zweifel zusammen springen können. Nicht nur einmal im Jahr sondern immer. Ins kalte Wasser, über unsere Schatten, über Bäche, auf die Nase vor allem aber in die Arme der anderen. Spring!, du allerbeste meiner Freundinnen. Und verrate mir bei Gelegenheit ob du heute morgen auch ein wenig verkatert warst. Der Wein muss schlecht gewesen sein, nicht wahr?

Der Wein war also schlecht, höre ich einen schmunzelnd fragen und ziehe die Decke fest über meinen Kopf. Am Neujahrsmorgen bitte keine blöden Fragen. Neujahrsmorgen, höre ich es gedämpft lachen und nicke. 2021 ist vorbei. Ich bin schon gesprungen. Mit etwas Vorsprung, aber umso schöner. Das 2021 Gerümpel ist noch da und liegt neben mir. Da müsste man Ordnung schaffen, aber nicht heute, nicht am Neujahrsmorgen. Wenn es mir Kaffee ans Bett bringt, darf es sogar bleiben. Für ein geordnetes Leben ist es eh zu spät. 2022….wie konnte das denn passieren?

Zwischen den Jahren

„Wenn die stille Zeit vorbei ist, wird es auch wieder ruhiger“, sagte Karl Valentin und ich wünschte er hätte recht. Nach einer so stillen Adventszeit wie der meinen, brauche ich Zeit um mich im neuen Jahr zu akklimatisieren. Mit etwas Glück werde ich 2021 wieder mehr soziale Kontakte haben. Das ist gut, aber daran muss ich mich erst wieder gewöhnen. Was ich am dritten Tag des noch jungen Jahres gar nicht gebrauchen kann, ist das wilde durcheinander Geplapper von Menschen. Menschen, die mir im Waschkeller gegenüber stehen und Menschen, die anscheinend wirklich viel zu sagen haben. Noch schlimmer, Menschen die auch noch eine Antwort wollen. Mein Nachbar Paul und seine aktuelle Freundin jedenfalls, scheinen genau darauf zu warten. Ich nickte schief lächelnd und hoffe das es reicht. Tut es nicht, denn beide blicken mich weiter abwartend an. Dann eben ehrlich. Ich sage ihnen, dass mich so ein Wortschwall im noch frischen Jahr wirklich überfordert und mir das heute gerade alles ein wenig zu früh ist. Paul verzieht die Stirn und teilt mir mit, dass es bereits nach elf Uhr sei. Kein Rhythmus mehr, murmle ich und stupse ihn mit der Hüfte zur Seite um an den Trockner zu gelangen und schiebe ein „geh weg“ hinterher. Er lacht, seine Freundin nicht. Die geht und bevor Paul ihr nachläuft, erkundigt er sich, seit wann ein gutes neues Jahr zu wünschen, zum Wortschwall wurde. Seit 2020 sage ich und er grinst sein Rhett Butler Grinsen, dass mich aus Gründen, die ich nicht auf den Dezember schieben kann überfordert. Weiterlesen

Zwei so gleich

Silvester feierten wir nie gemeinsam. Seltsam. Wir trafen uns immer erst in den frühen Morgenstunden. Wenn wir uns trafen, war das alte Jahr bereits vorbei und das neue hatte noch nicht wirklich begonnen. Um vier Uhr morgens ist der erste Januar noch aus der Zeit gefallen. Das alte Jahr ist vorbei und das neue hat noch nicht begonnen. Wenn wir uns trafen, steckten uns die letzten Stunden in den Knochen. Meine Schuhe flogen in die Ecke und ich auf das Sofa zwischen Euch. Es gibt nichts schöneres als das Gefühl, sehr hohe Schuhe nach sehr vielen Stunden abzustreifen. Noch schöner ist es, sie mit Schwung in die Ecke zu werfen und am aller schönsten ist es, zwischen zwei Menschen zum liegen zu kommen, denen die letzten Stunden genauso in den Knochen steckten. Sie wundern sich nicht, dass man grundlos lacht und sie fragen nicht wo Handschuhe und Schal geblieben sind. Der eine schmückt eine Straßenlaterne, die anderen liegen zum Trocknen auf dem Sitz eines Taxis. Ich habe mich von ihnen auf dem Weg zu euch verabschiedet. Sie richten Grüße aus, die ihr artig erwidert. Um vier Uhr morgens am ersten Januar wundert man sich über wenig. Am wenigsten über die Tatsache, dass ich euch  das erste Mal nur schlecht auseinander halten kann. Der Crémant ist unschuldig. Wer kann schon eineiige Zwillinge um vier Uhr morgens an Neujahr auseinander halten. Weiterlesen

ENDE 2015

Ohne Happy End geht’s nicht. Flüstert er leise, während er auf meiner Bettkante sitzt und lächelt. Ich nicke und beobachte, wie der Rauch seiner Zigarette langsam zur Decke aufsteigt. Würde er wirklich auf der Bettkannte neben mir sitzen, hätte ich ihn längst gebeten die Zigarette draußen auf dem Balkon zu rauchen. Menschen die nicht real sind, dürfen auch im Schlafzimmer rauchen. Seltsamerweise riecht der nicht existente Rauch genauso wie der echte. Weiterlesen