Corona Home Office X

Gestern Mittag habe ich gegen die Wand geklopft, um zu sehen, ob nebenan noch einer ist. Es war ein wenig arg ruhig in meiner Wohnung. Nach zwei Wochen fast ein wenig zu ruhig. Nach 14 Tagen bin ich soweit zuzugeben, dass mir der Krach einer Kollegin fehlt. Einer, die ich sonst im Türrahmen meines Büros stehend frage, ob sie noch alle Tassen im Schrank hat und ob es wirklich nötig ist, die Schubladen in der Kaffeeküche des Büros mit einer Hüftbewegung zu zuknallen. Sie muss gespürt haben, dass sie mir fehlte, den genau zu dem Zeitpunkt wo sie sich sonst ein Brot in der Küche schmiert hat sie mich angerufen und mir die grundlegenden Funktionen vom Teams Videoanruf erklärt.

  1. Die Küchentür im Hintergrund hat geschlossen zu sein, wirkt professioneller.
  2. Die Kamera am Laptop muss ich nicht mit dem „zum direkten Verzehr geeignet“ Aufkleber der Avokado zupappen – sie hat einen Schieber vor der Linse.
  3. Lässt sich die Küchentüre hinter dem Schreibtisch aufgrund des über zwei Wochen gesammelten Altpapiers nicht mehr schließen, kann man den Hintergrund weichzeichnen lassen.
  4. Punkt 3. gilt nur für den Hintergrund und leider nicht für die Person die vor dem Laptop sitzt.

Danke. Auch für das laute Lachen am anderen Ende der Stadt. Nachdem ich die Schubladen und Schranktüren in meiner Küche alle drei Mal laut scheppernd zugeschmissen haben, vermisste ich sie gleich etwas weniger. Ich mag sie nämlich wirklich, weil ich Menschen ohne Filter grundsätzlich sehr gerne habe. Die Kollegen sind noch da. Das ist schön. Um Teile meines Freundekreises mache ich mir mehr Sorgen.

Der beste meiner Freunde ist gerade auf Facebook online und teilt seine neusten Erkenntnisse. Er schreibt, dass er ein Sonnenstrahl an einem bewölkten Tag ist. Er ist wie das Meer, schreibt er, aufregend anzusehen, aber gefährlich, wenn man ihn wütend macht. Es ist kurz vor neun und ich teile unter seinem Post meine neuste Erkenntnis: „Die Ausgangsbeschränkung verleitet uns dazu seltsame Dinge zu tun.“ Anders ist es mir nicht zu erklären, dass auf Facebook gerade Stadt-Land-Fluss mit dem Anfangsbuchstaben des Namens gespielt wird. Ohne zu googeln steht da. Man muss schon ein bisschen nachdenken, damit einem ein Name mit dem Anfangsbuchstaben des eigenen Vornamens einfällt. Geschenkt, wir haben einfach zu viel Zeit. Zeit genug um „Klicke auf deine Geburtsperle und offenbare deinen dominantesten Chrarakterzug“ auf Facebook zu spielen. Ok, der seine ist Stärke. Und er ist ein Sonnenstrahl an einem bewölkten Tag. Das stimmt sogar. Für mich ist er das. Auf meine Geburtsperle (am Rande….was für ein herrliches, bescheuertes Wort….Geburtsperle. Ob man damit bei Scrabble durchkommen würde?) klicke ich nicht, sage ich dem der ab und zu mit einem Glas Wein vor meiner Türe steht am Telefon. Er gähnt und zuckt mit den Schultern (Facetime…) Ich kann ruhig klicken, sagt er. Seit ich Oliver Pocher bei Instragram folge, sei eh schon alles zu spät. Er schläft noch eine Runde und ich denke über seinen letzten Satz nach. Oliver Pocher….das ist nur noch einen Klick von Mario Barth entfernt. Zwei Wochen….langsam wird es eng. Meine Geburtsperle würde mich nun doch interessieren. Kann man da anklicken, ohne das die anderen das sehen?

Hashtag #U-Bahngedanken

In der S-Bahn sitzt einer neben mir. Einer, den ich nicht mag, ohne dass ich ihn kennen würde. Ich mag keine Menschen, die ein Gespräch mit den Worten: „Warte, ich muss das liken, sonst vergisst mich der Algorithmus“, unterbrechen. Ernsthaft? Man bittet einen realen Menschen zu warten, damit einen irgendein technischer Schnickschnack nicht vergisst. Ein Schnickschnack, von dem ich bezweifle, dass er des Denkens – nach meiner Definition – überhaupt fähig ist. Vielleicht, wenn er gesagt hätte, dass er eben einem Bekannten ein Like dalassen möchte, weil ihm das auf Instagram hochgeladene Foto gefällt. Dann vielleicht. Vielleicht auch, wenn er vorher noch einmal aufgesehen und bemerkt hätte, dass man ihm gerade einen Apfelschnitz hinhält und er den, zwischen dem Liken und dem Kauen mit eine dankenden Lächeln honoriert hätte. Wenn aber einer, die Schönheit und den Seltenheitswert eines selbst geschnittenen und gereichten Apfelschnitzes nicht wertzuschätzen weiß, dann halte ich ihn für einen respektlosen und oberflächlichen Menschen. Weiterlesen