Basta!

Das Hinterhaus ändert sich. Es wird lauter und gleichzeitig wird es anonymer. Eine Kombination, an die ich mich erst gewöhnen muss. Dass es lauter wird, stört mich nicht. Im Vorderhaus wohne ich über der Kneipe und bin an Krach gewöhnt. Ungewohnt ist, dass ich die Geräusche im Hinterhaus seit einiger Zeit keinem einzelnen Bewohner mehr zuordnen kann. Vor ein paar Jahren, wusste ich bei Torjubel genau, dass Herr Bender sein kleines Radio mit auf den Balkon genommen hat, um Bundesligaspiele bei Dosenbier und Zigarillos zu genießen. Der scheppernde Radio (der Radio….wir befinden uns in Bayern) klang nicht besonders schön. Schön war es aber zu wissen, dass Herr Bender auf dem Balkon und nicht im Krankenhaus war, wo er in seinen letzten Jahren viel zu oft lag. Ähnlich ging es mir mit den sanften Klassiktönen, die aus Frau Wolfs Wohnung erklangen. Für meinen Geschmack hätte sie ihre Platten ruhig bei offenem Fenster hören können – Bach und Beethoven vertragen sich wunderbar mit Frühlingsabenden. Außerdem schienen sie Franziska M. zu beruhigen, die in ihren letzten Jahren Demenzkrank häuftig polternd und schimpfend auf dem Balkon stand und über neuzig Jährig mit ihrer längst verschiedenen Mutter stritt. Alle drei sind mittlerweile gestorben. Mit ihnen ist die für sie typische Geräuschkulisse verschwunden. Es sind nicht nur die Alten, die aus dem Hinterhaus verschwinden, sondern auch die Jungen. Mein Nachbar Paul aus dem Hinterhaus meint, das sei völlig normal.

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Jetzt schon ?!?

Es riecht nach Herbst. Wenn die Schule nach den großen Ferien Mitte September wieder beginnt, dann riecht es morgens nach dem Herbst. Eigentlich schon früher. Schon Mitte September kann man den Geruch am frühen Morgen bemerken. Das Gras ist feuchter, die Dämmerung hält sich länger und das saftige Grün der Wiesen und Bäume trägt bereits einen feinen braunen Schleier. Das ist in Ordnung. Der Sommer war heiß und auch wenn die Tage noch lang und warm erscheinen, spürt man bereits den Wechsel der Jahreszeit. Während der großen Ferien kann man das verdrängen. Sommerferien bedeuten Sommer, da mag es morgens riechen wie es will. Pünktlich zum ersten Schultag aber, muss man es sich eingestehen: Der Herbst steht vor der Türe. Neben seinem feinen Duft, gibt es für mich ein zweites untrügliches Zeichen. Eines, dass man viel weniger als einen Geruch ignorieren kann – die Sonne schafft es nicht mehr in meinen Laubengang. Man möchte meinen, dass etwas so großes wie die Sonne sich langsam und gleichmäßig zurück zieht und vielleicht tut sie genau das auch. In meinem Laubengang aber ist es jedes Jahr genau ein Tag, an dem ich vor dem Sonnenschirm stehe und leise „ach menno…“ vor mich hinmurmle. Von einem Tag auf den anderen schafft sie, die riesengroße Sonne, es nicht mehr über die Bäume und die in den letzten Monaten so wichtigen Schirme könnten in den Keller. Selbstverständlich werde ich sie nicht vor Mitte November nach unten bringen, aber aufgespannt werden sie auch nicht mehr. Ein paar Wochen noch werden sie an den Sommer erinnern, dem ich nachtrauere, bis ich mich glücklich auf dem Sofa einrolle und bemerke, wie sehr ich den Herbst und seine Stürme liebe. Noch aber…ach menno, der Herbst. Jetzt schon?!?

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Missing Paul

Gut, sagt der Nachbarsjunge und ich nicke wortlos. Bei guten Dingen, zu denen das erste Eis des Jahres zweifellos zählt, gibt es nichts zu ergänzen. Es ist gut. In meinem Eiskaffee und in seiner Eisschokolade. Mehr Worte braucht es nicht und ich bin froh, dass der Kleine von Nebenan das genauso sieht wie ich. Mit halb geschlossenen Augen lümmeln wir in unseren Stühlen im Laubengang und genießen das erste Mal in diesem Jahr die Frühlingssonne auf unseren Gesichtern. Nach dem langen Winter und den kühlen Tagen ist die Sonne in unser kleines, geteiltes Wohnzimmer zurück gekehrt und ich merke wie sehr ich ihn vermisst habe. Den kleinen Laubengang, den ich mir mit nur einer Nachbarin teile.

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Nix mit Privatsphäre

Recherche, das ist alles nur Recherche, behauptete ich als mein Nachbar Paul ein Paket bei mir abholen möchte und mich versteckt am Boden des Laubengangs sitzen vorfindet. Dass man an fremden Türen nicht zu lauschen hat, ist hinlänglich bekannt. Ebenso aber auch, dass Telefonate die auf Balkonen geführt werden, das Allgemeingut der gesamten Nachbarschaft sind. Seit ich weniger mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs bin und mehr zu Hause bleibe, bin ich an manchen Tagen um diese Telefonate recht froh. Auf meinem Balkon höre ich viele. Die meisten sind aber langweilig. Herr Krüger telefoniert mit seiner Mutter, Herr Meier mit seiner Schwester, das Russisch von Frau Iwanow verstehe ich nicht und die Bürogespräche auf den beiden Balkonen über mir interessieren mich nicht. Interessanter ist das Hinterhaus, dem ich auf dem Laubengang sitzend zuhören kann. Besonder kurzweilig ist es, seit Anfang April neue Bewohner eingezogen sind. Einer von ihnen ist Jan. Vielleicht erinnern sie sich an ihn – er hat uns während Corona mit Musik versorgt und ist seit dem der DJ unserer Abendstunden. Tagsüber nimmt er keine Musikwünsche an. Zwischen neun und fünf nutzt er seinen Balkon um dort ausführliche Telefonate zu führen. Jan ahnt es nicht, aber ich kenne ihn mittlerweile recht gut. Weiterlesen

Russische Entsorgung

 

Verdammt, fluchte ich leise als ich den Müllraum unseres Hauses betrat. Verdammtes Hinterhaus, ergänzte ich in Gedanken und blieb unschlüssig zwischen all den Tonnen stehen. In den letzten Monaten sind einige Studenten ins Hinterhaus  eingezogen. Man bekommt sie kaum zu Gesicht, aber anhand der musikalischen Dauerbeschallung kann man erahnen, dass die neuen Bewohner zur Jahrtausendwende noch Windeln trugen. Ich habe nichts gegen junge Mieter und wenn ich ehrlich bin, bekomme ich aus dem Hinterhaus sowieso recht wenig mit. Was mich aber wirklich stört ist, dass diese jungen Menschen teilweise saublöde Ideen haben. Die mögen ihnen selbst vielleicht ganz clever erscheinen, sind bei genauerer Betrachtung  aber hirnrissig und dämlich. Welcher Vollidiot kommt denn auf die Idee seinen Christbaum über die Biotonne zu entsorgen? Für so etwas gibt es Sammelstellen. Da muss man seinen Christbaum nur 2 bis 3 km zur nächsten Sammelstelle tragen und dann ist man ihn schon los. Wem das Tragen und Schleppen zu blöd ist, der kann ja auch den Bus oder die U-Bahn nehmen. Das ist wirklich kein großes Problem. Als ich so alt wie die war, hab ich das auch machen müssen. Da hatte ich auch kein Auto und musste meinen Baum eben auch zu Sammelstellen bringen. Aber in der Biotonne eines doch recht großen Hauses, das ist rücksichtslos und bestimmt auch verboten. Mist, fluchte ich noch einmal leise und hörte es hinter mir lachen. Weiterlesen

Eine Leiche im Hinterhaus

Mit unserem Haus ist es ein wenig so wie mit Italien. Oder um die Himmelsrichtungen korrekt wieder zu geben, unser Haus ist wie Deutschland kurz nach der Wende. Es gibt den Osten, das Vorderhaus, und den Westen, das Hinterhaus. Man kennt sich, man mag sich, aber für die Probleme des anderen fühlt man sich nicht unbedingt zuständig. So ignoriere ich seit Wochen die immer dringlichen Hilferufe einer mir unbekannten Dame aus dem Hinterhaus. Dank der vielen Zettel im Aufzug bin ich bestens darüber informiert, dass einer aus dem zweiten Stock  in seinem Badezimmer Tauben füttert. Aber ganz ehrlich….es ist mir egal. Das spielt sich im Hinterhaus ab und ich wohne im Vorderhaus. Den Westen unseres Hauses betrete ich nur, wenn ich muss.  Heute musste ich. In meinem Flur liegt seit Tagen ein Paket für meinen Nachbarn Paul und ich ahne, dass sich der DHL Bote die Benachrichtigungskarte wieder einmal gespart hat. Mit dem Paket unter dem Arm betrete ich das Hinterhaus und fühle mich darin bestätigt, dass der vordere Teil doch viel schöner ist. Das sehen die meisten aus dem Vorderhaus so und deshalb wundert es mich, direkt neben Pauls Wohnung eine buntgemischte Ansammlung aus beiden Teilen des Hauses anzutreffen. Herr Meier steht in der Mitte und ich sehe meine direkte Nachbarin Judith fragend an. Die haben eine Leiche, informiert sie mich. Ich verschiebe die Paketabgabe und bleibe neugierig stehen. Weiterlesen

Jetzt weiß es auch Paul

Ob ich noch ganz richtig ticken würde, wollte Paul gestern Abend am Aufzug von mir wissen. Selbst für meinen Nachbarn Paul, für den ein Schnalzen mit der Zunge als adäquate Begrüßung galt, war dieser Gesprächsauftakt ein wenig unfreundlich. Ich schob es auf ein zuviel an Sonneneinstrahlung und zuckte nur mit den Schultern.  Für mein Empfinden tickte ich durchaus richtig und noch dazu in einem überaus fröhlichem Rhythmus. Ohne auf den möglichen Sonnenstich meines Nachbarn Rücksicht zu nehmen, drückte ich ihm einen zwanzig Liter Sack Erde in die Arme und bat ihn diesen zu halten, um meine Post aus dem Kasten zu fischen. Mit einem gemurmelten „ihr spinnt doch“, erhielt ich meine Erde zurück und sah den vermeintlich Kranken ohne eine weitere Erklärung recht flott die Treppen nach oben sprinten. Wenn es nicht die Sonne war, dann war es sicher ein weibliches Wesen, das Paul die Laune verdorben hatte. Nachdem ich es nicht sein konnte, da ich die letzten Tage in Italien verbracht hatte, war es mir egal.
Als ich am Saftstand vor meiner Wohnung vorbei kam und brav 50 Cent für einen lauwarmen Becher abgestandenen Apfelsaft bezahlte, dämmerte mir, warum Paul an meinem Verstand zweifelte. Er sieht von seinem Fenster aus meinen Laubengang,  wohnt aber im Hinterhaus und bekommt die wirklichen wichtigen Dinge erst als einer der Letzten mit.   Weiterlesen