Der Mann, der ab und zu mit einer Flasche Wein vor meiner Tür steht, hat mir bereits mehrfach verboten, über ihn zu schreiben. Ich würde mich daran halten, wenn ich an seiner Stelle über einen beliebigen anderen Menschen schreiben könnte. Einen, der ähnlich versessen auf gute Vorsätze ist, wie er. In dieser Hinsicht ist er allerdings einzigartig. Und das, – Sie ahnen es – ist leider kein Kompliment. Heute am 31. Dezember, muss er dafür herhalten, wenn ich über Vorsätze das neue Jahr betreffend schreibe. Ich kenne nämlich leider niemanden sonst, der diese mit einer solchen Energie und Konsequenz gegen die Wand fährt wie er. Und das bereits lange vor dem 1. Januar. Das muss man erst mal schaffen.

Das Exemplar, das bei mir ab und zu mit einer Flasche Wein vor der Tür steht, ist der mit Abstand inkonsequenteste Mensch, den ich kenne. Eigentlich wäre das sein Problem. Da er aber auf eine noch zu klärende Weise zu mir gehört, macht er sein Problem, zu unserem Problem und versaut mir damit regelmäßig den Dezember. Ich gebe Ihnen ein paar Beispiele. Da ich ihn vorhin rausgeschmissen habe (aus der Wohnung nicht aus meinem Leben) kann ich Ihnen das in aller Ruhe erzählen, ohne mir anhören zu müssen, dass ich seine Privatsphäre verletze.

Vorsätze zum neuen Jahr sind an sich keine schlechte Sache. Ich habe selbst den einen oder anderen. Ohne gute Vorsätze stünden die Sterne für 2026 mehr als schlecht. Würde ich zum Beispiel so wie in der Adventszeit weiter essen und gammeln, dann hätten ich und mein Hausarzt ein massives Problem. Es macht also Sinn, sich vorzunehmen ab Januar wieder etwas gesünder zu essen und sich mehr zu bewegen. Ab Januar! Mein Freund beginnt mit seinen Vorsätzen aber bereits Mitte Dezember. Bei jedem einzelnen Plätzchen, dass in seinen Mund wandert (in seinen Mund nicht in meinen) erklärte mir, dass diese Kalorienbomben ab jetzt von seinem Speiseplan gestrichen werden. Wenn sie schon mal näheren Kontakt mit einem Mann hatten, dann wissen Sie, dass es nicht zielführend ist, die Frage zu stellen, warum er die Plätzchen denn dann trotzdem isst. Auf gar keinen Fall fragen.

Ebenso wird mir erklärt, dass dieses abendliche Rumlümmel auf der Couch für den Kreislauf wirklich nicht gut ist und ich wahrscheinlich wesentlich besser schlafen würde, wenn ich mich etwas mehr bewegen würde. Unnötig zu erwähnen, dass er sich vollgefressen von einer Seite zur andren wälzt, während ich wie ein Stein schlafe und mich auch im Advent nur vom Sofa ins Bett rollen muss, um sofort wegzudösen. Um besser zu schlafen setzt er seine guten Vorsätze schon im Dezember um. Wenig erfolgreich. Alleine in den letzten vier Wochen hatte er a) ein geprelltes Handgelenk, weil es ihn auf die Schnauze gehauen hat, als er im Dämmerlicht an der Isar joggen war b) drei Sonntage einen derart massiven Muskelkater, dass deine schlechte Laune nicht zu ertragen war und c) einen Sonnenbrand, der lautstark nach Hautkrebs schrie, weil er unbedingt auf dem Gletscher Skifahren musste. Auch ohne Fachwissen klingt das für mich ungesund, führt bei ihm aber dazu, dass er im Januar richtig Gas geben möchte. Von uns beiden ist er der Mediziner, aber ich bin diejenige, die Retterspitz besorgt und Kühlpads im Eisbach parat hält.

Ein abschließendes Beispiel seiner einzigartigen Vorsätze, die bereits im alten Jahr beginnen? Gerne. Seit ungefähr dem 8. Dezember wird mir mitgeteilt, dass ich es doch bitte etwas ruhiger angehen lassen soll. In unserem Alter würde Stress zu Schlafstörungen (nein, siehe oben); Magen-Darm-Problemen (nein, die liegen zu 99 % an Plätzchen und zu viel Gerichten mit einem Käseanteil von bis zu drei Vierteln) oder Bluthochdruck führen (der meine steigt, wenn er wieder im Dunklen zum Joggen geht). Ich versuche ihn zu ignorieren, weil ich dem Stress eh nicht entgehen kann. Seit ich denken kann bzw. arbeiten muss, steppt im Dezember in meiner Branche der Bär und die Tore zur Arbeitshölle öffnen sich. Außer im Falle einer spontan ausgesprochene Kündigung kann ich diesem Stress nicht entgehen. Seine Hinweise gehen mir also in erster Linie nur auf die Nerven. Ganz besonders, weil diese Hinweise nicht mit seinem eigenen tun vereinbar sind.

Der Mann, der für etwas mehr Gelassenheit plädiert arbeitet an neun von zehn Feiertagen, gerne mit reichlich Überstunden und übernimmt freiwillig (!) in der Klinik die unbeliebtesten Schichten. Wenn man ihn dann (also vorhin) fragt, ob er und seine Kollegen und Kolleginnen da nicht auch mal einspringen könnten, dann kann man ihn 60 Sekunden lang beim Atment beobachten, bevor er einem tief in die Augen schaut und erklärt, dass die anderen doch alle Familie oder Beziehungen haben. Diesen Blick halte ich dann Stand. Lange. So lange, bis ihm dämmert, dass er das gerade mir, seiner Beziehung sagt. Weil wir beide wissen, dass er aus der Nummer nicht rauskommt, versucht er es gar nicht und steckt sich grinsend ein Plätzchen in den Mund.

Der letzte seiner jährlichen Vorsätze besteht darin, zu versuchen, seine Freundin (mich) zu eigenen guten Vorsätzen zu animieren. An diesem Vorsatz hält er besonders vehemment fest und beisst sich an mir die Zähne aus. Ich brauche keine Vorsätze. Ich liege auf der Couch, weil da die Sonne hin strahlt. Ein Grund sich von dort über mehrere Stunden nicht weg zu bewegen. Die Nahrungsaufnahme erfolgt in Form von Schokoladennikolausresten und Plätzchen. Ab Januar möchte ich schließlich weniger von dem Süßkram essen, also muss er heute noch weg. In meinem Brotjob wird am 31.12 nicht gearbeitet und in meinem Nebenjob habe ich allen Leuten schon vor einer Woche erklärt, dass sie mich für das für den Rest des Jahres gern haben können. Ich gehe nicht ans Telefon, bewege mich nicht und esse. Nur an einem Vorsatz arbeite ich auch in diesem Moment. Er lautet, ignoriere den Vollidioten, der in deiner Wohnung auf und ab rennt und dir irgendeinen Schwachsinn suggerieren möchte. Und wenn du ihn nicht ignorieren kannst, dann wirf ihm wenigstens nichts (Nikolausreste) an den Kopf. Da ich für letzten Punkt nicht garantieren konnte, habe ich ihn gebeten zu gehen. Ab sechs muss er ja eh arbeiten.

Ab Mitte Januar sind seine ganzen Vorsätze übrings wieder dahin und er wird wieder normal. Dann fangen in der Regel die meinen an und wir schaffen es bei den Themen Ernährung und sportlicher Betätigung auch den Rest des Jahres aneinander vorbei zu leben.

Wenn Sie einen wirklich guten Vorsatz brauchen, dann hätte ich noch einen….lassen Sie die Finger von Böllern jeglicher Art. Nach Mitternacht wollen Sie in der Notaufnahme nicht auf meinen Freund treffen. Der verarztet Sie bestimmt großartig, aber mit dem begleitenden vorwurfsvollen Blick wollen Sie nicht ins neue Jahr starten.

Guten Rutsch und alles Gute für 2026!