Bitte…(sprechen Sie das Wort in der gewünschten Emotion aus)

Sie haben drauf gewartet. Geben Sie es zu! Sie kennen mich jetzt schon eine ganze Weile und und wissen deshalb sicher, wie ich zum Schreiben gekommen bin. Na, kommen Sie… Sie erinnern sich doch sicher, dass ich meine ersten tippenden Schritte in einem Fan Fiction Forum für Robbie Williams gemacht habe. Ich hab Ihnen bestimmt mehr als einmal erzählt, dass ich dort eine ordentliche Karriere hingelegt habe. Mit der mir damals anhaftenden Arroganz erklärte ich den schreibenden Mädels, dass man das viel besser machen könne. Zum Beispiel so wie ich. Heute bin ich viel viel weniger arrogant. Trotzdem waren meine damaligen Geschichten gut. Sie hatten den Umfang eines dreibändigen Romanes. Jeder einzelne. Und weil man so viel über irgendeinen Popstar nicht schreiben kann, hab ich ihm hunderte andere Leben angegedichtet. Na gut, nicht hunderte, aber ein gutes Dutzend andere. Und jetzt fragen Sie mich bitte nicht, wo rauf ich hinaus will. Auf morgen natürlich. Morgen ist Robbie Williams in München und ich bin dabei.

Abgesehen vom Starkregen, der für den ganzen Tag angesagt ist und meinem festen Vorsatz, in die erste Reihe zu kommen und der Tatsache, dass ich deswegen vermutlich  12 Stunden in strömenden Regen stehen werde, macht sich mein Freund aktuell um ganz andere Dinge Sorgen.

In den letzten 48 Stunden habe ich ihn sehr oft „bitte“ sagen hören. So einbitteist an sich ein ziemlich unscheinbares Wort. Aber es lässt sich in wahnsinnig viel Nuancen aussprechen. Ich wusste gar nicht, dass mein Freund so viele verschiedene Tonlagen und Untertöne im Repertoire hat. Bewundernswert, wenn er mich nicht seit besagten 48 Stunden unglaublich nerven würde. Er sagt zum Beispiel: Mitzi, bitte! Wenn ich ihm meine Provianttasche für morgen zeige. Ich weiß nicht was der Mann erwartet, was man für einen Ansteh-Marathon vor einem Konzert mitnimmt, aber klein geschnittenes Obst ganz sicher nicht. Bitte und ein Fragezeichen im Tonfall, hatte er bestimmt ein halbes Dutzend mal, wenn er nachfragte, ob ich wirklich bei diesen Wetterverhältnissen vorhabe, in die erste Reihe zu gelangen. Und dabei weiß er noch nicht mal, dass meine Freundin vor nicht allzu langer Zeit operiert wurde und sich vermutlich trotz glitschigen Stufen nicht davon abhalten lassen, wird diese im Olympiastadion nach unten zu rennen. Was das angeht, hat er aufgegeben und nur noch zweimal fallen gelassen, dass mir hoffentlich klar ist, dass er weder Orthopäde noch Chirurg ist. Übersetzt bedeutet das, wer auch immer sich von euch morgen auf die Schnauze legt, ich will nicht angerufen werden. Geht klar, wir werden den Onkologen nicht belästigen und nach keinem Pflaster fragen. Und bevor er meint, das kleine Wort weiter überstrapazieren zu müssen, hab ich ihm hier etwas zusammengeschrieben. Schon vor einigen Jahren und damals nicht an ihn adressiert. Aber manches scheint sich nicht zu ändern. Weder meine Leidenschaft für Robbie Williams Konzerte, noch das Unverständnis meiner Partner. Aber Ihnen war’s wahrscheinlich klar. Sie wissen, dass er auf Tour ist, und haben sich schon gefragt, wann ich dazu etwas schreiben werde. Und sollten Ihnen ein „bitte nicht schon wieder „auf den Lippen liegen… Warten Sie ab, was ich noch alles posten werde. 

Robbie Williams und ich pflegten über lange Jahre ein sehr innige, fast schon intime Beziehung. Zugegeben, sie war etwas einseitig. Aber meine Leidenschaft reichte locker für uns beide. Zum Leidwesen meines damaligen Freundes, der an meinem Verstand zu zweifeln begann, als ich mich in den Tiefen des Internets auf die Suche nach einem 1,85 m großen Pappaufsteller dieses Mannes begab. (Das dieser nicht für unser Schlafzimmer bestimmt war und letztendlich der Grund ist, dass ich heute hier schreibe können Sie  hier nachlesen.) An den Rand der Verzweiflung getrieben habe ich ihn aber erst, als meine bisher geheim gehaltene Leidenschaft in über 250 Kinos weltweit öffentlich gemacht wurde. Während dieser Zeit lernte ich ein faszinierendes Talent meines Freundes kennen. Er schaffte es, in das kleine Wort „bitte“ mehr Emotionen einfließen zu lassen, als in den kompletten sieben Jahren unserer Beziehung.

Es fing mit einem besorgten „bitte“ an, als ich auf allen Vieren vom Sofa in Richtung Badezimmer kroch. Es ging mir nicht besonders gut. Ich hatte Kopfschmerzen, die mir die Tränen in die Augen trieben, sah am Rande meines Blickfeldes kleine Lichtblitze und mir war so schwindlig, das ich nicht mehr gerade gehen konnte. Gehen wollte ich auch gar nicht. Ich wollte meinen Koffer fertig packen, um am nächsten Tag nach London zu einem Robbie Williams Konzert zu fliegen. Nach drei Jahren Bühnenabstinenz war es der erste Auftritt vor nur 3.000 Zuschauern. Die Karten hatte meine Freundin gewonnen. Nachdem ich meinem Chef bereits mit der Kündigung gedroht hatte, wenn er mir keinen Urlaub genehmigte, konnten mich Kopfschmerzen nicht von der Abreise abhalten. Das „bitte“ meines Freundes duldete keine Widerspruch als er mich ins Krankenhaus schaffte. Ungläubig klang es, als ich ihm, am Tropf in der Notaufnahme hängend, erklärte, dass eine Entzündung des Sehnervs, kein Beinbruch sei. Ich würde dann eben eine Sonnenbrille aufsetzen und nicht in das gleißende Licht der Bühne blicken. Er ergänzte sein „bitte“ um ein „sehr“ mit Ausrufezeichen, als er mich zum Flughafen fuhr und in die Obhut meiner Freundin übergab. Ich flog nach London und er verstummte. Zunächst.

Am nächsten Tag hörte ich mich stellvertretend für ihn dann  häufig selbst „bitte“ murmeln. Im Gegensatz zu ihm, reichte mir ein Wort nicht und ich flüsterte zu mir selbst eher ein „Oh bitte, ist das peinlich“. Ich stellte nämlich schnell fest, dass ich wohl doch kein echter Fan war. Ein echter Fan hätte es genossen, zwölf Stunden lang im Nieselregen auf dem Boden vor einer Konzerthalle zu sitzen und sich den Hintern abzufrieren. Ein echter Fan hätte auch gewusst, dass dieses elitäre Konzert  in weltweit 250 Kinos live übertragen wird und hätte sich hübsch zurecht gemacht. Ich dagegen hatte mich in einen gemütlichen Rollkragenpullover geworfen und einen alten Mantel gewählt, weil ich wusste dass ich stundenlang auf dem Boden hocken würde. Natürlich ungeschminkt. Meinen tränenden Augen konnte ich keine Wimperntusche zumuten und ich sah so schlecht und verschwommen, dass mir mein morgendliches Spiegelbild nicht zu denken gab. Ein echter Fan, hätte auch den Bassisten der Band erkannt. Ich nicht. Im Roundhouse gibt es ein kleines Café in dem man sich den Tee selbst zapfen konnte. Sofern man die komplizierte Maschine bedienen konnte. Für mich übernahm das ein ausgesprochen hilfsbereiter Mann, der sein Geld nicht als Teezapfer sondern als Bassist verdiente. Der Fan in mir flackerte kurzzeitig auf, als die Türen zur Konzerthalle sich öffneten und ich hinter meiner Freundin herrannte um mir einen Platz in der ersten Reihe zu sichern. Ein euphorisches Gefühl übermannte mich, bis ich der Länge nach hinfiel und nicht euphorisch, aber sehr emotional „Oh bitte!“ schrie. In die erste Reihe kam ich trotzdem. Ich muss wohl schon so übel und krank ausgesehen haben, dass man gerne ein Stück von mir abrückte. Alle, bis auf eine Frau um die Fünfzig, die mir gerade einmal bis zur Brust reichte. Das ist selten und natürlich lies ich es zu, dass sie halb vor mir stand.

Zwei Stunden warten, während einem von hinten tausend Leute ins Kreuz drücken. Ein Erlebnis, das ich nur genießen konnte, weil ich dank Fieber nahe dem Delirium war und überhaupt nichts mehr mitbekam. Als es endlich losging brauchte ich etwa eine halbe Stunde bis sich meine Augen an das grelle Licht der Bühne gewöhnt hatten und die rasenden Kopfschmerzen zu einem dumpfen, zähflüssigen Brei wurden. Ich tauschte die Sonnenbrille gegen eine normal aus. Ein scheußliches Ding, das ich nur dann trug, wenn Kontaktlinsen sich verboten. Die Brille erfüllte ihren Zweck und ich erkannte den freundlichen, älteren Herrn vom Teeautomaten wieder. Es war nicht schwer. Die Halle klein und er fast greifbar nah direkt vor mir. In jedem Konzert gibt es die Momente wo es ganz still wird und eine dramaturgische Pause eintritt. Ich nutzte sie um laut und plötzlich aufgewacht zu brüllen „Oh! It´s you!“ Genau in diesem Moment stand Herr Willliams neben besagtem Bassisten und ich schwöre Ihnen, er hat´s gehört und mich angesehen als wäre ich bekloppt. Meine Freundin sah mich mit genau dem gleichen Blick an und bat mich den Mund zu halten.

Ich sah diesen Blick in den folgenden Tagen noch öfter. Viele waren damals im Kino gewesen und haben sich das Konzert live angesehen. Allen die mich kannten, sprang ich – in der ersten Reihe gut sichtbar – sofort ins Auge.  Ich habe es mir später auf YouTube angesehen und vor Scham den Blick gesenkt. Nicht weil ich ungeschminkt, zerzaust und verheult aussah. Nein, weil vor meiner Brust ein Schild war auf dem deutlich lesbar „Robbie, I love you“ stand. Die kleinwüchsige Frau, zu der es gehörte, die sah man nicht. Man sah nur mich und das Schild. Freunde und Bekannte, die nicht im Kino waren, sahen es auf Facebook. Man fand es lustig es wieder und wieder auf meine Seite zu stellen. Mein Freund fand es nicht lustig. Sprach man ihn darauf an, hob er nur die abwehrend die Hand und murmelte leise „bitte….“.

Bitte…fragen Sie mich nicht nach dem Youtube Link oder Fotos.

13 Gedanken zu “Bitte…(sprechen Sie das Wort in der gewünschten Emotion aus)

  1. Okay, ich verkneife mir das „Bitte nicht schon wieder“ und du verzeihst mir, dass ich deine Anfänge als Robbie-Williams-FanFic-Autorin nicht mehr in Erinnerung hatte – bitte!

    Let’s hope you won’t come undone in the rain when the rock dj is swinging while winning… oder so. Viel Spass!

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  2. Durch dich habe ich überhaupt erst gelernt, dass es Fan Fiction gibt, liebe Mitzi. Nicht, dass ich derlei lesen wollte, aber der hier mitgeteilte Umfang deines Werks in dieser Sparte ist beeindruckend. Er beweist, mit welchem Enthusiasmus und Leidenschaft du Robbie-Williams-Fan bist. Ich hatte gehofft, gestehe ich, du wärst davon geheilt. 😉

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    1. In diesem Fall, lieber Jules, muss ich dich tatsächlich enttäuschen. Wobei ich schon sehr gemäßigt geworden bin. Das sieht man daran, dass ich gerade daheim auf dem Sofa sitze, während die Hardcore Fans seit 5:00 Uhr morgens vor dem Stadion sitzen. Die alte Crew hat mir Fotos geschickt. Meine Freundinnen und ich werden es aber gemütlicher angehen lassen. Vielleicht bin ich also ein bisschen geheilt.

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  3. Ich erinnere mich an deinen ersten Beitrag zu diesem Thema. Vielleicht weil ich ihn auch charmant finde und so mancher Song mir auch gefällt.
    Viel Vergnügen !
    Liebe Grüße, B.

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  4. Robbie wer? Ach so, ja, den gibt es auch. Immer noch? Es sind nicht nur meine doch eher schlechten Augen und empfindlichen Ohren, die mich von solchen Orten fernhalten (meine Kinder schleppten mich zu einem Konzert der Wise Guys. Man muß dazu sagen, dass die Tontechnik in der Halle nicht besonders gut war, das haben alle bestätigt. Aber mir war es zu laut und zu unverständlich und das habe ich auch laut und verständlich geäußert. Können wir BITTE gehen?). Nein, es ist vor allem meine aufsteigende Panik in Menschenmengen. – Bin ich eigentlich allein, wenn es um die Überprüfung der Fluchtwege geht? Die verstopft sind! Hallo, hören sie auf mich! Bitte! Ich habe Erfahrung mit so was, Bergung aus brennenden Treppenhäusern (eine Übung nur, zum Glück) und ähnliche spaßige Events! – Geht nur, sage ich zu den anderen. Habt Spaß. Laßt mir meine Ruhe. Komm doch BITTE mit, das wird schön, das wird lustig. Sagen sie. Drängen. Was soll ich tun? Kann mir bitte jemand raten?

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