Hör´n Sie mal IV

Ich bleib noch ein bisschen bei den erzählenden Frauen in meiner Familie. Lange bevor ich angefangen habe, habe sie das schon gemacht – das Erzählen. Und weil ich jeder von ihnen zugetraut hätte, mehrere Buchbände an Erzählungen zu füllen, habe sie alle einen Platz in einer Lesung gefunden. Einer, die ich gemeinsam mit der wunderbaren Ulrike Dostal leider erst einmal aufgeführt habe. Im Valentinhaus lasen wir einen Abend unter dem Titel: „Und ewig schreibt das Weib.“ Ulli übernahm es Erzählungen von ganz wunderbaren deutschen, meist bayerischen, Schriftstellerinnen zu lesen. Über die Kameradschaft von Emma Haushofer-Merk, aus der Geierwally von Wilhelmine von Hillern (das Buch hat kaum etwas mit dem oder den Filmen zu tun), den Juhschroa von Emerenz Meier und von Lena Christ und der Gräfin Franzika von Reventlow. Wie unglaublich schön sie das gemacht hat, kann man wahrscheinlich nur erahnen, wenn man Ulli schon einmal auf der Bühne erlebt hat. Im Internet finden Sie unter ihrem Namen so einiges. Hier zum Beispiel.

Ich übernahm es meine Tanten und Großmütter erzählen zu lassen und steuerte selbst noch ein wenig bei. Da unsere zweite Lesung mit diesem Programm leider abgesagt wurde (so ganz rund läuft es nach Corona leider immer noch nicht), habe ich die einzelenen Erzählungen hier mit aufgenommen. Wir finden, sie passen ganz gut in den Advent. Die Ulli hören Sie hier nicht, aber meine Teile habe ich für Sie zusammen gestellt. Üben muss ich sie eh noch und es ist an der Zeit, dass die Weiber meiner Familie mal wieder gehört oder gelesen werden.

Und hier zum Nachlesen:

Tante Mitzi hieß wie ich. Mitzi Irsaj. Früher einmal hieß sie Maria. Nicht lange, denn auf der väterlichen Seite meiner Familie, gab man sich große Mühe schöne Namen gründlich zu verhunzten.  So wurde aus Maria die Mitzi, Valerie nannte man Walli und Anna hörte auf Ansch. Alle Namen wurde zudem recht hart ausgesprochen und passte zu den stattlichen drei Frauen, die aus den Mädchen mit den hübschen Namen wurden. Nur Erna, die jüngste von ihnen, hatte mit Ernestine einen Taufnamen bei dem sich Original und Koseform nicht viel schenkten. Maria, Valerie, Anna und Ernestine vier Schwestern, mit einem Bruder, der um so viel jünger war, das ihn von Valeries Sohn (meinem Vater) nur sechs Jahre trennten. Obwohl ich meine Großmutter und ihre Schwestern nur als reife Frauen erlebte, glaube ich die Mädchen und jungen Frauen, die sie einmal gewesen sind, genauso gut zu kennen. Mitzi, Walli und Erna versorgten mich seit ich denken kann mit Geschichten. Nie erfanden sie etwas – sie griffen einfach zu dem, was sie erlebt haben zurück und taten genau das gleiche wie ich heute. Sie erzählten Geschichten aus dem Alltag. Aber wie sie die erzählten! Wenn Sie gerne bei mir lesen, dann hätten Sie mal Erna erleben sollen. Ihre sanfte, manchmal etwas wehleidig klingende Stimme eignete sich besonders gut für Erzählungen, die eine sonst im Zaum gehalten Wut oder Leidenschaft weckten. Stellen Sie sich eine liebreizende Nonne vor, die plötzlich viel zu laut und mit zu viel Bewegung in Armen und Händen theatralisch „Halleluja!“ ruft. Das war Erna, wenn sie zum Beispiel von ihrem Vater, meinem Urgroßvater sprach. Dann wurde die ruhige Frau laut und leidenschaftlich, damit ich auch wirklich verstand was für ein unglaublicher Mann er gewesen war. In meiner kindlichen Vorstellung nahm er die Züge des Franz von Assisi an. Dem Heiligen, der mit den Vögeln sprach. So weit weg war es wohl nicht. Es gibt ein altes Foto, da sitzt auf dem ausgestreckten Arm meines Urgroßvaters ein kleiner Spatz.

Oder Mitzi, die nie sanft und ruhig war, sondern immer etwas lauter als die anderen redete. Die erzählte! Herrlich. Leider fiel ihr manchmal mittendrin ein, dass ihr einziger Zuhörer  ein gerade mal sechsjähriges Mädchen war. Dann unterbrach sie sich urplötzlich und machte eine so abrupte Kehrtwende, dass sogar mein sechsjähriges Ich, die Finte roch und bettelnd auf das Ende bestand. Sie erzählte es mir immer. Zum Beispiel von der Leiche der toten (klar, eine Leiche. Aber sprechen Sie es wie Tante Mitzi flüsternd aus, dann wird ihnen klar, dass es so viel dramatischer klingt. Die LEICHE der TOTEN…) Frau. Der hatte ein übler Grabräuber den Finger abgeschnitten, um an den Ehering zu kommen. Ein großes Glück. Die Frau war nämlich nicht tot, sondern nur scheintot. Und weil sie wegen des verlorenen Fingers zu weinen begann, hat man den Irrtum noch rechtzeitig bemerkt und sie aus der Leichenhalle geschafft. Der Grabräuber wurde angesichts des Schocks wahrscheinlich zu einem besseren Menschen. Unnötig zu erwähnen, dass ich schon mit sechs Jahren beschloss, mich nach meinem Tod verbrennen zu lassen. Lieber verbrannt und mausetot als scheintot unter drei Metern Erde begraben zu liegen und keiner merkt`s.

Und natürlich Walli, die ich aber nie so nannte, sondern immer nur Oma. Moosacher Oma. Ich hatte ja zwei und die eine wohnte im Münchner Stadtteil Moosach. Zusammen mit Opa und Muschi, der Katze. Gespielt hat sie nur selten mit mir. Warum hätte sie das auch tun sollen. Ihr Kästchen mit Modeschmuck, ein paar Kissen und Decken zum Bauen einer Höhle und ein nie endender Fundus an Geschichten, waren alles was es für kindliches Glück brauchte. Oma musste am meisten und vor allem immer wieder erzählen. Wie Erna sich den Daumen brach. Oder wie die Kartoffelsuppe kalt wurde, als sie binnen Minuten ihr Elternhaus verlassen mussten und nie wieder zurückkehren durften. Oder eine andere Variation der Scheintoten. Die war noch grausiger als die von Mitzi, weil sie das Finale nie erzählte sondern mitten im Satz endete. Das klang etwa so „Und dann rannen ihr Tränen…..“ Ende. Sollte das Kind ruhig seine Phantasie bemühen und sich ausdenken ob die Scheintote nun im Sarg erstickt war oder ob der Grabräuber barmherzig genug war, sie vorher endgültig um die Ecke zu bringen.

16 Gedanken zu “Hör´n Sie mal IV

    1. Ja, so geht es mir auch, lieber Jules. Im Moment gibt es für mich eigentlich nur noch meinen Vater, der richtig viel zu erzählen hat. Natürlich erzählen die jungen Nichten und Neffen viel. Aber (ganz natürlich) sie erzählen noch anders und über anderes. Wenigstens halten sie mir aber auch kein Handy unter die Nase sondern berichten von dem was ihnen passiert.

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      1. Du hattest mich ja mal vor langem gefragt, ob… nein, ich lese mit meiner brüchigen Stimme nicht öffentlich vor. Aber ich sagte damals auch, dass ich einen Vorleser wüßte: Wenn Du interessiert bist, einfach sagen.

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      2. Jetzt musst mir doch noch mal auf die Sprünge helfen. Ich weiß schon noch, dass wir über das Lesen gesprochen / geschrieben haben. Aber (Schande über mich, wenn ich das nicht mehr parat habe) gab es da was konkretes?

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      3. Nein. Aber vor Zeiten (ähm) hattest Du mich angefragt, ob ich Lust hätte, zu einer Deiner Lesungen als weiterer Programmpunkt aufzutreten. Und da ich weiterhin das Rampenlicht zu scheuen gedenke habe ich damals schon verneint, aber mit dem dezenten Hinweis darauf, dass ich eventuell (man will ja gebeten sein) einen Vorleser hätte. Ich habe. Ihm nicht viel Wahl gelassen. Natürlich hat er sich geziert, da aber bestimmte Leute in der Verwandtschaft schon mal betonten, dass er eine gute Vorlesestimme hätte, u.a. der theatererfahrene Mann meines Schwagers, ebenso ein Mann aus der Kirchengemeinde mal bei einem diesbezüglichen Event erklärte, an ihm sei ein Pfarrer verlorengegangen, habe ich da die Wahlmöglichkeiten eingeschränkt und so ein Einverständnis erhalten! – Solltest Du also Interesse an entsprechender Teilnahme haben: Grundsätzlich gerne.

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      4. Danke dir. Jetzt habe ich es wieder vollständig parat.
        Nach wie vor fände ich es toll und eine sicher schöne Kombination. Ich drück (ganz egoistisch mir selbst) die Daumen, dass sich wieder mehr Lesungen ergeben und vor allem solche die ein wenig freier sind. Das sind in meinen Augen die besten, da kommt so viel schönes und so feine Kominationen zusammen. Wenn es hoffentlich irgendwann wieder welche im Valentinhaus gäbe, wäre das wunderbar. Ich werd mich auf jeden Fall melden. Nach einem dämlich Nachfragen, vergesse ich so etwas dann nicht mehr in Teilen.
        Liebe Grüße

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      5. Wenn das klappen könnte würde ich mich freuen. Und der, der mitliest, freut sich mit. Bleibt ihm etwas anderes übrig (Verweis auf die Kursangebote bzgl. Partnerschaften. Gilt auch für Seelenverwandtschaften und ähnliche Konstellationen). – Wenn Du entsprechend Bescheid gibst werde ich in die Vorbereitungen gehen. Hm, wäre es Valentin… da miassat i doch wos hom, irgendwo im Kastal…

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      6. Die Kursangebote sind sehr ausbaubar – sehe ich auch so. Es wird grundsätzlich herausfordernd, wenn mehr als eine Person involviert ist. Ich scheitere ab und an ja schon an mir selbst.

        Schön! Ich versuche, dass es klappt und gebe Bescheid. Grad das Valentinhaus wäre so schön. Das blöde Corona hat hier wirklich etwas beendet, das (warum auch immer) so schwer wieder anzukurbeln ist.

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      7. Zur Not machen wir die Lesung in Deiner Waldhütte… Na gut, das ist jetzt vielleicht nicht ganz der richtige Ort (zumindest nicht, wenn die 10000 dann auch noch übernachten wollen. Und etwas essen. Vorlesen geht ja noch, aber Fische und Brot vermehren?). Aber etwas findet sich bestimmt.

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