Mein Papa kennt alle Sterne. Das dachte ich zumindest als Kind, wenn er mir den großen und kleinen Wagen zeigte oder auf Orion deutete. Heute vermute ich, dass er längst nicht alle Sternbilder kannte und es mir als kleines Mädchen völlig reichte, mir immer wieder einige wenige zu zeigen und zu erklären. Auch ich kenne nur wenige Sternbilder und habe die meisten, die mir nicht von meinem Papa gezeigt wurden, mit einer sehr praktischen App am Himmel entdeckt.
Die letzten beiden Nächte hier am Meer waren herrlich klar und dunkel. Das Sternbild des Schützen hab ich gesehen. Die Milchstraße, die sich direkt daneben über den Himmel zieht, leider kaum. Auch wenn es hier viel dunkler als in München ist, ist es noch zu hell. Aber Saturn habe ich gesehen und auch den Stier. Aldebaran, Sirius und sogar die Pleiaden, die ich sonst fast nie sehen kann. Und natürlich Orion, mein liebstes Sternbild. Vor vielen Jahren hat es nicht traurig gemacht. Ich hab es am Himmel gesehen, als einer, der mir sehr viel bedeutet, seine Sachen gepackt hat und für immer nach Italien gezogen ist. Ich habe es auch gesehen, als ich selber viele Jahre später meine eigenen Sachen packte und aus Italien zurück nach Deutschland zog. Beide Nächte waren schrecklich. Heute habe ich mich längst mit Orion versöhnt. Den, den ich so gern hab, sehe ich regelmäßig und ich selbst lebe gerne in Deutschland, solange ich immer wieder zurück nach Italien kann.
Hier ist Orion besonders schön. Direkt über dem Meer, zwei Stunden bevor es hell wird. Erstaunlich, dass ich so früh wach bin und den ersten Kaffee trinke, wenn es draußen noch stockdunkel ist. Aber dann sind die Sterne am schönsten und das Rauschen des Meeres am klarsten. Angesichts der Weite und der Unendlichkeit des dunklen Himmels, ist selbst das große Meer nur ein kleiner winziger Fleck. Von mir selbst gar nicht zu sprechen. Aber das ist okay. Mir ist klar, dass ich selbst im Vergleich mit alldem, was dort oben am Himmel ist, völlig unbedeutend bin. Solange es ein paar Menschen gibt, denen ich viel bedeute, ist diese Vorstellung weder beängstigend noch unschön. Im Gegenteil, obwohl ich so winzig klein und für den Lauf der Dinge völlig unbedeutend bin, sitze ich in einem schönen Ort, bin glücklich und kann den Gedanken freien Lauf lassen. Um wie viel stärker muss dieses Gefühl sein, wenn man die Erde von oben sehen könnte. Man müsste gar nicht in einer anderen Galaxie sein, die internationale Raumstation würde schon völlig reichen. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass die meisten Astronauten nach ihrer Rückkehr ein völlig anderes Verständnis von unserer Welt haben. Nicht nur von ihrer Schönheit, sondern auch von der Unsinnigkeit und Willkür jeglicher Grenzen, die man von dort oben nicht sehen kann. Und ganz besonders von ihrer Zerbrechlichkeit.
Außer einer schmalen Ozonschicht und einem Magnetfeld, schützt unsere Erde nichts vor dem da draußen. So schön es von unten anzusehen ist, für uns Menschen ist das Weltall ein lebensfeindlicher Ort. Man sollte meinen, dass es uns hoch entwickelten Menschen klar sein sollte, dass man diesen winzigen, wunderbaren Planeten schützen muss. Eigentlich müsste es ein ganz natürlicher Gedankengang sein, dass man alles daran setzt, diese winzige blaue Kugel für die nächsten Generationen zu bewahren. Und angesichts der Tatsache, dass wir (zumindest innerhalb eines Radius unzähliger Lichtjahre) in unserer und vermutlich auch anderen Galaxien völlig alleine sind und uns nur diese kleine Kugel, die mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit durch das All rast, am Leben hält… angesichts dieser Tatsache, sollte man meinen, dass die Menschen sich einander verbunden fühlen. Dass sie gemeinsam an einem Strang ziehen und sich nicht von Wirtschaftsdenken und Egoismus leiten lassen. Dass sie alles daran setzen, eine Lösung zu finden, friedlich zusammenzuleben und das Überleben nicht nur davon abhängig zu machen, ob man zufällig mit dem passenden Geschlecht, guten geistigen und körperlichen Voraussetzungen, in der richtigen Familie, im richtigen Land geboren ist. Alles andere würde bedeuten, dass wir doch eine ziemlich primitive Lebensform sind.
Trotzdem heißt es, dass es für all das keine Lösung gibt, dass diese Vorstellung naiv, unrealistisch und verheerend für das wirtschaftliche Wachstum ist. Statt Lösungen, dauerhafte Lösungen für alle zu suchen, konzentriert sich jedes Land erst mal auf sich. Länder, deren Grenzen man nicht einmal sieht, wenn man nur ein paar 100 km über der Erde schwebt. Wir sind hoch entwickelt und einzigartig. Können denken, fühlen und träumen. Und sind gleichzeitig Meilen weiter davon entfernt, die Krönung der Schöpfung zu sein. Viel zu engstirnig und egoistisch. Wenn sie mich fragen, sind das nämlich die Bakterien. Die freuen sich zwar nicht, wenn Orion am Himmel ist, aber sie erscheinen mir geeignet, noch lange nach uns auf dieser Welt zu sein.

Bakterien konnte ich Ihnen leider nicht fotografieren. Dafür ein paar schöne Wellen.

Wunderbar in Worte gefasst, wo die Menschheit ein Riesendefizit hat!
Die Betrachtung der Welt von extern, aus grosser Distanz, illustriert genau das, was es immer mal wieder bräuchte: die Dinge gelegentlich mit Abstand betrachten. Von sich selbst wiederholt absehen. Sich die Relationen erneut vergegenwärtigen.
Ein Jammer, dass so viele das nicht können oder wollen, oder beides. Dazu müsste man nicht mal bis zu einer Raumstation fliegen – ein geistiger Schritt aus dem eigenen Kopf heraus würde oft schon genügen.
Danke übrigens, dass du statt Bakterien doch lieber Wellen gepostet hast. Die Sterne denke ich mir einfach dazu.
😊
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Liebe Eva, du hast völlig recht. Abgesehen davon, dass es nicht möglich ist, müssen wir gar nicht so hoch hinaus. Einfach über den Tellerrand blicken, würde oft schon reichen. Liebe Grüße
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🙂👋🏼
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„sollte man meinen, dass die Menschen sich einander verbunden fühlen. Dass sie gemeinsam an einem Strang ziehen…“ O ja! dachte ich. Und zugleich sah ich die schrecklichen Explosionen der Kriege, die die schöne blaue Erde verwüsten und so viele Mitmenschen grausam zerfetzen. Ich sah auch die riesigen Müllhalden in afrikanischen und südamerikanischen Wüsten, in denen unser Ausrangiertes seine „letzte Ruhe findet“. Ich sah die anderen Halden, die entstehen, wo Menschen nach seltenen Metallen oder sonst für ihre großartige Zivilisation nötigen Stoffe graben. Und ich hörte Mutter Erde schreien vor Schmerz über das, was ihr und ihren Kindern angetan wird.
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So geht es mir leider auch oft, Gerda. So vieles, was falsch läuft und so viel Schrecken anrichtet.
Gleichzeitig muss man es machen, wie du (und auch ich es versuche), sich auch immer wieder auf all das Schöne zu konzentrieren. Liebe Grüße
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Der kindlich träumerische Blick in den Sternenhimmel kehrt zurück in die philosophische Betrachtung menschlicher Defizite auf diesem Planeten. Man folgt dir gerne im Zweifel an der fehlerbelasteten „Krone der Schöpfung.“ Und doch schaffen es einzelne Vertreter der Art, die bessere Seite herauszukehren wie du in diesem Text, liebe Mitzi, so dass man denken möchte, es ist noch nicht alles verloren.
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Ich glaube, an diesen Gedanken muss man sich klammern. Das noch nicht alles verloren ist. Ansonsten wäre es doch sehr mühsam, jeden Morgen aufzustehen.
Ganz liebe Grüße
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Liebe Mitzi,
Deine Betrachtungen des Sternenhimmels und der irdischen, menschlichen Geschicke mit allen kritischen Aspekten rühren mich an. Wie Dir Dein Vater die Sternbilder zeigte, die er kannte, und Du das Orion-Bild bis heute erkennst.
Früher wurde mal von einer „kosmologischen Kränkung“ gesprochen, die Erde und der Mensch wären nach der „kopernikanischen Wende“ nicht mehr im Mittelpunkt. Können wir so sehen und auch andersherum.
Wie alle Sterne sind auch alle Menschen einzig und besonders. Du, geschätzte Mitzi, sowieso. Du bedeutest Deiner Lesegemeinde und mir persönlich so viel, mit Deinen unverwechselbaren Geschichten im Blog, vom öffentlichen Nahverkehr, über die Nachbarschaften im Haus und Stadtteil, Deinen Reisen und den Erfahrungen im Mitmenschlichen, Deinem Schreiben, Lesen und Vorlesen.
Gute Zeit spätsommerlich, frühherbstlich und ganz herzlich
Bernd
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Lieber Bernd, ich danke dir für deine sehr sehr lieben und warmen Worte. Ich kann es nur zurückgeben, ohne dich und die vielen anderen Leser hier, würde mir etwas sehr, sehr schönes fehlen.
Ich finde es nachvollziehbar, dass die Menschen nach Kopernikus erst einmal komplett umdenken mussten. Zumindest die wenigen, die damals Wissenschaft getrieben haben. Wie schön wäre es aber, wenn die heutigen Menschen, ein bisschen mehr Verständnis dafür hätten, dass sie tatsächlich nicht der Mittelpunkt von allen sind. Man könnte auch auch ganz gut mit der Vorstellung leben, ein Teil von etwas schönem groß zu sein.
Liebe Grüße
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So ist es – früher oder später wirtschaftet sich die Menschheit in Grund und Boden und nimmt – schlimmstenfalls – die gesamte Erde gleich mit.
Ich habe gelernt, dass ich für Berlin eine App NICHT brauche – die über die Erkennung von Sternbildern. Wenn ich hier ab und an mal einen einzelnen, besonders hellen Stern sehe, kann ich schon glücklich und zufrieden sein. – Der Mensch braucht eben Beleuchtung, wenn er die Erde zugrunde richten will.
Und tschüss!
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Auch in München ist es schwierig, irgendwas am Nachthimmel zu erkennen. Umso mehr genieße ich es hier.
Bleib zu hoffen, dass sich die Erde wiederholt, wenn die Menschen sich selbst aus gelöscht haben. Ich bin ja sonst nicht so pessimistisch, aber was das angeht, leisten wir wirklich ganze Arbeit. Liebe Grüße nach Berlin
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Wie lange ist es her, dass ein ameriknischer Präsident von Star Wars träumte und Unsummen darin investierte? Zumindest war er so intelligent, darüber den Gespächsfaden, den dünnen, nicht abreißen zu lassen. Etwas, was die gegenwärtige Generation der Politiker anscheinend ganz gut kann.
Ja, man sollte von einer Metabebene aus besser sehen können. Das Ganze.
Oder nur den Teil, der einen interessiert? Man frage Herrn Bezos. Man kann auch Geld damit verdienen, dass man die Sterne zusätzlich verdunkelt, passende Beschäftigung für Herrn Musk. Nein, Hoffnung macht die Weltraumfahrerei wenig. Und auch die Stimmen der Astronauten, Kosmonauten, Taikonauten die anscheinend so eine andere Einstellung mitbringen, sind verblüffend leise. Halten sie es für unnötig? Trauen sie sich nicht? Oder denken sie nur an den nächsten Flug, der ihnen sonst womöglich nicht genehmigt wird?
Das alles macht wenig Hoffnung. Wer seine Stimme erhebt, wird niedergebrüllt. Sagt einer, man solle die Welt, die Natur, die Ressourcen schonen, so gilt er als vor – vorgestrig. Außerdem ist das doch alles Unsinn, Lüge! Schon vor Jahren las ich auf einer Satireseite – was daran ist bitte Satire? Die Satire ist, dass das als solche gilt! – dass wir wohl, wenn wir die Natur schonen und der Klimawandel stellt sich als Fata Morgana heraus, das ganz umsonst gemacht hätten.
Ja, das ist offenbar die gültige Meinung. Und zum Glück können wir nach Corona wieder genauso viel Unsinn machen wie davor! – Sinn des Lebens!
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Ich glaube, einer der aktuellen Astronauten hat irgend so etwas sogar gesagt. Dass sie mit ihrer Meinung bei vielen Dingen hinter dem Berg halten müssen, weil sich die einzelnen Raumfahrt Behörden zu bestimmten Dingen neutral verhalten. Wobei alleine diese Aussage schon sehr viel sagt.
Es ist deprimierend und traurig. Und leider ist nichts davon Satire.
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Tja, so kann man auftreten – aber so rettet man nicht die Welt. Ist wohl nichts mit dem Superhelden – Image der Weltraumfahrer. Sind halt auch nur Menschen, denen das Unterhemd unterm Raumanzug oder eben der nächste Flug nach oben näher ist als die Atmosphäre oder sonst so was Großes!
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Ne, die sind nur Helden, wenn sie die klappe halten oder vielleicht, wenn sie in Rente gegangen sind.
Wobei der Gerst, dass schon auch immer wieder anklingen lässt.
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Schöner Beitrag. Woher weißt du, dass sich Bakterien nicht über Sternbilder freuen? 😉
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Stimmt. Vielleicht tun sie es 🙂
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