Steckerlfisch für Herrn Mu

Meangs a Guat´l, fragt Herr Mu und hält mir ein zerknautschtes, hosentaschenwarmes Bonbon unter die Nase. Weil er sitzt und ich stehe, muss er sich dafür etwas strecken. Seltsam sieht er aus, wie er da auf der Bank des Bushaltestellenhäuschens sitzt und sich nach oben reckt. Ich weiche zurück. Nicht vor Herrn Mu und auch nicht vor dem Bonbon, aber mich meinem eigenen Alter beugend. Seit etwa zwei Monaten kann ich nichts mehr lesen, was man mir direkt unter die Augen hält und ich möchte vor der Annahme des Guat´l, dem bayerischen Wort für Bonbon, sicher gehen, dass es keines von Ricola ist. Die mag ich nicht. Das in Herrn Mu´s Hand schon – Ingwer-Zitrone, die sind gut. Ich nehme es und sehe meinen Nachbarn eine Weile überrascht, sprachlos und erleichtert zugleich an. Als das Bonbon halb gelutscht ist, setzte ich mich neben ihn und stupse seine Schulter mit der meinen an. Er schmunzelt und stupst zurück. Hast gmoand, dass i g´storm bi, ha? fragt er mich und ich bin uncharmant ehrlich und nicke. Herr Mu war so viele Monate nicht mehr an der Bushaltestelle, dass ich tatsächlich schon geglaubt habe, dass er gestroben ist. Er schüttelt den Kopf. Noch nicht, er hätt noch etwas Zeit. Ich aber nicht, vermutet er und merkt an, dass das Wetter schön ist und ich es ausnutzen soll. Er und ich, wir würden uns jetzt wieder öfter sehen. Der Bus kommt und ich steige ein. Herr Mu winkt mir und ist wahrscheinlich erleichtert, meiner Rührung und meinen feuchten Augen zu entkommen.

Herr Mu ist wieder da und das ist die schönste Nachricht seit langem. Später an diesem Tag wird er mir erzählen, dass er sich den Oberschenkel gebrochen hat, länger im Krankenhaus war und anschließend auf Reha geschickt wurde. Mit dem Geschmack von Herrn Mus Hustenbonbon im Mund fahre ich eine Station und gehe dann in die Isarauen. Beschwingter als noch vor einer Stunde, weil es zur Zeit gute Begegnungen braucht, um den herrlichen Herbsttag zu genießen. Die Nachrichten machen einem zu schaffen und beim Wahlergebnis in Bayern möchte man (also ich) am liebsten die Hände über die Augen legen und wie ein kleines Kind glauben, dass es damit verschwindet. Die Welt brennt, seit ich sie betreten habe, aber manchmal kommen die Einschläge näher, treffen oder betreffen einen mehr. Im Moment zum Beispiel. Wenn mir alles zu viel wird, gehe ich gerne Wege, die ich in- und auswendig kenne. Hier ist es leicht, hier schob mich schon meine Mutter im Kinderwagen entlang. Die Sonne scheint durch die alten Buchen und es riecht… nach Kindheit. Hier ist es leicht, sich auf das Schöne zu konzentrieren. Zum Beispiel dem Hund, der meine Hand abschleckt, während ich mir die Schnürsenkel neu binde. Oder auf das München typische. Auf der Flaucherbrücke bleibe ich stehen und schaue auf die Kieselstrände der Isar und auf die Nackerten (die Nackten) die an diesem Fleck mitten in der Stadt ihr Revier haben. Und auch auf die kleinen Begegnungen, die sich in München und in München Giesing besonders oft ergeben kann man sich konzentrieren und den großen scheußlichen Rest kurz ausblenden. Auf dem Rückweg unterhalte ich mich ein paar Minuten mit einem älteren Mann, der mich nach der Uhrzeit fragte, eigentlich aber vermutlich nur Lust auf ein kurzes Gespräch hatte. Später, als ich die nackten Füße ein vielleicht letzes Mal dieses Jahr in die Isar halte, mit einer jungen Frau, die neben mir den gleichen Gedanken hatte. An solchen Nachmittagen ist es leicht die große Welt auszublenden und sich in der eigenen, kleinen treiben zu lassen.

In meiner kleinen Welt, laufe ich noch einmal zurück in den Biergarten und dann nach Hause, bzw. zur Bushaltestelle. Herr Mu sitzt noch dort und ich vermute, dass er die vergangenen Monate nachholen und sich auf den neusten Stand bringen möchte.* Ich halte ihm einen in Zeitungspapier eingewickelten Steckerlfisch** hin und strahle ihn wortlos an. Ob ich spinne, fragt mich Herr Mu und nimmt ihn nach kurzem Zögern und breitem Grinsen an. Mein Nachbar Herr Mu, kann sich Steckerlfisch nur selten leisten und schafft es in den letzten Jahren kaum noch in den Biergarten. Als er seinen Gelbeutel zücken will winke ich ab und nehme ihm dafür das Versprechen hab, sich jetzt erst mal nichts mehr zu brechen. Er nickt und schlägt das Papier zurück. Gut, würde das riechen und die Muschi, seine Katz, die wird sich freuen über so einen feinen Fisch. Grad will ich ihn fragen, ob er spinnt, der Katze vom Fisch zu geben, halte dann aber den Mund und schaue dem alten Mann nach, als er sich auf den Heimweg macht. In Herrn Mus kleiner Welt, wird alles geteilt. Die Bonbons mit den Nachbarn und der Steckerlfisch mit der Katze. Recht hat er, der Herr Mu. Mein schöner Nachmittag jedenfalls war geteilt gleich noch etwas schöner.

* Falls Sie Herrn Mu nicht kennen…er ist ein feiner und wichtiger Nachbar, der in meinen Erzählungen immer wieder auftaucht. Zu finden ist er meist an der Bushaltestelle. Dort wartet er nicht auf den Bus, sondern auf Leute, mit denen er sich unterhalten kann. Sollten Sie ihn mal treffen….unterhalten Sie sich mit ihm. Für Sie ist das mindestens so schön, wie für ihn.

** Ein Steckerlfisch wir von Wikipedia treffend beschrieben. „(Steckerl, bayerisch für „kleiner Stecken, Stab“) ist an einem Stab gegrillter Fisch, eine Spezialität aus dem bayerischen Alpenvorland und Oberösterreich. Er hat nichts mit dem getrockneten Stockfisch zu tun.“

27 Gedanken zu “Steckerlfisch für Herrn Mu

  1. Als ich die Überschrift las, dachte ich, Mitzi hat einen alten Text hervorgeholt, denn Herr Mu ist ja nicht mehr da. Welche Freude nun zu erfahren, dass er eben doch wieder da ist und das, was er hat und ist, mit der Welt teilen kann. Und du auch. Schön hast du das erzählt. Sätze wie „Beschwingter als noch vor einer Stunde, weil es zur Zeit gute Begegnungen braucht, um den herrlichen Herbsttag zu genießen“ oder „Hier ist es leicht, sich auf das Schöne zu konzentrieren“ treffen genau, was ich tue: mich auf das Schöne konzentrieren, gute Begegnungen suchen…. Was die Brände der Welt angeht – ja, wenn man nicht aufmerksam auf das Schöne und Liebenswerte im Alltag ist, können sie einen leicht zu Asche verbrennen.

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    1. Ich bin auch sehr, sehr froh, dass Herr Mu wieder da ist. Bei meinen häufig schon älteren Protagonisten ist das ja leider nicht selbstverständlich.
      In deinen Beiträgen, Gerda, finde ich mich oft wieder. Ich mag deine offenen Augen für das Schöne und gerade wenn um uns herum die Brandherde mehr werden, ist es nötig auf glitzerndes Isarwasser bei mir oder in herrliche Katzenaugen bei dir zu blicken.

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  2. Wie schön, dass der Herr Mu noch im Mitziversum präsent ist!
    Und gut, dass du Strategien und Gelegenheiten hast, mit dem Elend in der Welt umzugehen. Etwas Selbstfürsorge und immer wieder Freundlichkeit anderen gegenüber – auf eine gewisse Weise hält man damit gegen die, die so bereitwillig Angst und Hass verbreiten.

    Wir wählen ja ebenfalls gerade und ich hoffe wie jedes Mal, dass die Sozialen die Unsozialen endlich überrunden werden (unwahrscheinlich) oder wenigstens die Unsozialen nicht noch mehr Übergewicht bekommen als sie schon haben. Nach Wahlsonntagen brauche ich auch oft Selbstfürsorgemomente.

    Ja, und weil der Tag zwar noch sehr sommerlich war, der Abend aber eher frühherbstlich ausfällt, wickle ich mich wohl besser erst in eine warme Decke, bevor ich mein Eis esse… 😁
    Das mit dem Ricola verzeihe ich dir natürlich – aus falsch verstandenem Nationalstolz müsste ich ja tödlich beleidigt reagieren! – weil du so allerliebste Geschichten schreibst.

    Einen wunderbaren und friedvollen Abend wünsche ich dir!
    Eva

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    1. Hoppla, liebe Eva, da habe ich mir ja etwas geleistet mit den Ricola Bonbons. Ich bin sehr froh zu hören, dass du mir verzeihst. Und sicherheitshalber schiebe ich schnell noch hinterher, dass ich schweizer Schokolade liebe und das Schweizerdeutsch für mich ganz wunderbar klingt. Zum Glück spreche ich privat bayerisch und verstehe es daher meistens ganz gut. 🙂
      Wollen wir für die Wahlen bzw für die Zeit danach das Beste hoffen. Der unsoziale und rechte Flächenbrand betrifft ja leider ganz Europa.

      Einen schönen und gemütlichen Sonntag und viele Grüße
      Mitzi

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      1. Keine Sorge, liebe Mitzi, auch wenn ich die Bonbons von Ricola tendenziell gerne mag, so finde ich beispielsweise belgische Schokolade (und so manche deutsche Süssigkeit!) noch viel leckerer…
        Und weil wir uns nun weder auf Bayrisch noch auf Schweizerdeutsch bekriegen müssen, könnten wir stattdessen die (guten) braunen Bonbons probehalber mal in die bösen braunen Leute stopfen – vielleicht, wenn sie ganz viel Zucker geschluckt haben, werden sie wieder wie die süssen kleinen Kinder, die sie vermutlich einst waren…

        Zuckersüsse Grüsse
        Eva

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      2. Das wäre eine wirklich schöne Vorstellung. Dafür würde ich gerne jede Menge der entsprechenden Bonbons spenden.

        Liebe Grüße aus dem nebligen (und dadurch schön herbstlichen) München

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  3. Die beste Nachricht des Tages ist, dass Herr Mu lebt. 💛 Und Herr Mu hat das Leben mit seinem Grundsatz des Teilens verstanden. Ach, Mitzi, danke für diese schöne Nachricht und deine schönen Zeilen, die sorgsam und vorsichtig um sie herum gewebt wurden.

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  4. Wie schön, Herr Mu ist wieder da und dir Anlass für einen Text, der mir das Herz wärmt. Und richtig ist, wenn du dich auf das Naheliegende, Vertraute besinnst, liebe Mitzi. Es ist der einzige Berich, in dem wir handeln können. Davon darf man auch mal beunruhigende und entsetzliche Nachrichten ausschließen.

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  5. Freut mich sehr, dass Herr Mu zurück ist.
    Ich hatte während Corona Kontakt zu einer Nachbarin, deren Hofabschnitt an unseren grenzt. Eine Mauerblume, die bisweilen mit blutigem Zahnfleusch spricht. Lange Zeit hat sie mich gar nicht mehr wirklich kennen wollen. Weiß nicht wieso. Es ging ihr bestimmt auch nicht gut. Jetzt hab ich ihr über die Strasse geholfen, klapprig wie sie war. Sie hatte eine Kopf-OP, zwei Tumoren wurden entfernt. Und ich hab unsere Hilfe angeboten. Da Hat sie sich sehr gefreut; und ich mich auch.
    Man braucht solche kleinen Begebenheiten dieser Tage. Man könnt verzweifeln.
    Und ja, ich find das bayrische Wahlergebnis auch zum Heulen. Aber tröstlich ist es, dass es auch viele andere gibt 🙂
    Dank Dir sehr.

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    1. Ja, das sind die Begebenheiten die einen freuen. Helfen zu dürfen ist etwas, das dazu gehört. Es ist sonst einfach zu traurig jemanden zu sehen, dem es nicht gut geht, dem man aber nicht ansprechen soll oder darf. Und auch für die Nachbarin ist es sicher beruhigend zu wissen, dass nicht weit weg jemand ist, bei dem man sich melden kann, wenn man Hilfe benötigt.

      Liebe Grüße und danke fürs Teilen. Ich freue mich auch lesend über solche Begegnungen.

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  6. Leider wird das Ausblenden der großen
    und der hiesigen Welt immer schwerer.
    (auch Hessen hat gewählt – aber die
    diversen Kriege machen mir mehr
    zu schaffen…) 🙄

    Wie ist denn zur Zeit der Tarif für Steckerlfisch?

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    1. Geht mir leider auch so, dass das Ausblenden gerade sehr schwierig ist.

      Ich weiß jetzt leider gar nicht mehr welchen Fisch und welches Gewicht ich hatte. Aber bei der Fischer Vroni im Schnitt zwischen 11 und 14 Euro würd ich sagen. 🙂

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  7. …und immer hab ich noch nie steckerlfisch gegessen, obwohl es den bei uns auch ab und an wo gibt. naja, die zeit wird kommen.

    „Die Welt brennt, seit ich sie betreten habe, aber manchmal kommen die Einschläge näher, treffen oder betreffen einen mehr.“ oh ja…

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    1. …probier ihn bei Gelegenheit. Ich find er hat was, das mit der Welt versöhnt. Oder, wenn man kein Tier essen mag, dann etwas das nach Kindheit schmeckt. Das hilft auch ein bisschen.

      Ganz liebe Grüße
      Mitzi

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      1. Ich esse meistens nur das Fleisch. Die Haut..da kommt es auf den Fisch an, würde ich sagen. Zum Glück darf man den Steckerlfisch zerzupfen und auch mit den Fingern zerpicken. Ihn „schön“ zu essen, würde mich überfordern. 🙂

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      2. 😀 Good to know! Ich mag es an sich einfach nicht so, wenn das Tier als Ganzes bei mir landet, mit Augen und allem drum und dran.. nicht weil mir dadurch bewusst wird, dass es ein Tier ist, sondern weil ich das Herumkletzeln an meinem Essen nicht mag ^.^

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  8. Ja, das mit dem Ausblenden ist schwer. In Sachsen wird nächstes Jahr geählt. Das bereitet mir Bauchschmerzen. Unser MP ist nicht so laut wie Eurer, dafür doof. (Sorry, ein anderes Wort fällt mir zu ihm nicht ein) Nun werde ich nach Sachsen- Anhalt ziehen bevor in Sachsen gewählt wird. Aber da ist es auch nicht besser. Nirgends scheint es dezeit besser zu sein

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    1. Das ist leider das schlimme….es ist in fast allen (oder allen) Bundesländern so. Und wenn man weiter schaut, auch in anderen EU Ländern.
      MP die laut und doof sind. Beides bereitet Bauchschmerzen.

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