Ein paar der schönsten Erinnerungen meines bisherigen Lebens verbinde ich mit Elba. Die kleine Insel bedeutet mir viel und obwohl ich seit meinem letzten Abschied vor vielen Jahren nie wieder zurück kam, bin ich überzeugt, sie noch heute noch gut zu kennen und weiß zugleich, dass ich dort nicht einmal mehr die Strände auseinander halten könnte. Ich kenne Elba so wie es war, als ich gerade meinen zwanzigsten Geburtstag gefeiert hatte. Mein Elba ist untrennbar mit einer Handvoll Menschen verbunden, die damals dort lebten und die heute alle nicht mehr dort sind. Die mir damals vertrauten Bekannten, die vielleicht noch dort sind, würde ich nicht mehr erkennen und selbst wenn, wären sie mir alle fremd geworden. So fremd wie mir Verona war, als ich nach vielen Jahren dorthin zurückkehrte und mir sicher war, dass sich vielleicht Läden und Restaurants geändert haben, aber ganz sicher nicht das Gefühl, das ich über all die Jahre mit dieser Stadt verbunden habe. Als ich vor einigen Jahren das erste Mal wieder in Verona stand, waren sie sofort wieder da – die Gefühle von damals. Allerdings nicht jene, die ich als schöne Erinnerungen gespeichert hatte. Zurück war nur ein Gefühl, jenes der festen Überzeugung zum falschen Zeitpunkt zurück nach München gegangen zu sein und das der verpassten Chancen.
Verona ist nah. Mit dem Auto fünf Stunden. Nah genug für ein Wochenende und perfekt gelegen um die Urlaube dort zu verbringen. Fünfzehn Jahre lang bin ich damals trotzdem nicht zurückgekommen. Nicht ein einziges mal. Die Herzensheimat vor der Türe habe ich es vermieden sie aufzusuchen. Die Bildbände „meiner“ Stadt im Regal immer etwas nach hinten geschoben und alte Fotos im Karton ganz bewusst nicht angesehen. Zu präsent war die letzte Erinnerung an meine Stadt. Ein Balkon im Spätsommer. Zwei Balkone. Meiner und schräg darüber der des mutigsten meiner Freude. Meiner ist in der Erinnerung bereits leer, weil ich gerade ausgezogen war, auf dem seinen steht er. Rauchend und kopfschüttelnd, weil es schwer zu glauben ist, dass ich zurück nach München gehe. Kein Winken, weil wir uns ja wieder sehen würden. Ganz bald, auf dem oberen der Balkone. Als ich die Balkone fünfzehn Jahre später wieder sah war auch er ausgezogen.
Die Rückkehr nach Verona tat weh. Ich kam zurück und hatte das Gefühl, dass ich mir die letzten fünfzehn Jahre hätte sparen können. Nicht gänzlich, aber doch einiges. Es war sinnlos sich darüber Gedanken zu machen und als ich über den Brenner fuhr, ging es mir bereits wieder gut. Und doch, hing über dem ersten Besuch die dunkle Wolke in der sich die Frage versteckte, was gewesen wäre, wenn ich damals nicht Hals über Kopf zurück nach Deutschland gegangen wäre. Es war aussichtslos darauf eine Antwort erhalten zu wollen. Tagelang lief ich durch meine alte Stadt und erst am letzten Morgen, stellte sich langsam ein besseres Gefühl ein.
Warum ich nicht eher zurück kam, möchte Roza wissen und reißt mich aus meinen Gedanken. Ich kann es ihr nicht sagen. Bis heute kann ich nur vermuten, dass mir das Leben dazwischen kam. Das und die Unfähigkeit, sich mit einem Fehler auseinander zu setzen. Roza sagt lange nichts, dann nickt sie. Da sie sich über zwanzig Jahre Zeit gelassen hat, sei dann wohl ein Zeichen dafür, dass sie noch dümmer ist. Ich zucke mit den Schultern. Das oder noch etwas mehr Leben in den letzten zwanzig Jahren.
Vielleicht muss es so sein. Wichtig ist am Ende doch nur, dass man irgendwann zurückkommt und die unschönen Gefühle aushält. Aussitzen und ehrlich auf das zurückblicken, was schief gelaufen ist. Roza und ich machen es am Meer. An einem Strand an dem wir beide noch nie waren. Ich fühle mich wohl. Sehr wohl. Aber ich habe mich mit all dem, was ich mir damals in den fünfzehn Jahren hätte sparen können, bereits ausgesöhnt. Roza braucht vielleicht noch ein bisschen. Aber sie macht es gut. Seit über eine Stunde läuft sie am Strand auf und ab und telefoniert. Langsam dämmert mir, warum sie damals ging und nicht mehr zurück kam. Ein dummer Grund. So dumm wie der meine, ein paar Jahre später.
Noch immer haben wir uns nicht viel erzählt und noch immer reden wir viele weniger als früher. Aber wir lächeln immer öfter im gleichen Moment. Vermissen beide das man das „wu wu wu“ (www) nicht mehr extra ausspricht, weil es uns früher immer zum Lachen brachte, wenn im Radio Internetadressen vorgelesen wurden. Und…und das ist das Wichtigste…am Ende unserer Woche am Meer grämen wir uns nicht über zwanzig verpasste Jahre. Das Leben kam uns dazwischen. So was passiert und ist nichts, das sich nicht mit einem Teller Acciughe heilen lässt, meint Roza und besteht darauf, dass diese Einsicht etwas mit beginnender Altersweisheit zu tun hat. Naja…
Zum Glück hast du kein herausragendes Talent zur Selbstzerfleischung, zumindest merkt man nichts davon 😉
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👍😉
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Wie perfekt wären wir alle, wenn wir keine Fehler machten??? – Zum nicht aushalten, denke ich.
Gruß zu dir
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Ich bin ja immer froh, wenn andere auch welche machen. Und letztendlich….wer sagt schon was falsch und richtig gewesen ist 🙂
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Eben. Italien zu verlassen schien vermutlich damals richtig, im Nachhinein betrachtet kann das anders aussehen. (Ich hätte auch manche Dinge anders gemacht, wenn ich mich getraut hätte.)
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Ganz genau. Es ist wie es ist, aber na h dem Treffen in Verona, hab ich nach all den Jahren doch kurz damit gehadert. Rückgängig würde ich aber nichts machen. 🙂
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Wenn es Altersweisheit ist, dass man alles mit einem gefüllten Teller heilen kann, dann Gnade Ganesha (oder ein anderer Gott, der stark genug wirkt) unseren Pflegern. Ich sage das neben einer nicht mehr vollständigen Tafel Schokolade, nur um die umfassende oder umfängliche Tragweite anzudeuten. Aber was die Erinnerung an das, was ist und was war und was gewesen sein könnte angeht – es ist ein unendliches Thema (irgend einer meiner Beiträge handelt doch davon, meine ich?), in dem man sich verlieren kann. Jede Sekunde passieren Entscheidungen. Über uns und von uns. Die jeden anderen Weg versperren. Alles andere kann, muß aber nicht, in Parallelwelten geschehen (z.B. im großen, im unendlichen Reich der Phantasie). Es ist wundersam und erbaulich, diese in Form von Stippvisiten zu besuchen. Aber auch hier die Warnung: es gingen schon Wanderer zwischen und in diesen Welten verloren.
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Steppvisiten kann man sich erlauben. Auch mal nachtrauern und bedauern. Aber letztendlich ist es wie es ist und so manche falsche Entscheidung ist am Ende vielleicht doch die richtige gewesen. Wissen werden wir es erst am allerletzen Tag 🙂
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Gefunden, deshalb nochmal: Ich darf dem Leben, das ich hätte haben können, nicht hinterhersehen! (Kap. 5) https://petrastextzeit.wordpress.com/2022/08/24/615-ich-darf-dem-leben-das-ich-hatte-haben-konnen-nicht-hinterhersehen/
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Danke für den Link…und ja, du hast völlig Recht. Dem Leben nachblicken, bringt nichts, ändert nichts und ob man es im nächsten besser machen würde, ist fraglich.
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Anders. Und dann sagte man: hätte ich nur!
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Traurig und sehr schön. Und ich kann so gut folgen, wie die Erinnerungen sich unterscheiden nach so vielen Jahren „fremd“. Ja, es ist gut , man kann sich aussöhnen. Mein Fehler hat 18 Jahre gedauert. Der Weg hätte so anders sein können. Egal. Wie es heute ist, ist´s gut.
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Solche “Fehler” sammeln sich wohl in jedem Leben.
Solang man sich mit dem Jetzt-Zustand versöhnen kann, gehören sie wohl dazu bzw. kann/muss man mit ihnen leben.
Liebe Grüße
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