Schwabinger Bombennacht

Als vor zehn Jahren in Schwabing eine alte Fliegerbombe gefunden und später zur Explosion gebracht wurde, stand einer von denen die aus ihren Wohnungen evakuiert wurden, vor meiner Haustür. Es war früher Nachmittag und er trug T-Shirt und Pyjamahose. In den Händen sein Telefon, Schlüsselbund und Geldbeutel. Auf den Lippen ein Grinsen. In der Regel reichte das. Das Grinsen für mich und Schlüssel und Geld für eine kurze Evakuierung. In München werden oft Bomben gefunden und meist können die Bewohner schnell wieder zurück in ihre Wohnungen. Diesmal nicht. Dass es länger dauern könnte hatte man wohl angedeutet und wäre er nicht, dank vorheriger Nachtschicht aus dem Tiefschlaf gerissen worden, hätte er vielleicht eher nach anderen Schuhen und nicht nach einer Flasche Wein gegriffen, als er von Polizei und Feuerwehr begleitet in sein Auto stieg. So stand er zerzaust, in Flipflops und übermüdet vor meiner Türe. Sein Grinsen reichte nicht und meine Tür blieb zu. Sie blieb verschlossen wärend ich abends im Radio von 3.000 evakuierten Personen hörte, die Bilder des abgesperrten Areals in den Nachrichten sah und als es dunkel wurde von Notunterkünften in Schulen las. Erst als klar war, dass in dieser Nacht gar nichts mehr passieren würde ging ich ins Treppenhaus und setzte mich neben dem, der dort noch immer wartete. Nicht weil ich ihn sehen wollte – das ganz sicher nicht. Nein, einzig aus der Sorge, dass er im Laufe der Nacht beginnen würde das Adressbuch seines Telefons zu durchforsten und bei irgendeiner anderen Frau Unterschlupf finden würde. Ohne die Bombe in Schwabing vor zehn Jahren wäre das mit uns wahrscheinlich nichts mehr geworden. Wenigstens wir profitierten. Das wunderbare alte Schwabing rund um die Feilitzstraße nicht. Ein Teil von ihm wurde in dieser Nacht gemeinsam mit der Bombe zerstört.

Er sagt, es geht ihm nicht nah. Zehn Jahre sind lang und irgendwann hätte er sich damals eh nach einer anderen Wohnung umgesehen. Ich glaube ihm nicht. Dass er die Wohnung gewechselt hätte, das schon, aber das ihm die Geschichte mit der Bombe nicht nah geht, das nehme ich ihm nicht ab. Eine seltsame Nacht war es damals. Wir beide noch längst kein wir. Einer der glaubte mit einem Grinsen und einer Flasche Wein jedes Problem lösen zu können und eine, die so verliebt war, dass man sie mit einem Stirnrunzeln und einem Schulterzucken ins emotionale Chaos stürzen konnte. Diese unfertige Wir saß auf dem Sofa, kaute Pizza und hatte sich nicht viel zu sagen. Auch am nächsten Tag nicht, als er noch immer nicht in seine Wohnung konnte und selbst dann nicht, als wir nicht wirklich verstanden warum auch nach über 30 Stunden gesprengt und nicht entschärft wurde. Er sagte nichts, weil seine Wohnung direkt neben dem Fundort lag und ich blieb still, weil ich mir nicht vorstellen konnte wie man eine Bombe sprengen wollte ohne das das Haus direkt daneben in Schutt und Asche gelegt wird. Nur mit der Zunge schnalzte er, als er die Bilder des Feuerballs im Internet sah und atmete ein paar Mal tief ein und aus.

Niemand wurde damals verletzt und die Feuer die damals nach der Explosion entstanden schnell gelöscht. Er konnte nach drei Tagen, nach Statikern, Gutachtern und Versicherungsmitarbeitern zurück in seine Wohnung, erzählte er mir später. Sehr viel später, denn wir sahen uns nach der Nacht lange nicht mehr. Jahre später stand er wieder in Flipflops vor meiner Tür und grinste. Schon wieder eine Bombe, fragte ich ebenfalls lachend und er schüttelte den Kopf. Nur ausgesperrt. Wir holten uns eine Pizza und redeten über belanglose Dinge, an diesem Tag aus Langeweile, weil es nett zusammen war und weil wir uns plötzlich doch etwas zu sagen hatten. Seit dem haben wir uns eigentlich immer etwas zu sagen und an Tagen wo es nichts zu reden gibt, geht es uns auch ohne Worte gut. Nur über seine alte Wohnung redet er nicht gerne. München hat in der Bombennacht ein Stück des alten Schwabings verloren. „Schwabing ist kein Ort, sondern ein Zustand“, schrieb Franziska Gräfin zu Reventlow um 1900. Das blieb es bis ihm die Gentrifizierung den Gar aus machte. Ich persönlich glaube, dass es mit dem Abriss der Schwabinger 7 (eine Kneipe die der Oberbürgermeister Münchens mal als „Saufkneipe in einer ehemaligen Baubaracke“ bezeichnete) begann. Ein Jahr vor dem Bombenfund. Danach aber ging es schnell. Fast alle alten Läden dieses Straßenzuges sind verschwunden und mit ihnen der Flair, der die Straße ausmachte. Wirklich schön war sie nicht, aber als ich als Teenager anfing abends noch unterwegs zu sein, war ich oft dort. Weil´s halt Schwabing war. Weil da immer was los war und natürlich weil meine Eltern die dortigen Kneipen zum Sperrgebiet erklärten. Jetzt ist dort alles anders. Zum Teil wegen der Schäden nach der Explosion, zum Teil weil sich das Publikum im Zuge von Neubauten änderte. Das neue Altschwabing können sich die alten Schwabinger nicht mehr leisten. In vielen Vierteln ist das so. Aber nur in Schwabing wurde ein Teil des „alten Münchens“ wortwörtlich in die Luft gejagt. Wenn schon sterben, dann so, sagt einer der seine alte Straße noch immer sehr vermisst. Pizza, fragt er und ich nicke. Ja bitte, aber vom Nimo. Der hat seinen Laden bei mir im Viertel und der lässt sich seit Jahren nicht vertreiben. Ich hoffe inständig, dass nie eine Bombe in der Nähe gefunden wird. Hier in Giesing lauert die Gentrifizierung nämlich auch seit Jahrzehnten und langsam wirds eng mit dem echten München.

11 Gedanken zu “Schwabinger Bombennacht

  1. Für mich ist Schwabing schon sehr lange gestorben, das Schwabing, das ich immer besuchte, wenn es mir in Tübingen , wo ich studierte, zu eng wurde, also eigentlich immer. Das war 1961-63. Als ich es später wieder sah, erkannte ich es nicht mehr. Ich fand mich überhaupt nicht mehr in München zurecht. Schuld war die U-Bahn. Von der Straßenbahn aus kannte ich München. Nun aber wurde ich zum blinden Maulwurf.

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    1. Leider kenne ich dieses Schwabing nur aus Erzählungen. Wie anders und um wieviel bunter muss es gewesen sein, wenn ich schon das zwanzig Jahre später vermisse. Die Straßenbahn gibt es aber noch. Oder wieder. Ein großes Glück!

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  2. Es gibt unspektakulärere Anlässe, bei denen man sich kennen lernen kann – aber wenn es das Schicksal so will.
    Ich weiß nicht, warum ich mich (nicht nur bei dir) in Blogs immer und immer wieder anmelden muss und nicht liken kann – aber das liegt nicht an dir.
    Grüßlis von mir

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  3. Ich habe die Geschichte damals in München nicht verstanden. Hier werden auch oft Bomben gefunden, aber „kontrolliert“ gesprengt wird eigentlich nur, wenn keine Gebäude in der Nähe sind. Das Thema Verdrängung kennt glaube ich jeder aus seiner Stadt. Alt-Bockenheim, Bornheim oder Sachsenhausen sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Die Wohnungen inzwischen unerschwinglich. Zuerst aber stirbt die Kultur, die alten Jazzkeller, Kneipen oder Biergärten…leider.

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    1. Ich kann mich erinnern, dass wir das damals anfangs auch nicht ganz verstanden haben. Erst später durch die Berichterstattung haben wir mitbekommen, dass es wohl keine Alternative gab. Die Gefahr, dass das Ding hochgeht, weil der Zünder nicht entschärft werden konnte, war zu groß. Gestern sah ich mir die Bilder noch mal an. Das war eine mächtige Explosion.
      Ja, erst die Kneipen, dann die Wohnung dann die Wohnungen. Traurig.

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  4. Wieder einmal dachte ich, ich hätte schon mal was dazu geschrieben… Na, der Mensch denkt, die Algorithmen lenken! Jedenfalls bin ich froh, wenn ich recht weit von so einer Bombe bin. Sowas kann, dem Hörensagen nach, höchst unerfreulich sein. Aber, ebenfalls gehört: die Dinger werden nicht weniger, eher mehr. Da ist’s dann schon Wurst, ob man in Schwabing, auf dem Maidan – Platz zu Kiew oder auf dem Basar in Aleppo steht. Und wird froh sein, wenn man noch mal rechtzeitig wegkommt, und sei’s im Schlafanzug, und jemand macht einem die Türe auf.

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    1. Ja da sagst du was Richtiges. Diese Dinger werden immer mehr oder zumindest nicht weniger. Und dabei sollte man meinen, dass wir in den letzten hundert Jahren kapiert hätten…ach ne, haben wir la leider nicht. Dein letzter Satz greift soviel mehr auf, als nur den, der da bei mir stand. Liebe Grüße

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