Der, auf dessen Wein ich heute besser verzichte, steht hinter mir und blickt auf das Chaos meines Schreibtisches. Lange sagt er nichts, dann schiebt er ein paar Blätter zur Seite, streift mit den Fingern durch die losen Seiten und schüttelt dann den Kopf. Wann die nächste Lesung sei, erkundigt er sich und verdreht die Augen bevor ich antworten kann. Ich weiß, dass er die Antwort lieber nicht hören möchte. Obwohl das Gelingen oder Misslingen einer meiner Lesungen nicht in seinen Verantwortungsbereich fällt, ist er es, der das Chaos meiner Vorbereitung regelmäßig ertragen muss. Ein Chaos, nennt freilich nur er es. Ich selbst habe mittlerweile eine eingespielte Routine und empfinde nichts von dem was ich auf dem Schreibtisch ausgebreitet habe als unübersichtlich oder gar unfertig. Ganz im Gegenteil. Für die Lesung aus dem Buch “Nix mit Amore” habe ich mich schon vor dem aller ersten Mal dazu entschlossen, nicht direkt aus dem Buch zu lesen, sondern die entsprechenden Kapitel auf DIN A4 Seiten auszudrucken. Anfangs noch unsicher hatte ich so die Möglichkeit, die Überleitungen und die Teile, die ich freisprechen möchte, zwischen die einzelnen Kapitel zu schreiben und mir so die Möglichkeit zu geben, bei einem Hänger auch diese Teile abzulesen. Das musste ich bisher nie, aber für mich ist es beruhigend und ich fühle mich damit wohler. Nach jeder Lesung aus dem Buch habe ich einzelne Sätze gestrichen, etwas Neues am Rand angemerkt und bestimmte Passagen mit dem Leuchtstift hervorgehoben. Manchmal habe ich mir sogar notiert, dass ich das Luftholen nicht vergessen soll. Sie ahnen gar nicht wie wichtig Pausen sind, bevor sie das erste Mal den Unterschied in der Reaktion der Zuhörer sehen. Während ich einmal tief durchatmen oder einen Schluck Wasser trinken kann, können die das gleiche nämlich auch tun und haben die Möglichkeit zu lachen ohne mir ins Wort zu fallen.
Auf den einzelnen Blättern steht ganz oft das Wort Pause, wenn es eine Lesung mit Unterbrechung oder manchmal mit einem Dreigängemenü gab. Genauso oft wie das Wort von mir handschriftlich eingefügt wurde, wurde es auch wieder durchgestrichen, da die Pausen bei fast jedem Veranstalter andere sind. Mein Manuskript ist mit jeder Lesung vollständiger, runder und besser geworden. Das sage ich ihm und erkläre, dass ich es mittlerweile fast gar nicht mehr brauche, da ich die Kapitel auswendig kenne. Er nickt, schmunzelt und meint, dass das auch bitter nötig sei, denn lesen könne ich in diesem Geschmiere vermutlich kaum noch etwas. Das ist natürlich völliger Blödsinn, denn bei einer Lesung kann das Publikum erwarten dass ich genau das einen Teil des Abends auch mache und natürlich tue ich es. Ich lese genau die Stellen, die weder durchgestrichen, noch mit Tipp Ex übermalt sind. Es sieht ja keiner mein Manuskript. Und genau das ist der Punkt der den Mann an meiner Seite Sorgen bereitet. Sollte mein Manuskript jemals jemand sehen, müsse er mich zwangsweise für völlig bekloppt und nebenbei auch noch für einen Legastheniker halten. Handschriftlich würde ich noch mehr Buchstaben bei Worten weglassen als ich es bei den getippten Nachrichten schon machen würde. Überhaupt, merkt er an, würde er darüber gerne einmal mit mir sprechen. Für jemanden, der sich mit Leidenschaft Worten und Sätzen widmen würde, sei meine Interpunktion so grausam und so lieblos, dass er gute Lust hätte, mir einen Großteil meiner E-Mails oder Nachrichten korrigiert zurück zu schicken. Das könne er, werfe ich ein, gerne machen, dann aber bitte nicht handschriftlich. Er ist nämlich absolut das Klischee des Arztes, dessen Handschrift schlicht und einfach nicht zu entziffern ist. Und das ist etwas, dass ich nun wieder für brandgefährlich halte. Schließlich ist es nicht ganz unwichtig was ein Arzt sich so für Notizen macht. Genervt wird winkt er ab. Wir diskutieren ein wenig und weil es sich mit einem Schluck Wein besser diskutieren lässt, befindet sich auf meinem Manuskript jetzt auch noch ein rosa Wasserrand. Der bringt Glück, behaupte ich und der Mann an meiner Seite verdreht die Augen. Ich vermute dass er sich nicht weiter dazu äußert, weil er weiß, dass ich ohne dieses mittlerweile drei Jahre alte Manuskript vor einer Lesung unglaublich nervös wäre, mit ihm aber mittlerweile ganz ruhig und entspannt in den Abend gehe. Vielleicht ist es eine Art seltsamer Glücksbringer, dass ich diese so viel bearbeiteten Seiten noch immer nicht ausgetauscht und erneuert habe. Ihm verrate ich es nicht, aber er hat tatsächlich recht. Das Maximum an Änderungen, Streichungen und Ergänzungen ist erreicht. Ich fand gerade noch Platz für den Namen Petra. Mit ihr werde ich die nächste Lesung nämlich gemeinsam bestreiten. Sie ist für die Musik zuständig und ich für die Worte. Damit ich ihr genügend Raum gebe habe ich ihr Namen überall dort in das Manuskript geschrieben wo das nächste Lied gespielt wird. Ich hoffe wir treten ganz oft gemeinsam auf, denn streichen kann ich ihren Namen unmöglich. Nicht in diesem Manuskript. Es ist schon jetzt übervoll. Perfekt ist es trotzdem. So voll an Erfahrungen, spontanen Eingebungen und schönen Erinnerungen, wie die Zeit in der das Buch spielt aus dem ich lese. Und jetzt entschuldigen Sie mich, ich brauche einen anders farbenen Leuchtstift, sonst übersehe ich Petras Einsatz morgen Abend.
Der, der ab und zu mit einer Flasche Wein vor meiner Tür steht wird künftig übrigens nichts mehr über meine Manuskripte sagen. Vorhin entdeckte er auf meinem Schreibtisch eine kleine Erzählung, die ich nie veröffentlicht, aber schon sehr oft gelesen habe. Den Seitenrand kann man fast nicht mehr erkennen. Viel zu oft habe ich dort immer wieder neu versucht die richtigen Worte zu finden um sein Schmunzeln, das das Schönste auf der ganzen Welt ist, richtig zu beschreiben. Sinnlos steht ganz unten und “Sie müssten es sehen um zu begreifen, warum ich es so mag.” Heb das auf sagt er, streicht über die voll geschmierten Seiten und schmunzelt.
Nachtrag: es war übrigens ein wunderbarer Abend mit Petra. Sinnlos ihnen die Schönheit ihrer Musik zu beschreiben. Sie müssten sie selbst hören.

Und das waren nur die Rahmenbedingungen deiner Lesung. Jetzt fehlt mir der Rest, die Musik, das Publikum, der Text und deine Stimme.
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Ich wünschte, ich hätte die Musik. Während der Lesung war ich selbst so hin und weg, dass ich am liebsten Petra einfach weiter zugehört hätte.
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… nichts ist wie es war… aber Liebe… zum Wort, Versprechen oder zum träumen… öffnet Lebensräume… Saugrobotter ausschalten und mal selbst geistige Spinnweben wegwischen *g*
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🙂 Ein ganz wunderbarer Satz
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Hab ich sehr gern gelesen. Nun weiß ich auch, wie man eine gelungene Lesung vorbreitet. 😉 Gut zu wissen, Für alle Fälle 🙂
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Ob das Leitfaden gilt mag ich bezweifeln 😉 Bei mir scheint es aber zu klappen. 🙂
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🙂 😉 Mir kommt deine Methode entgegen…
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Haha, liebe Mitzi, da du uns ja immer mal Kostproben deiner Handschrift bietest, wäre ich wirklich gespannt, welche von euren beiden ich besser oder schlechter lesen könnte. Du hättest bei mir große Chancen, an zweiter Stelle zu liegen.
Ansonsten – was hat er sich in deine Manuskripte einzumischen – Vorlesen ist einzig und allein deine Sache – sagt Clara
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So ist es ;).
Meine könntest du natürlich besser lesen – ich forme (wenn auch arg verschnörkelt) Buchstaben. Er dagegen…lassen wir das 🙂
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Oh, das mit den vielen Änderungen, Streichungen, farbig leuchtenden Hervorhebungen, dick gemalten Ausrufezeichen und Notizen auf Lesemanuskripten kenne ich. Du hast das so toll beschrieben, liebe Mitzi… Ich laminiere meine Blätter, um so darauf mit dünnen farbigen Eddinglinern Änderungen vorzunehmen, die ich immer wieder nach Bedarf auswischen kann.
Viele liebe Grüße aus dem Süden vom alten Mann und dem Meer….
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Das ist eine ganz wunderbare Idee, lieber Lo. Ich bin froh, dass es anderen auch so geht. Und letztendlich funktioniert es ja auch.
Ganz liebe Grüße zu dir und zum Meer.
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🖐🖐😊
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oh ich wär zu gern dabei gewesen ❤
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Die hätte dir glaube ich auch gefallen. Petra Lewi hat bekannte italienische Lieder so schön und so anders interpretiert…ich war selbst ganz hin und weg.
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❤ oh das klingt echt toll!
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💚
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Irgendwie und sowieso klingt das für mich auch nicht nach Chaos. Sondern nach guter, ja, nach professioneller Vorbereitung.
Allenfalls, ohne eine genaue Zeitangabe entdeckt zu haben, spüre ich einen gewissen Zeitdruck. Den mitsamt dem irgenwann aufscheinenden Lampenfieber man wohl braucht.
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Gut rausgelesen. Der Zeitdruck ist immer da. Also bei mir. Auch wenn ich es mittlerweile ganz gut einschätzen kann, ein bisschen Druck brauche ich. Genauso wie das leichte Lampenfieber. Ganz ohne würde ich wahrscheinlich schludrig werden und so ist mir immer bewusst, was für ein großes Glück ich habe, dass tatsächlich Gäste zu Lesungen von mir (von der sie zuvor noch nie hörten) kommen.
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Schöner Text. Schöne Fotos von schönen Frauen. Und ganz bestimmt war´´s ein schöner Abend!
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Ein sehr schöner 🙂
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Auch die Manuskripte berühmter Autorinnen oder Autoren wirken chaotisch, so dass es zu Zeiten des Buchdrucks eine große Herauisforderung war, daraus lesbare Text zu gestalten. Beim Lesen deiner Beschreibung deiner Mauskriptseiten wuchs in mir der Wunsch, sie einmal zu sehen, liebe Mitzi, wenn ich die Lesungen schon nicht besuchen kann, weil du den Weißwurstäquator grundsätzlich nicht überschreitest 😉
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Lieber Jules, da du meine schreckliche Handschrift und meine vielen ausgelassenen Worte, Buchstaben und Satzzeichen kennst, würde ich sie dir sogar jederzeit zeigen. Übrigens war ich gerade über dem Äquator – aber es passiert selten. Trotzdem weiß ich wem ich Bescheid geben werde, wenn es mich in Richtung seines Wohnortes zieht 😉
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