Spontan entschieden (Archiv 2016)

Wichtige Entscheidungen treffe ich gerne spontan, aus dem Bauch heraus und unter Missachtung jeglicher Aspekte der Vernunft. Nicht alle. Aber etwa ein Drittel der wichtigen Entscheidungen wird von mir ohne vorheriges Nachdenken getroffen. Mit siebzehn zum Beispiel beschloss ich, dass ein ganz bestimmter Mann mein zukünftiger Seelenverwandter werden würde, obwohl ich noch kein Wort mit ihm gesprochen hatte. Drei kleine Muttermale auf der linken Wange erinnerten mich an den Gürtel Orions und waren mir Zeichen genug. Mir ein sonnig gelegenes Grab unter den Nagel zu reißen, war eine ebenso spontane Entscheidung, wie die, mir den Mann mit Orions Gürtel auf der Wange zu schnappen. Beide waren zum Zeitpunkt der jeweiligen Entschlussfassungen noch belegt. Der Mann hatte seine damalige Freundin noch nachts neben sich liegen und im Grab lagen zwei Verstorbene.

Von fremden Gräbern hätte ich die Finger gelassen.  Das man aber Tante Mitzis und Onkel Michels Grab nach langen Jahren aufgeben wollte, behagte mir nicht. Ein letztes mal besuchte ich das Grab, weil ich mir die Geburtsdaten notieren wollte. Ich biss in einen mitgebrachten Apfel und fragte mich, was mit den möglichen Resten darin dann eigentlich geschieht. Man kann mir Pietätlosigkeit unterstellen, aber es interessierte mich einfach. Kauend rief ich die Friedhofsverwaltung an und fragte nach. Wenn Sie mich für unsensibel gehalten haben, dann rufen Sie mal in der Verwaltung am Westfriedhof in München an. Dort erklärt man ihnen – ohne dass Sie nach Details gefragt hätten – , dass es schon mal vorkommen kann, dass noch Oberschenkelknochen und Schädel auftauchen.  Man würde sie in der Erde lassen und den neuen Sarg darauf setzen. Ein fremder Kerl auf Tante Mitzis Oberschenkeln? Na, da würde sich der Michel bedanken. Wie viel eine Verlängerung den kosten würde, erkundigte ich mich und erfuhr, dass man in der Verwaltung jetzt Mittagspause machen würde. Fragen würden erst ab 13:00 Uhr wieder beantwortet werden. Am besten persönlich, es sei ja doch ein empfindliches Thema.

Empfindlich waren die dort nicht. Kennen Sie ein paar der alten Münchner Fernsehserien die in den Achtzigern im Vorabendprogram gelaufen sind? Vielleicht den Monaco Franze, die Polizeiinspektion 1 oder wenigstens alte Tatort Folgen? Falls nicht, müssen Sie sich keine DVD´s kaufen. Gehen Sie einfach in die Friedhofsverwaltung in der Baldustraße. Kulisse, Protagonisten, Mundart und sogar Kostüme sind dort hervorragend erhalten geblieben. Suchen Sie das Gespräch mit einem Herrn Bogner!

Ich: „Hallo.“
Bogner: „Grüß Gott!“ – mit strafender Stimme.
Ich: „Grüß Gott!“ – als Münchner hätte ich es wissen müssen. Noch dazu am Friedhof. „Ich möchte das Grab meiner Tante Mitzi kaufen.“
Bogner: „Weiß die das?“ – er sitzt mit dem Rücken zu mir und verspeist die Reste einer Leberkäs`Semmel.
Ich: „Ja, ich hab´s ihr gerad´ gesagt.“ – hätte er sich umgedreht, hätte er den missglückten Witz vielleicht verstanden.
Bogner: „Und? Was sagt´s, die Tante?“
Ich: „Nix. Sie liegt ja drin.“ – jetzt dreht er sich um und wischt sich umständlich den Mund mit einem Stofftaschentuch ab.
Bogner: „Wo liegt´s denn?“
Ich wusste es nicht und erntete einen strafenden Blick. Obwohl Computer auf den Tischen stehen, erhebt sich Herr Bogner leise schnaubend und schreitet eine Regalreihe mit Ordnern ab. Einmal geht er zurück zum Schreibtisch um seine Brille zu holen, einmal um sie wieder abzulegen. Ein drittes Mal kehrt er mit einem Ordner unter dem Arm zurück und wirft ihn krachend auf den Tisch. Er blättert recht langsam. So eine Münchner Leberkäsesemmel will erst mal verdaut werden.
„Jetzad´le!“,  sagt Herr Bogner, was so viel heißt wie, sieh einer an, da haben wir es gefunden, und kommt mit einem vergilbten Blatt Papier zu mir.
„Mihael und Maria Irsaj….Ausländer?“ Wenn einer wie Bogner das fragt, hat es nichts mit Rassismus zu tun, sondern entspringt einer etwas plumpen Neugier.
„Er. Jugoslawien. Sie nicht.“ Einem wie Bogner reicht das. Er nickt zufrieden und informiert mich über das was ich schon weiß. Das Grabnutzungsrecht ist vor vier Wochen ausgelaufen. „Drum will ich´s ja kaufen.“
„Na, na, na, na, na.“ Stottert er schnell und plötzlich munter, mit erhobenem Zeigefinger. „Kaufen können Sie hier gar nix. Nutzen, das können Sie.“ Er legt seine Hand auf die meine. „Brauchen´s aktuell an Platz? Des wäre schon wieder möglich. Locker, sogar!“ Er scheint sich zu freuen und hakt nach. „Hamma jemanden?“
Ich schüttle den Kopf. Im Moment erfreuen sich alle bester Gesundheit.
Fast scheint er enttäuscht zu sein und fügt ernst hinzu, dass sich das ja ganz schnell ändern könne. Urnen seinen übrigens auch möglich. „Liegt Ihnen des eher?“
„Mir schon, ja. Aber grad haben wir niemanden zum Beerdigen.“
„Kann schnell gehen.“ Der Herr Bogner. Ein echter Sonnenschein. Er informierte mich noch über das was erlaubt war und was man nicht durfte.  Das besondere Highlight hob er sich für den Schluss auf. „Den Grabstein, bekommen´s ganz umsonst. Den wollten die anderen nicht. Pietätlos, wenn´s mich fragen.“

Die „anderen“ war mein Großonkel und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was er mit dem Ding hätte anfangen sollen. Das Aufstellen im Vorgarten, erschien sogar mir pietätlos. Mit einem zweiten Apfel schlenderte ich zurück zu Tante Mitzi und setzte mich im Schneidersitz vor ihr Grab. Ihr vor die Füße, sozusagen. Da saß ich als Kind schon. Ich glaub es hätte ihr gefallen, mich noch immer dort sitzen zu sehen. Mir gefällt es jedenfalls und ich freue mich schon heute darauf, wenn der Vertrag abläuft. Hoffentlich ist dann Herr Bogner noch da.

11 Gedanken zu “Spontan entschieden (Archiv 2016)

  1. Liebe Mitzi,
    wie Du Deine Sorge damals geschildert hattest und heute nochmals teilst.
    Der Erinnerung an den Tod und die Grabpflege schickst Du eine Liebesgeschichte voraus.
    Wieso gibt eine Internet-Suche 12 Mio. Beiträge zu „Memento mori“ an und gerade mal 9 Tsd. für „Memento amori“?
    Danke mit Urlaubsgrüßen von daheim
    Bernd

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  2. bei dem satz über dem grabstein im garten musste ich herzlich lachen. danke dafür. ich kanns mir bildlich vorstellen und wieder mal ein szenario, das in wien durchaus genauso hätte ablaufen können. schönschön. und schön auch, dass du zu mitzis füßen sitzen kannst.

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  3. Das ist ja die himmelschreiende Ungerechtigkeit. Die Angestellten der Friedhofsverwaltung wie zum Beispiel dieser Bogner sichern sich für sich selbst immer die besten und sonnigsten Grabstätten… 😉

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  4. Haha, ja den Herrn Bogner kann ich mir wunderbar vorstellen. Man muss ihm halt zugute halten, dass die ständige Beschäftigung mit Gräbern, Grabsteinen und Urnen im Lauf der Jahre etwas abstumpft.

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  5. Ein Grab ist für einen Friedhofsverwalter eben auch nur eine Liegenschaft, eine Immobilie (wie der Name sagt), genauso wie für den Chirurgen der Mensch zum zu entfernenden Organ schrumpft. Professionelle Deformationen.

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  6. Genial. Solche Gedanken hab ich mir am Grab meiner Eltern auch gemacht. Als es noch frisch war und ich es herrichtete (dabei auch Erde austauschen musste) fand ich tats. Reste vom Vorgänger, Schädelteil, Oberschenkelknochen😳, ja, die wären sonst auch mit sonstigem Aushub auf der Deponie gelandet. Dein Leben ist erst dann zu Ende wenn die „Nutzungszeit“ deiner Grablege abgelaufen ist, krotesk.

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    1. Ach herrje….das will man nicht finden! Ich dachte, dass das ausgeschlossen ist. Naja…man ahnt ja was da vorher drin war, aber so präsent es zu sehen ist gruselig. Dein letzter Satz ist gut. Krotesk, aber gut getroffen.

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