Ganz einfach

Wir holen dich um sieben ab, schreiben sie und fragen mich nicht, ob ich abgeholt werden möchte. Sie hat Geburtstag, er einen neuen Job. Grund genug, die Nacht zum Tag zu machen und mal wieder alle zusammen zu feiern. Alle, erkundige ich mich und möchte gar nicht wissen, wer das sein soll, weil ich eh nur ihn kenne und weiß, dass er im Kreis seiner Freunde anders ist, als wenn wir uns alleine treffen. Oberflächlicher, uninteressanter und austauschbarer. Er ist ein Vier-Augen- Freund. Einer den ich seit dem Kindergarten kenne und den ich noch immer gern habe, auf den ich aber verzichten kann, wenn er mit anderen Freunden zu einem Karrieretypen mit Haus, Auto und Vorzeigefrau wird. Ich bin müde, schreibe ich zurück und lese die folgenden Nachrichten nicht. Am Wochenende hat man nicht müde zu sein, da lebt man, schreibt eine die ebenfalls eingeladen ist und ich frage mich, was das für ein begrenztes Leben ist, das keinen Raum für Müdigkeit lässt.

Wir grillen an der Isar, rufen sie auf meiner Mailbox im Chor und ich höre das Lachen von fünfen, die mir nahestehen und die ich sehen wollen würde, wenn ich nicht so müde wäre. Schlaf auf der Isomatte, das ist ok, sagen sie und lachen meine Einwände einfach weg. Ich bin zu müde zum schlafen, gebe ich ehrlich zu und höre die restlichen Nachrichten nicht mehr ab. Ihr Lachen, das ich sonst so mag, ist mir heute zu viel. Höre ich es noch länger, muss ich mich fragen, wo das meine geblieben ist. Ich bin zu müde zum Lachen, schreibe ich ihnen. Sie schicken Fragezeichen und Smilies mit Herzen. Nur der eine von ihnen, der mich besser kennt als ich mich selbst, schreibt, dass das ok sei. Ob es das ist, weiß ich nicht. Ich bin nur selten müde und nie, wenn ich genügend Schlaf hatte. Müde ist nicht gut, es erinnert mich auf unangenehme Weise an euch. Ich bin müde, sagte der eine von euch, bevor er seine Diagnose bekam. Ich bin müde, sagte der andere, nachdem der andere sie bekommen hatte. Das zweite müde sein, machte mir Angst. Wenn einer wach so müde wird, dass man ihn nicht mehr wecken kann, dann steht man hilflos daneben. Am Ende war ich damals auch müde. Dumm nur, dass ich die letzte von uns dreien war und einer wach bleiben musste. Es ist nicht wie damals, höre ich euch sagen und zucke mit den Schultern. Natürlich nicht, aber meine Müdigkeit strengt mich an. Man muss ja noch leben und das ist anstrengend genug. Anstrengend schön, fragt ihr vorsichtig nach und ich nicke. Natürlich schön, aber so kräftezehrend.

Der, der mich am besten kennt, steht unten vor der Tür. Ich bin zu müde um zu plaudern, gestehe ich ihm und schüttle den Kopf als er sich auf das Sofa setzt. Nur ein Wort schmunzelt er und zieht mich neben ihn. Ich sei müde, fragt er und lacht als ich nicke. Er ist gleich wieder weg sagt er und hört auf zu lachen, weil er weiß, dass mir meine Müdigkeit Sorgen bereitet. Vielleicht, nur so am Rande erwähnt, beginnt er, bin ich müde, weil ich seit Jahren vor sechs Uhr morgens aufstehe. Vielleicht weil das Wetter seit Wochen perfekt ist und ich jeden Sonnenstrahl und jede laue Nacht in vollen Zügen genieße. Womöglich hat es etwas damit zu tun – eine fast schon anmaßende Vermutung seinerseits, wie er sagt – dass ich im Sommer bis Mitternacht auf dem Balkon sitze um den Mars zu beobachten, statt einfach mal wie ein normaler Mensch ins Bett zu gehen. Er stupst mich an und stöhnt weil ich ihn nicht verstehe. Schlafen, sagt er und lächelt nicht einmal mehr. Einfach nur schlafen, mehr sei gar nicht nötig. Er steht auf. Gute Nacht und geh ins Bett.

Freitag während der Mondfinsternis bin ich kurz eingenickt. Ich habe die Augen zugemacht obwohl ich Angst hatte eine Sternschnuppe, den Überflug der ISS oder ein Glühwürmchen zu versäumen. Das habe ich oft, Angst etwas schönes zu verpassen. Vielleicht, so meint einer, der mich gut kennt, weil ich noch immer glaube, beweisen zu müssen, dass es schön ist, das Leben mit all seinen kleinen und großen Wundern. Sinnlos. Wer es nicht mehr sieht, dem kann man es nicht zeigen. Das ist traurig, aber nicht zu ändern. Allenfalls kann man sich dann neben einen müden Menschen setzen. Das sollte man auf jeden Fall tun. Eine solche Müdigkeit ist nicht ansteckend, da muss man sich nicht sorgen. Nicht solange man selbst genügend schläft. Tut man das nicht, ist auf Dauer eh alles anstrengend. Ich gehe jetzt ins Bett. Es ist halb sieben, die Sonne scheint und ein gutes Buch liegt auf meinem Balkon. Ich werde schlafen, obwohl Freunde von mir die neue Bar im Viertel testen. Ich leg mich hin, weil ich müde bin und heute keine Lust habe den Sonnenuntergang an der Isar zu sehen. Nichts läuft mir davon. An jedem einzelnen Tag der nächsten Woche scheint die Sonne und die Temperatur steigt über 30 Grad. Es wäre zu schade, dann zu müde zu sein, wenn ich spontan doch etwas machen möchte. Schlafen Sie gut.

21 Gedanken zu “Ganz einfach

  1. Früher wollte ich nie müde sein/ dachte ich verpasse etwas. Heute die Erkenntnis / ich verpasse nichts/ Nichts was ich nicht auch noch Morgen tun könnte.
    Oder sogar Übermorgen.

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  2. ich enne das nun auch, dies Müdesein, das zwischen mir und der Welt wie ein unurchdringlicher Schleier hängt. ich denke, es ist auch physisch bedingt: Blutarmut, Schilddrüse – so was.

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    1. Seit letztem Jahr hab ich die Schilddrüse nicht mehr. Während der Umstellung auf die Hormone bin ich am tagsüber am Schreibtisch eingeschlafen – widerlich und lästig. Aktuell ist es bei mir wahrscheinlich wirklich nur der fehlende Schlaf. Etwas das ich ändern kann. Denn liege ich, dann schlafe ich binnen Minuten ein. Etwas wofür ich mehr als dankbar bin.

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  3. Liebe Mitzi,
    ich will und kann Ihre Müdigkeit nicht analysieren, gehöre auch nicht zu denen, die gerne Gesundheits- oder Lebenstipps geben, also genau wissen, was füre alle Menschen richtig ist, weil es für mich richtig ist.
    Aber eines kann ich Ihnen sagen. Was ich hier lese, was Sie alles unternehmen und leisten und dann auch noch niederschreiben, dann kriegen Sie trotz Ihrer Müdigkeit mehr auf die Reihe als ich im hellwachen Zustand! BRAVO!
    Gruß Heinrich

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  4. Durch die Müdigkeit in deinem Text schimmert die Traurigkeit, liebe Mitzi. Eins ist tröstlich, dass du deine Gefühlslagen stets in anrührende Texte umzuwandeln verstehst. So hilft das Schöpferische auch über Verluste hinweg.

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  5. Ich lebe antizyklisch, und schlafe eher vormittags (wenn es denn geht). Müde bin ich eigentlich nie, aber ich kann sehr oft nicht schlafen. Ich sehe Ähnlichkeiten in der Wahrnehmung von außen.

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    1. Ich bin sehr, sehr froh, dass ich fast immer gut schlafe und nicht lange wach liege.
      Wahrscheinlich ist es ähnlich unangenehm – müde oder nicht schlafen können.
      Antizyklisch würde sicher vielen gut tun, ist nur manchmal schwer umzusetzen. Umso schöner, wenn es machbar ist.

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  6. Wenn man auf seine Müdigkeit nicht hört, macht sie einen krank, das weiß ich aus Erfahrung. Seit Januar arbeite ich zweieinhalb Tage/Woche, Arbeitsbeginn nicht vor 10 Uhr – mir geht’s besser denn je.

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    1. Leider hast du recht. Müdigkeit ist schlimm, wenn die sich nicht mit Schlaf kurieren lässt. Für Außenstehende nur schwer begreifbar. Wahrscheinlich auch für die müden selbst. 😘

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      1. Ganz bestimmt. Sie zu erkennen ist ein Schritt. Wissen dass sie eine gewisse Gefahr birgt ein zweiter. Und in Falle von zu lange andauernder Müdigkeit Hilfe in Anspruch nehmen vielleicht der wichtigste…

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  7. Die Müdigkeit lässt bei mir mittlerweile bei 3 Litern reinem grünem Tee so langsam nach. Die Hitze macht mir trotzdem ein Strich durch die Rechnung. Trotzdem Selfcare ist das A und O und wenn ich dafür auch mal Spaßverderberin spielen muss.

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