Roza

Adesso sinistra, jetzt nach links, sage ich ohne mir sicher zu sein, ob wir wirklich schon hier abbiegen müssen. Das heißt, ich bin mir durchaus sicher, dass wir nach links müssen, nicht aber, ob die hier nach links führende Straße uns auch zum Ziel bringen wird. Die Straßenführung in Altstädten hat ihre Tücken. Die in italienischen Altstädten zum Beispiel, kann einen an den Rand eines Nervenzusammenbruchs bringen. Andere. Nicht uns, wir kennen diese Altstadt und erinnern uns an jede Gasse, als wären wir erst gestern Abend mit hohen Absätzen über das Kopfsteinpflaster gelaufen. Roza erinnert sich auch. Zum Beispiel an meine Rechtslinks-Schwäche, sobald ich in einem Auto sitze. Als ich erneut „links“ rufe, siehts sie mich an und grinst. Geht nicht, erklärt sie. Links sei die Adige, die Etsch, der Fuß, dessen Schleife die Altstadt umarmt und an dessen Ufer Roza und ich vor vielen Jahren gewohnt haben. Dann eben rechts, sage ich und rutsche wohlig seufzend tiefer in den Sitz. Das schöne an wirklich alten Altstädten ist, dass sich nichts verändert. Selbst nach zwanzig Jahren sehen sie noch genauso aus, wie an jenem Tag als man zuletzt gemeinsam dort gewesen war. Rechts murmle ich leise und bin mir sicher, dass wir jetzt wirklich abbiegen müssen. Roza erinnert sich anders und fährt weiter gerade aus. Egal…sie fährt, sie macht das. Ich schließe die Augen und öffne sie erst wieder, als ich gefragt werde, ob ich wusste, dass Calzedonia noch immer da ist. Ich nicke und schnalze gleichzeitig mit der Zunge. Ja, das wusste ich und auch, dass er sich noch immer dort befindet, wo er immer war. Wenn wir ihn jetzt also sehen, dann sind wir definitiv zu spät abgebogen und befinden uns mitten in der Fußgängerzone. Das leise Fluchen neben mir klingt vertraut und ich murmle rechts oder links, weil es jetzt auch schon egal ist. Ich bin froh, dass Roza fährt und sage ihr, dass sie das richtig gut macht. Ich soll den Mund halten, höre ich und schmunzle. Wenn man sich nach Jahrzehnten das erste Mal wieder sieht, dann ist es ein gutes Zeichen, dass man einander noch problemlos darum bitten kann, die Klappe zu halten.

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Flitter im Magen

Die Ski stehen in der hintersten Ecke des Kellers und klemmen zwischen alten Regalen und wuchtigen Terracottatöpfen. Die Bindungen hängen aneinander und mit jedem Zerren und Reißen verhaken sie sich mehr ineinander. Man muss sehr wütend sein, um als Frau mit einem Fußtritt einen Tontopf zu zerbrechen und ein Paar Skistöcke zu verbiegen. Leichter geht es, wenn man erfährt, dass der Mann den man zu heiraten beabsichtigte, seit über zwei Jahren eine weitere Beziehung führt. Dann räumt man einen Keller nicht aus, sondern wütet darin so energisch, dass sich die Muskelpakete des Umzugsunternehmens dezent im Hintergrund halten und sich jeden Kommentar verkneifen, wenn man sie bittet genau die Hälft des Kleiderschrankes abzubauen. Sie kennen das. Ich kannte es nicht. Ich hatte bisher nur eine Beziehung, die ich nach ihrer Beendigung als pure Zeitverschwendung empfand. Um eine solche Beziehung weint man nicht. Man zerschlägt Terracottatöpfe, schimpft sich selbst einen Idioten und hat eine solche Wut im Bauch, dass man über sich selbst erschrickt. Die kaputten Ski ließ ich damals im Keller liegen und dachte an sie nach kurzer Zeit genauso wenig, wie an den Mann, den ich zurück gelassen hatte. Sechs Jahre pure Zeitverschwendung. Toben, schreien und wüten, wie nie zu vor und dann….abhaken. Heiße Luft hinterlässt keine Erinnerungen. Nicht einmal unschöne. Weiterlesen