Porzellan dickwandig

Es ist halb zwei in der Nacht und viel zu spät um noch irgendetwas vernünftig zu Ende zu bringen. Das wollte ich. Gestern. Irgendwann gegen acht Uhr abends, wollte ich mich an den Rechner setzen und eine Mail schreiben, die ich seit Wochen vor mir her schiebe. Eine völlig unwichtige und banale E-Mail, die irgendwann aber trotzdem geschrieben werden sollte. Eine, die man am besten mit einer Tasse Espresso neben sich schreibt. Schnell, bevor er kalt wird. Hinsetzen, tippen und fertig. Dazwischen ein Schluck Espresso. Und genau damit fing es an. Mit dem Schluck Espresso und dem wohligen Gefühl, genau die richtige Tassen für dieses Getränk zu besitzen. „Guten Abend Frau XY…“ tippte ich, nahm die Tasse in die Hand und freute mich über das dickwandige Porzellan meiner Tasse, das die kleine Menge Flüssigkeit genau richtig lange warm hält. Ich liebe meine Espressotassen. Weil sie dickwandig sind und weil sie mir einer an dem Abend schenkte, bevor er München für immer verlies. Ihre Farbe liebe ich nicht. Und seit gut fünf Jahren ärgere ich mich, dass ich keine passenden Untertassen habe. Die ersten fünfzehn Jahre waren mir die Untertassen egal. Ich hielt den Zuckerlöffel so lange in der Hand, bis die Tasse leer war. Bei Espresso dauert das nicht lange. Besuchern legte ich eine Serviertte neben die Tassen. Kann man machen. Machte ich fünfzehn Jahre lang. Seit fünf Jahren nervt es mich und seit vier Jahren bin ich mir bewusst, dass keiner meiner Freunde Tassen ohne Untertassen besitzt. Ich besitze nicht nur keine Untertassen für die Espressotassen, ich besitze überhaupt keine Untertassen. Auch nicht für den Cappuccino. Auch hier gibt es keine Kaffeelöffel-Ablage-Möglichkeit. Seit drei Jahren suche ich passende Untertassen für meine Tassen. Die gibt es. Die haben dann aber die Farbe meiner Tassen und die mag ich eigentlich nicht. Also suche ich eigentlich nicht, sondern vertage das Untertassenproblem auf den Tag, an dem es mich so nervt, dass ich mich ernsthaft damit auseinander setzen muss. Vor ein paar Stunden war es so weit.

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Endgültig löschen, bitte

Ich kann jetzt nicht, sage ich meinem Nachbarn Paul und lasse ihn selbst in meiner Küche nach all dem suchen, was einzukaufen, er vergessen hat. Anfang März gerne, vertröste ich meine Freundin und kann ihr nicht erklären, dass ich im Jahr 2001 festhänge und mir 2022 unendlich weit entfernt scheint. Meinen Freund bitte ich noch darum mir die hintersten Kartons aus dem Schrank zu holen und schüttele ihm zum Abschied die Hand, was ihn irritiert aber auch schmunzeln lässt. Ich bin irgendwo in den 90igern und da kannten wir uns noch nicht. Er verlässt das Chaos meiner Wohnung, bleibt in der Gegenwart und lässt mich und meine Vergangenheit alleine. Ich bat ihn nicht, zu gehen. Ein uraltes Mixtape hat ihn vertrieben und ich kann ihn verstehen – es ist schrecklich und nur die Erinnerung an die Person, die es mir schenkte, lässt es jetzt noch einmal meine Küche beschallen. Ein aller letztes Mal, dann kann es weg. Muss es weg, weil es mir nicht mehr wichtig ist.

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