Vom Atmen und von Parkplätzen

Der, der ab und zu mit einer Flasche Wein vor meiner Tür steht, fühlt sich in der U-Bahn nicht wohl. Es ist nicht sein Terrain, aber heute hilft es nichts, weil sein Auto abgeschleppt wurde. Obwohl ich eine U-Bahn Fahrt längst nicht so schlimm finde wie er, sage ich es ihm nicht. Ich bin still, weil er schlechte Laune hat. Früher hätte ich einen mit schlechter Laune gebeten, sie nicht an mir auszulassen. Heute oft nicht mehr. Auch weil die Tatsache, dass wir in der U-Bahn und nicht in seinem Auto sitzen, in der etwas zu kreativen Wahl des Parkplatzes begründet liegt, mit der ich sein Auto am Vorabend in Schwabing abgestellt habe. Bei einem abgeschleppten Auto kann man durchaus ein wenig sauer sein, aber eine so schlechte Laune ist unangebracht. Denke ich. Sage ich aber nicht, weil ich mein Gegenüber mittlerweile kenne und am Klang seiner Atemzüge erahne, dass es klüger und für den Verlauf des restlichen Wochenendes elementar wichtig ist, dass ich den Mund halte. Selbstredend, dass mein Beitrag zu einem harmonischem Wochenende weder registriert noch honoriert wird. Er wird weggeatmet. Männer können das. Die artikulieren ihre schlechte Laune anhand tiefer Atemzüge und halten diese für vollwertige Sätze. Auch eine Kunst.   Weiterlesen

1.800.000 Atemzüge

Auf meinem Sofa hockt seit drei Tagen das heulende Elend. Vor vier Tagen noch war es eine meiner Freundinnen und mir im Bezug emotionaler Ausgeglichenheit weit überlegen. Jetzt nicht mehr. Ihr Mann hat seit Samstag ein neues Auto, eine neue Freundin und eine neue Telefonnummer. Was genau er sich zuerst angeschafft hat, weiß ich nicht. Meiner Freundin Suse präsentierte er vorgestern Abend aber Auto und Freundin gleichzeitig und weigerte sich die neue Nummer rauszugeben, als er mit einer Reisetasche unter dem Arm die gemeinsame Wohnung und das gemeinsame Leben verließ. Unschön. Die neue Freundin, vor allem aber die neue Telefonnummer, die es Suse unmöglich macht ihm all das zu sagen, was sie jetzt ersatzweise gegen die Wände meiner Wohnung brüllt. Wir haben alles durch. Wein und Schokolade. Analyse der WhatsApp Chats der vergangenen drei Jahre.  Sie das Internetstalking der Neuen und ich die Gewissheit, dass man auch mit zwei Jahrzehnten mehr auf dem Buckel so bescheuert wie eine angeschossene Zwanzigjährige ist. Selbstverständlich sind wir die Straße der ehemals gemeinsamen Wohnung in den letzten beiden Nächten mehrfach mit ausgeschaltetem Licht abgefahren, um anhand eines erleuchteten Küchenfensters auch nicht mehr als vorher zu wissen. Und natürlich hat sie betrunken E-Mails geschrieben von deren Abschicken ich sie solidaritäts angeschickert nicht abgehalten habe. Wir sind genauso blöd wie vor zwei Jahrzehnten, machen genau die gleichen Fehler und stellen jetzt nur fest, dass wir nach solchen Nächten morgens nicht mehr dramatisch wild, sondern zerknautscht verkatert aussehen. Mit zwanzig war verschmierte Wimperntusche ein Accessoire, heute das was es schon immer war – kosmetischer, bröckelnder Dreck.  

Nach 48 Stunden intensivster Freundschaftspflege brauche ich eine Pause und weil man sich die als gute Freundin nicht einfach nehmen kann, nutze ich Wimperntuschen verschmierte und Rotwein befleckte Kopfkissen als Ausrede um mich eine Stunde im Waschkeller zu erholen und mir Tipps für Liebeskummer bei Google, dem großen Bruder und Allwissenden zu holen. Gallseife, Bleiche, 60 Grad und ein Handy mit Internetzugang – mehr braucht man als gute Freundin heute nicht mehr. Dann mal los…

Google ist auch nicht mehr das was es mal war. Noch vor der Hauptwäsche gebe ich auf. Mein Nachbar Paul nicht. Der versucht noch immer seinen Fußabtreter in eine der Maschinen zu stopfen. Mein amüsierter Blick scheint ihn dabei zu stören und er macht eine Pause, indem er sich neben mich stellt und über meine Schulter auf das Display meines Handys schaut. Grinsend schüttelt er den Kopf und nimmt es mir aus der Hand. Mit „Schwachsinn“ kommentiert er die Kalenderweisheiten für frisch Getrennte und mit „harte Nacht?“, mein zerzaustes Aussehen. Ich zucke mit den Schultern, besser sehe ich nach einer durchwachten Nacht nicht aus – Suse blockiert heulend seit Stunden das Bad. Ich erzähl ihm von den Stunden im Auto vor einem hellen Küchenfenster, von geschriebenen und bereuten E-Mails und ein bis drei Gläsern zuviel. Wir schmunzeln darüber und lachen wie dumm, irrational und verletzlich einen eine Trennung doch noch immer machen kann. Wir lachen, bis wir verstummen, weil es eigentlich gar nichts zu lachen gibt, wenn einem der Boden unter den Füßen weggerissen wird und weil es doch eher zum Heulen ist, wenn ein Leben von heute auf morgen zerbricht. Wie geht es ihr, fragt er und ich zeige ihm ein Bild von uns beiden, dass wir kurz vorm Einschlafen geschossen haben. Da hielten wir uns für wild und ungestüm. Im Neonlicht des Waschkellers sehen wir darauf angeschlagen und traurig aus. Beide. Suse, weil sie es ist und ich, weil ich nichts tun kann, damit es ihr besser geht. Süß, sagt Paul und ich finde es süß, dass er lügt. Ob er soll, will er wissen und ich verstehe ihn nicht, bis er mit den Schultern zuckt und etwas von Gift mit Gift bekämpfen murmelt. 

Suse hat die Wäsche nach oben geholt und Paul getroffen, der auf seine Fußmatte wartete. Ich vermute er hat sein Rhett Butler Lächlen gelächelt. Sie waren beim Griechen, bei DEM Griechen. Dort werden um Mitternacht die Servietten in die Luft geworfen und dann wird auf den Tischen getanzt. Ein Ort an den man seine frisch getrennte beste Freundin als Frau sicher nicht schleppen würde. Ein Ort, den nur ein Kerl als passend empfinden würde. Als Suse um fünf in der Früh nach Hause kam und zu mir ins Bett kroch weinte sie ein bisschen bevor sie lachend rülpste. Ob der ganze Scheiß nicht zum Heulen lächerlich wäre, murmelte sie und wir lachten beide. Ohne Grund. Oder weil Weinen – begründet bei ihr,  solidarisch, bei mir – nach drei Tagen zu sehr in den Augen brennt. Vielleicht auch weil das mit dem „Gift bekämpft Gift“ gar nicht so falsch ist. Einer versaut es, einer macht es wieder gut. Bevor ich einschlafe, schreibe ich Paul eine SMS: „Danke“. 

Suse heult wieder. Zwischen dem Griechen, der Bar im Glockenbachviertel und ihrem interims Zuhause bei mir hat sie in den wohl einen Zwischenstopp im Hinterhaus eingelegt. Würde Paul an sein verdammtes Handy gehen oder die von ihr an ihn geschriebenen WhatsApp Nachrichten einen zweiten Haken zeigen, würde Suse jetzt nicht heulen. Gift vertreibt Gift. Mag sein, hält nur nicht lange. Meiner Nachbarin Judith erzähle ich es im Keller vor den Altglascontainern. Sie haut mir ein Gurkenglas in die Rippen und fragt ob ich mir solidarisch den Verstand weggetrunken hätte. Paul? Unser Paul?!? Sie muss mir das Glas nicht noch mal gegen den Arm schlagen. Ich nehm es ihr weg und nicke. Paul ist toll. Als Nachbar. Wahrscheinlich auch als guter Freund. Auch um zu vergessen, sich toll zu fühlen und wieder lebendig. Nach Paul schläft man bestimmt gut ein. Nur das Aufwachen, das kann schief gehen. 

Judith nimmt sich jetzt Suse an. Ich mache mir ein wenig Sorgen um meine Freundin. Ganz tief in mir drin, weiß ich ja, dass gar nichts hilft. Nur warten. Einatmen, ausatmen und einatmen. 1.800.000 Mal. Dann sind die ersten drei Monate geschafft und es wird besser. 

 

 

 

Atmende Filzkugeln

Er atmet, sage ich und weiß, dass er versteht, dass dieser Atem so viel mehr ist, als das Schnauben aus einer felligen Hundeschnauze. Er ist mir alles, dieser Atem. Und muss es sein, weil ich gar nichts mehr bin. Nicht einmal richtig müde bin ich. Ich bin so erschöpft, dass ich eigentlich gar nicht mehr richtig da bin. Da ist es gut, wenn einem ein gleichmäßig atmender Hund an die eigenen Atemzüge erinnert. Schöne Weihnachten, das habe ich noch umarmend gerufen und bin dann schnell raus gerannt, bevor ich unsichtbar wurde. Das passiert so schnell, im Jahresendspurt und dann liegt man platt und unsichtbar unter dem Christbaum und kann nicht mehr aufstehen. Ob ich eine Erkältung meine, höre ich dich fragen und schüttle den Kopf. Als ob man von einer Erkältung schon jemals unsichtbar geworden ist. Nein, es ist viel mehr, das ganz Jahr, das einem auf den Schultern sitzt und bei all seiner Schönheit so schwer geworden ist, dass man Teile davon abschütteln muss. Sonst begräbt es einen und man hat keinen Platz mehr für die letzten, bestimmt auch sehr schönen Tage des Jahres. Das versteht er, weil er weiß, dass mir gerade die letzten Tages eines Jahres wichtig sind. Deshalb fragt er auch nicht, was ich mache und ahnt, dass ich nicht viel mehr als der Hund mache. Die Frage, wo ich es mache ist berechtigt. So etwas kann man nicht wissen und selbst ahnen ist schwer, da er nicht wissen kann, dass mein weißer Filzkugelteppich bereits geliefert wurde. Auf dem weißen Filzkugelteppich sage ich ihm deshalb und er lacht. Passt farblich zum Fell des Hundes, meint er und hat recht. Dazu und zum Winter, zum Adventskranz und überhaupt zu allem schönen. Ein solcher weißer Filzkugelteppich ist nämlich etwas ganz wunderbares und mit kaum einem anderen Teppich zu vergleichen. Es ist ganz wunderbar auf ihm zu stehen. Noch schöner nur, mit einem Hund – unbedingt ein großer – auf ihm zu liegen. Perfekt ist es, wenn die ergrauten Haare der Schnauze die gleiche Farbe wie die Filzkugeln haben. Warum das so ist, bleibt ein Geheimnis. Weiterlesen

Zerschlagen und gekittet

Ein Hammer liegt auf meinem Tisch. Er passt nicht recht zwischen die Weingläser, Kaffeetassen und den Resten des Stollens, den wir zum Frühstück gegessen haben. Und doch passt er besser zu diesem Weihnachten als alle Christbaumkugeln, Geschenke und Weihnachtsbäume zusammen. Ich bin gleich da, schrieb ich dem Mann der in der gleichen Straße wie ich aufwuchs und zerschlug damit die Weihnachtsleere in meiner Wohnung. Ich wollte es nicht, aber der Hammer muss den ganzen Tag schon auf dem Tisch gelegen haben ohne das ich ihn bemerkt. Bratenduft in der Wohnung und eine leise Stimme die versicherte, das alles gut werden würde. Wie lächerlich, wenn sie von einem kommt, der wissen sollte, dass manchmal nichts wieder gut wird. Und wie unverschämt, wenn einer nickt, der Experte darin ist, das Grauen zu duplizieren. Es ist erstaunlich mit welcher Kraft man Stille und Leere zerschlagen kann, wenn man nur wütend genug ist. Der, der so oft auf meiner Bettkante sitzt und wortlos mit mir spricht ist klug genug den Mund zu halten. Der andere flüstert noch leise, dass es wieder wird und sieht erst im letzten Moment, dass ich wütend genug bin ihre flüchtigen Reste mit einer einzigen Handbewegung zu zerschmettern. Er verschwindet bevor ich ihn anschreien kann und ich fühle mich betrogen, weil ich brüllen und schreien möchte. Weiterlesen

23 Atemzüge

Manchmal war dir die Welt zu groß. An solchen Tagen machten dich der weite Blick und die Ruhe in den Bergen nervös, während dir die Menschen in der Stadt gleichzeitig zu laut und zu nahe waren. An solchen Tagen bist du laufen gegangen, um den Kopf frei zu bekommen und an nichts mehr zu denken. Wenn du zurückkamst, warst du noch unruhiger als zuvor. Alles gut, sagtest du dann und nichts war gut. Weiterlesen