Alles nur Phasen

Ob er schon mal von der Perimenopause gehört hat, frage ich den, der ab und zu mit einer Flasche Wein vor der Tür steht und ahne die Antwort, bevor er sie ausspricht. Oder auszusprechen zu vermeiden versucht. Ein Nicken – klar, vermutlich kann er als Mediziner die meisten Begriffe einordnen und ein kleines, schnelles Kopfschütteln, das nonverbal signalisiert, dass er im Bezug auf mich dazu weder eine Meinung hat, noch eine haben möchte. Muss er nicht und es geht auch nicht um mich. Ich nehme mir eine Hälfte der von ihm belegten Semmel und erkläre ihm, dass meine Kolleginnen der Auffassung sind, dass der Eintritt in besagte Perimenopause mit dem Zeitpunkt zusammen fällt, in dem man als Frau für Männer unsichtbar wird. Er nimmt mir meine (seine) Semmel wieder aus der Hand, lehnt sich zurück und erklärt, dass ich in diese Phase dann wohl eindeutig noch nicht eingetreten sei. Weil er grinst und nicht lächelt, ist das weder ein Kompliment noch eine neutrale Feststellung. Weil er aber auch nicht mehr dazu sagt, erkläre ich ihm, was besagte Kollegin meint.

Es gibt einen Zeitpunkt im Leben als Frau, in dem man tatsächlich unsichtbar wird. Für Männer. Erst fällt es einem nicht auf. Obwohl es das vermutlich könnte. Aber es fällt einem ja auch nicht auf, dass man von einer jungen zu einer mittelalten Frau wird. Erstaunlicher Weise wird man das urplötzlich. Genauso wird man schlagartig unsichtbar. Von einem Tag auf den anderen, merkt man es. Von einem Tag auf den anderen, erkundigt sich der, der seinen Teller mit der zweiten Semmelhälfte vor mir in Sicherheit bringt und ich nicke. Ja, über Nacht. Er fordert ein Beispiel. Gerne. Du holst dir an der Bar noch ein Glas Wein, gehst zurück zum Tisch und niemand starrt dir auf den Hintern. Keiner. Vielleicht dein Freund – wenn du Glück hast – aber sonst keiner. Er kaut, überlegt und versteht nicht. Ob das nicht auch etwas gutes sei? Schließlich hätte man (Frau) sich doch genau darüber immer beschwert. Blöder Einwand. Ok, ehrlich gesagt, ein guter Einwand. Trotzdem nervt es, plötzlich nicht mehr ins Beuteschema zu fallen. Er zieht eine Augenbraue hoch und hakt nach, ob nicht eben das, in den Jahren zuvor genervt hätte. Klar, hat es, aber das jetzt eben auch. Außerdem habe ich mich jetzt daran gewöhnt und gelernt damit umzugehen. Wer will sich denn bitte alle paar Jahre komplett neu einstellen müssen?

Ich nicht, außerdem will ich das letzte Stück Semmel und schnappe es mir. Du, sagt er, könntest dich, wenns nach mir geht, langsam darauf einstellen, dir deine Semmeln selbst zu schmieren. Warum, will ich wissen, weil es sich jetzt nicht mehr lohnt, dass du dir Mühe gibst? Das letzte Stück wird mir aus der Hand genommen. Ne, weil du zwei gesunde Hände hast – immer schon. Und unsichtbar werde ich ganz sicher nicht, wie ihm ein Blick in das Chaos seines Badezimmers vorhin gezeigt hat. Ganz im Gegenteil. Vor ein paar Jahren standen da eine Handvoll Sachen von mir rum, jetzt ein gutes Duzend. Eben! Weil ich das brauche um nicht völlig in der Masse unterzugehen. Mit verschränkten Armen warte ich, bis er die zweite Semmel belegt hat. Ich werde unsichtbar, sage ich abschließend noch einmal und schnippse die Gurke, die ich noch nie auf einer Käsesemmel mochte, auf seinen Teller.

Perimenopause. Hat den Begriff vor fünf Jahren irgendwer gekannt? Wahrscheinlich nicht einmal die, die sich mitten darin befanden. Woher kommt der plötzlich? In der Werbung, in den sozialen Medien, im Freundeskreis. Sicher ist es gut, das zu thematisieren. Aber wie fast immer, hat jede Welle, die sich auf Instagram, TicToc oder sonst wo aufbaut, den negativen Effekt, dass man ihr nicht entkommt. Es schadet nicht, zu wissen, was auf einen zukommt. Aber es schadet, wenn man derart mit einem Thema bombardiert wird, das man ihm kaum noch entkommt – sagt meine Freundin und erklärt im nächsten Moment, dass wir uns alle falsch ernähren (Alkohol und Zucker machen jetzt noch viel schneller und unwiderruflich alt), falsch kleiden (für jede Lebensphase bitte das passende), falsche Beziehungen führen (letzte Chance sich jetzt noch dauerhaft zu binden) und eindeutig zu wenig schlafen (wer nach Mitternacht einschläft sieht morgens noch gruseliger aus).

Peri-Scheiß-Drauf, sagt einer, der mit einer Flasche Wein und einer Tafel Schokolade (kurz vor Mitternacht) vor meiner Tür steht und mir zuzwinkert. Er sieht meinen Hintern und das vermutlich in erster Linie, weil der in einer von ihm geklauten Schlafanzughose steckt, die mir nicht erst jetzt, sondern noch nie stand. Schiebt sich an mir vorbei, geht in die Küche und ist das, was man heute „Red Flag“ nennen würde. Eine, die am Wochenende selten vor dem frühen Abend richtig wach wird.

Weit nach Mitternacht kommt dann doch noch eine halbwegs ernste Pause. Ja, der Begriff sagt ihm etwas. Natürlich. Wenigstens hätte ich ne Phase, er wird einfach alt. Bei der Visite strahlen ihn junge Patientinen nicht mehr an und von den Krankenschwestern auf seiner Station bekommt er einen verbalen Einlauf, wenn er den letzten Kaffee nimmt ohne neuen aufzusetzen. Vor ein paar Jahren wurde ihm anscheinend noch lächelnd eine Tasse vor die Nase gestellt. Wortlos, weil man wusste, dass er ein Morgenmuffel war. Dafür sei er jetzt eben kompetent, werfe ich ein. Unwiderstehlich wäre ihm lieber murmelt er und beendet das Gespräch indem er einschläft. Er wird wirklich alt. Macht nix, ist auch nur ne Phase. Eine von vielen.

21 Gedanken zu “Alles nur Phasen

  1. Ich bin ja in doppelter Hinsicht unsichtbar. Zum einen, weil ich „alt“ bin, zum anderen, weil ich schwerbehindert bin. Da zählt man halt in vielerlei Hinsicht auch nicht mehr. Die Unsichtbarkeit meines Alters wegen stört mich nicht, die andere schon. – Da fällt mir grade ein, dass ich in meinen späten Vierzigern ungemein froh darüber gewesen bin, dass ich fortan nicht mehr menstruieren würde. Hurra! Endlich war ich den Sch*** los, der mir jahrzehntelang Monat für Monat eigentlich nur Ungemach bereitet hat! 🙂

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    1. Oja, darauf kann man wirklich verzichten. Wenigstens ein Vorteil. Ok, noch ein paar andere.
      Ich denke mit der Alters Unsichtbarkeit werde ich auch umgehen können.
      Dich trifft es doppelt und das nicht als Phase. Unfair und ungerecht. Ich kann nur vermuten, mit wievielen Themen du dich da rumschlagen musst.
      Liebe Grüße

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  2. Betreffend Schlafanzug verweise ich u.a. auf Kap. 3, 1772, der Anzug des Zauberers.
    Was das andere angeht: Es gibt Phasen. Eine ist, von Leuten gesehen zu werden, auf deren Aufmerksamkeit man verzichten könnte. Eine, nicht mehr gesehen zu werden (das hat zumindest in Bezug auf das Stibitzen von Nahrungsmitteln Vorteile). Eine aber, nur noch abfällige oder gar angewiderte Blicke zu bekommen. Kann man alles haben. Ein Stück weit kommt’s aber darauf an, wie man zurückschaut!
    Und da trau ich Dir doch einiges zu!

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    1. Auf die letzte dieser Phasen kann ich verzichten. Wobei man die vermutlich in jedem Alter erleben kann, wenn man auf das richtige bzw. falsche Gegenüber trifft.
      Ich vermute jede Phase steht und fällt mit der Art mit der man zurück schaut. Hier jedenfalls ist die mittlere Phase nicht schlecht…ich bin deutlich gelassener als ich es mit Mitte Zwanzig gewesen bin.

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      1. Sehr richtig, die Blicke fallen hin und fallen her. Und mit der Zeit schaut man etwas ruhiger, aber bestimmter zurück. Und wie man angesehen wird hat nur ganz oberflächlich etwas mit dem Alter zu tun. Beziehungsweise verändert man ja auch selbst den eigenen Blickwinkel (allein schon wegen Kurz-, Weitsichtigkeit, grauem Star….) und verzichtet auf die Wahrnehmung all zu grünen Gemüses oder anderer ungenießbarer Teile.
        Ich muß doch nachher noch mal ans Gemüsebeet….

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      2. Das klingt richtig und beruhigend. Alles in allem kann ich mich halbwegs gut damit arangieren älter zu werden. Hilft nix und ich muss mich anpassen. Früher hätte ich in Phasen wie zur Zeit meinen Blog um Mitternacht gefüllt und fröhlich alles mitgelsen und wäre trotzdem in der Arbeit fit gewesen. Aktuell merke ich, dass ich bei einem Projekt wie gerade, zu gar nix mehr komme. Allerdings sehe ich es auch gelassener. Hat auch etwas. Wobei ich hoffe bald wieder zum Lesen zu kommen. Hier oder gerne auch in einem Buch.

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      3. Beruhigend und erfreulich ist’s, mal wieder von Dir, vielbeschäftigt, zu hören. Ja, man muß sich selbst zurücknehmen und die Grenzen eigener Leistungsfähgkeit, ihre Veränderung, und vor allem die Grenzen des eigenen Wohlbefindens neu erkennen und austarieren.
        Mach ich jeden Tag ein paarmal…. (ich denke dabei an Mark Twain, obwohl ich nie geraucht habe, der über dieses Laster zu sagen pflegte: „Mit dem Rauchen aufhören ist einfach – das mach ich jeden Tag mehrmals!“)

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      4. Eines von vielen guten Mark Twain Zitaten. Bei manchem lohnt es sich, es immer und immer wieder zu versuchen. Ordnung in der Badschublade beispielsweise oder eben auch einen Gang zurück zu schalten.

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  3. Die Perimenopause kenne ich natürlich, diese Phase durchlief ich vor etwa zehn Jahren. Unsichtbar geworden bin ich in gewisser Hinsicht trotzdem nicht, denn bislang prallen Männer nicht reihenweise ungebremst mit mir zusammen, weil sie mich weder haben dastehen noch näherkommen sehen. 🤭

    Das andere, von dir insinuierte „Unsichtbar“ kannte ich hingegen schon prämenopausal, obwohl ich weder auffallend unhübsch war noch dazu neige, Kerlen ihre Semmeln wegzunaschen. Hätte ich vielleicht öfter tun sollen, es generiert offenbar Aufmerksamkeit…

    Schön, wie du das Hin und Her eures Dialogs im wechselseitigen Entreissen der Brötchenhälften thematisch aufnimmst. Du bist eine kompetente Schreiberin – was die Lektüre deines Blogs trotz deiner relativen Unsichtbarkeit ziemlich unwiderstehlich macht.

    Liebe Grüsse von einer, mit der mal ein Arzt in mancher Mittagspause seine Sandwiches und Trockenfrüchte geteilt hat – der wurde angelächelt UND angestrahlt! Nur so als Tipp für Dr. med. Morgenmuffel.

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    1. Den Tipp sollte ich ihm mal geben. Nicht den Kühlschrank nach Essbarem von anderen durchsuchen, sondern selbst was zum Teilen mitbringen 😉
      Dr. med. wird in diesem Leben vermutlich ein Morgenmuffel bleiben. Ich hätte echt keine Lust vormittags mit ihm arbeiten zu müssen.

      Danke für das schöne Kompliment. Das freut mich und ist mir tatsächlich wichtiger, als mögliches Unsichtbar werden. Wahrscheinlich weil ich auch mit zwanzig angenehm durchschnittlich war. Aber du weißt was ich meinte, machmal fragt man sich wie die Zeit so schnell vergehen kann. Im nächsten Moment ist es aber schon wieder in Ordnung. Der Herr Dr. hat schon ein paar richtige Dinge angesprochen. Ich zumindest merke, dass ich bei vielem deutlich entspannter werde.

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      1. Ja, das Schöne am (gesunden) Älterwerden ist tatsächlich, dass einem gewisse Dinge viel egaler werden, die vorher eine hohe Priorität genossen und oft auch jede Menge Stress generiert haben. Vielleicht wird man weiser, vielleicht auch nur müder, vielleicht beides. Und da die Zeit immer schneller vergeht, hat man doch auch einfach nicht mehr die Möglichkeit, sich um alles zu kümmern und zu sorgen… 😁

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      2. Sehr gut zusammen gefasst 🙂 Egaler ist tatsächlicih etwas, das mir gefällt. Es ist ja nicht unbedingt Desinteresse (auch) aber eine angenehme Art der Gelassenheit.

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  4. mit dem thema befasste ich mich, wahrscheinlich altersbedingt, schon vor einiger zeit und kam damals zu dem schluss, dass ich es bedenklicher finde, wenn einen andere frauen, die zuvor abschätzten, ob man konkurrenz sein könnte oder nicht, plötzlich ignorieren.
    ich würde den text ja gern verlinken, bin aber auf der plattform, auf der ich ihn hinterlegte, unsichtbar. 🙂

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    1. Stimmt – das Verhalten von Frauen untereinander ändert sich auch noch mal ganz stark. Zum Teil noch viel anstrengender als das andere Geschlecht. 🙂
      Sorry, dass ich so spät erst antworte. Ich hab mich selbst unsichtbar gemacht. Im Alter schaffenen einen Projekt im Job auf eine ganz andere Art ;).

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