….Teil 2 der erzählenden Frauen in meiner Familie.
Meine Großmütter haben mir in meiner Kindheit viel erzählt. Geschichten um Geschichten aus dem Fundus ihrer Erinnerungen. Keine von beiden dachte sich je etwas aus oder las mir ein Märchen vor. Die Erzählungen meiner Großmütter bestanden ausschließlich aus ihren Erinnerungen. Beide berichteten am liebsten von ihren großen Lieben. So weiß ich, dass der Martl, der Martin, die erste große Liebe meiner Großmutter mütterlicherseits war. Sie hat uns Kinder oft von ihm erzählt. Ich kann mich an ihre leuchtenden Augen und das warme Lächeln erinnern, wenn sie von ihm berichtete und erzählte wie schwer es mit einem ledigen Kind war. Er ist ihr weggestorben noch bevor sie ihn heiraten konnte, auch das wusste ich, und dass sie ihn nie vergessen konnte, war mir leicht zu verstehen. Sie hat uns so oft von ihm erzählt und doch nicht alles. Oder ich kann mich nicht mehr richtig erinnern. Seltsamer Weise verschwinden die Details bei Erzählungen, die man besonders oft hört, am leichtesten. Gestern Abend hat sie es mir noch einmal erzählt. Ganz in Ruhe und ganz ausführlich. Hat erzählt und sich erinnert:
„Bin geboren am 6. Januar 1914 bei eisiger Kälte und einem fürchterlichen Schneetreiben, so sagte man es mir. Die Hebamme Elisabeth Kainz gennant beim Leirer vormals Pesch, jetzt Sobotha, war beim Goll zum „Hanster“ in Kleindingharting, wo eine Tochter Maria noch am 5. Januar das Licht der Welt erblickte. Ich erst um 01:30 Uhr morgens, also den 6. Januar. Ich bin also ein „Heilig Drei König Kind“. Man sagte, dies seien besonders begnadete Glückskinder, was ich aber nicht so ganz behaupten könnte.“
Sie erzählte von ihrer Mutter, von der ich mich nicht mehr erinnern konnte, dass sie viel berichtet hat. Auch von ihrem Vater und wie es war, damals aufzuwachsen. Manches kannte ich, aber die Details, die in ihrer gestrigen Erzählung aufblitzten, an die konnte ich mich nicht erinnern.
„…Mit 100 Eiern im Rucksack ist meine Mutter bis nach Hohenschäftlarn gegangen, weil sie da für ein Ei einen Pfennig mehr bekommen hat. Von dem Eiergeld wurde dann Kaffee, Malzkaffee uznd Zucker gekauft. Uns Kindern hat sie dann noch eine Rippe Blockschockolade mitgebracht. Ach, wie haben wir uns darüber gefreut und aufgepasst, dass nicht eines ein um einen Millimeter größeres Stück bekommen hat. Meine Mutter hat sich nach dem strapaziösen Fußmarsch noch um eine Minzkugel geleistet.“
Gerne hätte ich ihr gesagt, dass sie nicht so schnell voran preschen soll und wollte sie immer wieder bitten an einer Stelle zu verweilen, weil mir Fragen in den Sinn kamen, die ich als Kind nie stellte und vor Jahren zu fragen vergaß. Vieles interessierte mich, aber es wunderte mich nicht, dass sie doch schnell zu ihrem Martl kam.
„….Es waren doppelte Eisenstangen an dem kleinen Fenster angebracht und es reichte wirklich nur aus für einen Gedankenaustausch und Bussi geben in großer Verliebtheit. Wir hatten uns so viel zu erzählen am Wochenende. Es dauerte oft gleich bis 02:30 Uhr morgens. Ach müssen dem Kerl die Füße weh getan haben von dem Leiter stehen…“
Ich konnte es mir vorstellen und doch hätte ich so viele Fragen gehabt und hätte zu gerne gewusst, worüber sie gesprochen haben und was sie damals bewegt hat. Meine Großmutter ließ sich gestern Abend aber nicht unterbrechen und erzählte von einer Stelle, die nicht weit von meiner heutigen Wohnung entfernt liegt.
„…..Als dann unser Kind Jakl so eineinhalb Jahr als war und Vater und Mutter ihre Freude dran hatten, dann hätte ich heiraten dürfen. Aber sechs Wochen vor unserer Hochzeit ist dann Martl in der Früh um fünf Uhr in die erste Straßenbahn am Ostfriedhof bei der Überführung – links vorher ist Blumen Hörmann, mit dem Lastwagen in die Trambahn gefahren.
Er hatte eine eitrige Mandelentzündung und ist acht Tage mit 39 Grad Fieber zur Arbeit, weil beide Söhne, die sonst abwechselnd auch mit dem Milchwagen in die Stadt fuhren – in Urlaub waren. So wollte er unbedingt durchhalten.
An dem Tag als das Unglück passierte, wäre bei der ersten Kundschaft schon Ablösung gekommen, weil ein Sohn doch schon vom Urlaub zurückgekommen ist. Aber zu spät.“
Aber zu spät. Damit endete gestern Abend die Erzählung meiner Großmutter. Zu spät ist es auch, sie zu bitten mir noch mehr zu erzählen. Es bleibt mir als Trost, dass ich die gestrige Erinnerung immer und immer wieder hören kann. Einzig die Stimme meiner Großmutter muss ich mir vorstellen, da sie seit langem nicht mehr lebt. Ihre gestrige Erzählung entspringt zehn handgeschriebenen Seiten, die meine Mutter wieder gefunden hat. Zehn Seiten nur…könnte ich die Zeit zurück drehen, ich würde sie bitten einhundert daraus zu machen. Obwohl….Nein, ich würde mich zu ihr an den Tisch setzen, tief in den Polstern des Kanapee versinken und sie bitten, einfach nur zu erzählen. Ihr dabei zusehen, wie sie ein Paar Socken strickt, den Hund atmen hören und eine Katze auf dem Schoß haben. Es würde nach einer Mehlspeise riechen und draußen würde ich die Tauben gurren hören. Wahrscheinlich würde ich wieder vergessen all die Fragen die mir jetzt im Kopf herum schwirren zu stellen. Es wäre egal, weil es schön wäre ihr zuzuhören.

Es war schön zu lesen!
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…und dann stolpere ich über den Ortsnamen Kleindingharting und denke mir, das sagt mir was.
Aber was?
Google Maps gibt Auskunft und sofort weiß ich, warum ich da schon ein paar Mal durchgekommen bin. Und ich weiß, wie es heute da aussieht und kann mir vorstellen, wie es dort früher war.
Danke wieder mal fürs Erzählen.
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Ja, bei dem Dörflein kann man sich das gut vorstellen. Dann kennst du vielleicht auch Deining – da kommt meine Familie her und lebt auch heute noch dort.
Liebe Grüße
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Du hast ja in meinem Blog gesehen, dass es mein Ziel ist, in jedem größeren Froschteich in Oberbayern zu schwimmen. Das hat mich ein paar Mal an dem Deininger Weiher geführt. Und damit durch Deining wie auch Kleindingharting. Kennen wäre übertrieben, aber ich weiß, wo das ist.
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Das habe ich vermutet. Deine Weiher und Seen Besuche lese ich gerne. Besonders natürlich, weil ich einige kenne und andere gerne kennen lerne.
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Früher kam nicht der Paketlieferdienst (was nicht heißt, dass keine Unglücke geschehen. So wie die meist fahren!). Sondern s Kre’weiberl. D’Störnäherin. Und so weiter…
Aber das ist alles schon lange her. So lange, dass es fast nicht mehr wahr ist. Dass die Geschichten mit es war einmal anfangen könnten. -. Wie lang? In der Nachkriegszeit, also nach 1945, war das nicht etwa vorbei. – Also gar nicht so lang! Und ja, meine eigene Mutter erzählte von der (Vorkriegs-) Kindheit, in der nicht nur das üblich war, sondern auch noch nicht einmal elektrischer Strom im Ort – längst ein Teil Münchens, des wuchernden Molochs – lag!
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Kre’weiberl. D’Störnäherin…da müsst ich jetzt meine Oma fragen ob sie die Begriffe kennt. Ich nicht. Noch kann ich meine Mama fragen. Oder dich – s Kre´weiberl, ist damit ein Kräuterweiblein gemeint? Und Störnäherin…Vorhänge. Wegen Stor (mein Gott, ich weiß nicht mal wie man den Stor,den dünnen Vorhang am Fenster schreibt.
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Kren haben sie – u.a. – in ihren Kraxen gebracht. Und das andere kommt nicht vom Store, sondern von Stören. Denn das waren die Handwerker, die ins Haus kamen um kleinere und manchmal auch größere Arbeiten zu erledigen. Wie z.B. noch lange der Messer- und Scherenschleifer.
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Danke. Den Messer- und Scherenschleifer hab ich selbst noch in der ersten eigenen Wohnung erlebt. Der stand in den Innenhöfen und hat seine Preise gegen die Hauswände gebrüllt – ich fand es sehr praktisch und hab das Angebot gern genutzt. Mittlerweile muss ich auf die Auer Dult (die zum Glück 3 Mal jährlich ist) und sie dort schärfen lassen.
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Oh – das wird nicht mehr gehen. Stichwort Messerverbot. Mußt die Löffel mitnehmen. Oder der Messermann kommt zu einem nach Hause…
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Stimmt eigentlich. Aber dieses Jahr ging es noch. Mist…jetzt hast du mich dran erinnert und ich werde nächstes Mal mit ungutem Gefühl (und zwei rießigen Messern) im Bus sitzen.
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Entweder gut versteckt im Rucksack, unbemerkt bis sie durchstechen. Oder offen in Händen, dann weichen alle aus. Oder gesetzeskonform (wie es der Messerschleifer dann macht, weiß ich nicht) in einem kleinen, verschließbaren Waffenköfferchen (Geigenkasten mit Vorhängeschloß).
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Die Geigenkaste Variante gefällt mir am besten. Allerdings nicht praktikabel. In offenen Händen probiere ich natürlich nicht. Auch wenn etwas mehr Platz in der U-Bahn….nein, lieber nicht.
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Ernsthaft war das offene Tragen auch nicht gemeint, auch wenn Al Capone gesagt haben soll: Mit einem Lächeln kommt man überall hin. Mit einem Lächeln und einer Maschinenpistole noch viel weiter. Keine Ahnung, wie er es Scarface mit Messern hielt.
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Ich weiß…aber ich fand den Gedanken amüsant. Solange es zum Messerschleifer geht, versteht sich.
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Liebe Mitzi, gerade habe ich wahnsinnig wenig Zeit (deswegen gibt’s aktuell keine elaborierten oder überhaupt Kommentare von mir), doch da ich deinen Blog ursprünglich von vorne an durchgelesen habe, kommen mir die Adventsepisoden jetzt zum Glück bekannt vor. Ich lese quer, doch ich bin da.
Einen schönen und hoffentlich nicht so hektischen Advent wünsche ich dir.
Liebe Grüsse
Eva
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Liebe Eva,
das ist völlig ok. Es ist auch ok, wenn du massig Zeit hast oder einfach keine Lust zu kommentieren. Ich freu mich immer wahnsinnig über Kommentare, aber ich bin selbst zeitlich oft eingespannt und komm bei anderen nicht dazu. Mach dir also keine Gedanken.
Es ist eh so toll, wenn jemand schreibt, dass er den ganzen Blog gelesen hat.
Ganz liebe Grüße und einen ruhigen Advent. Hier natürlich nicht. Hektisch, aber schön ;).
Mitzi
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Puh, da bin ich beruhigt, denn hier ist es weniger hektisch, aber schön, als vielmehr ganz schön hektisch… 😉
Daher wünsche ich dir auch schon mal fröhliche Weihnachten und ein frohes neues Jahr, weil es bis auf Weiteres wirklich nur noch zum Querlesen langt. Liebe Grüsse und bis in ruhigeren Zeiten wieder! 👋🏼
P.S.: Natürlich habe ich deinen Blog ganz gelesen, alles andere wäre ja schade gewesen.
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Hier leider auch. Von wegen ruhige Zeit….ich hoffe wir schaffen es beide, trotzdem ein paar ruhige Momente zu finden 🙂
Auch dir schon jetzt frohe Weihnachten und einen guten Rutsch in 2025.
Bis ganz bald und liebe Grüße
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